FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Artikel / Jahrgang 2001

 

Langzeitwirkungen der elterlichen Ehescheidung auf Kinder

- Eine Längsschnittuntersuchung über 25 Jahre1 ) -

Von Judy S. Wallerstein, Berkeley und Julia Lewis
San Francisco (Feb. 01)

 

Vorbemerkung: Die Autorinnen des nachfolgenden Berichts zählen in den Vereinigten Staaten zu den führenden Scheidungsforscherinnen. Judith S. Wallerstein ist Gründerin des Judith Wallerstein Center für the Familiy in Transition; sie ist eine international anerkannte Autorität auf dem Gebiet der Scheidungsfolgen. Ihre Hauptarbeiten erschienen auch auf deutsch, sie wurden in zehn Sprachen übersetzt. Es liegen von ihr an die 100 Zeitschriftenartikel vor. Neben ihrer Lehrtätigkeit an der University of California, Berkeley, hat sie auch als Psychotherapeutin gearbeitet. Julia Lewis ist Professorin für Psychologie an der San Francisco State University. Der nachfolgende Bericht fokussiert Teilbereiche eines soeben in den Vereinigten Staaten erschienenen neuen Werkes ,,The Unexpected Legacy of Divorce", welches Judith Wallerstein zusammen mit Julia Lewis und Sandra Blakeslee verfaßt hat2). Keine andere Forschergruppe hat die Entwicklung von Kindern, die von Trennung und Scheidung ihrer Eltern betroffen sind, über 25 Jahre beobachtet. Die Autorinnen zeichnen aufgrund ihres langen Kontaktes zu den betroffenen Familien ein viel komplexeres Bild der Langzeitwirkungen von Trennung und Scheidung als dies aufgrund der Momentaufnahmen der meisten bisher vorliegenden Studien möglich ist. Sie erheben auch Zweifel gegenüber vielen landläufigen Annahmen und Erwartungen der Rechtspolitik.
Prof. Dr. Gisela Zenz und Prof. Dr. Ludwig Salgo, Frankfurt/M. (Feb. 01)


Dies ist ein erster Bericht über eine 25 Jahre umfassende Untersuchung der Reaktionen von Kindern und Jugendlichen auf die Trennung und Scheidung ihrer Eltern. Sie wurde begonnen Anfang der siebziger Jahre, als die Scheidungsraten in den USA stark anzusteigen begannen. Die vorherrschende Meinung war damals, daß Scheidung eine vorübergehende, geringfügigere Umstellung im Leben eines Kindes sei. Unsere Studie ist die einzige ihrer Art bzgl. Dauer und Methode. Ihre Ergebnisse basieren auf Hunderten von Stunden an Einzelgesprächen mit 130 Kindern und beiden Elternteilen, die in gleichmäßigen Zeitabständen seit dem Entschluß zur Trennung stattfanden. Meine Kollegen und ich kennen diese Kinder gut. Wie mir kürzlich eine 28jährige Frau sagte: „Sie kennen mich besser als irgendjemand sonst auf der Welt." Ich bin in der Tat so etwas wie eine ältere „Stammesangehörige", die während der wichtigsten Schlachten ihres Lebens anwesend war und die ihre Lebensgeschichten mit ihren frühesten phantasierten Träumen und Ängsten bei sich bewahrt. Über frühere Ergebnisse wurde in zwei Büchern berichtet, die in zehn Sprachen übersetzt sowie in beinahe 100 Beiträgen in Fachzeitschriftenartikeln veröffentlicht worden sind. Diese Berichte haben sowohl hier in den USA als auch im Ausland einen großen Einfluß ausgeübt, indem sie auf die psychologischen, ökonomischen und sozialen Langzeitwirkungen des Zusammenbruchs der elterlichen Beziehung auf die Kinder aufmerksam gemacht haben. Die Folgeuntersuchung nach 25 Jahren wurde von Julia Lewis und mir durchgeführt. Der hier veröffentlichte Bericht wurde von uns beiden gemeinsam verfaßt.

Es existiert eine tiefe Kluft zwischen den Perspektiven des juristischen Systems, repräsentiert durch Richter, Anwälte, Mediatoren und Mitarbeitern im Gesundheitswesen einerseits, und denen des Kindes andererseits, das im Verfahren unsichtbar und ohne eigene Stimme bleibt. Tragischerweise ist das Kind am meisten von den Entscheidungen betroffen, bei denen es nichts zu sagen hat und durch seine Eltern vertreten wird, die nur selten seine Vorlieben erfragen und seine Wünsche in ihre Planungen einbeziehen. Im Unterschied zu medizinischen Berufsgruppen haben Richter, Anwälte und Mediatoren keine Routineverfahren zur Erfassung der Folgen ihres Tuns. Falsche Maßnahmen, schlechte Ratschläge, fehlerhafte Entscheidungen und gerichtliche Anordnungen oder ausgehandelte Vereinbarungen, die ihren Zweck völlig verfehlen, können jahrelang unentdeckt bleiben, weil ihre Ergebnisse nicht regelmäßig erhellt und überprüft werden.

Doch nun, nach 25 Jahren, existiert eine solche Beurteilungsmöglichkeit. Die Kinder, die durch das System zur Stummheit verurteilt wurden, verkünden uns nun ihr Urteil. Es ist an uns, ihnen zuzuhören. Diese nun erwachsenen Kinder konnten sich uns gegenüber klar und eloquent äußern. Um einige Schlußfolgerungen hier vorwegzunehmen: Es gibt wenig Belege dafür, daß wir erfolgreich darin waren, ihren Interessen zu dienen und sie zu schützen. Möglicherweise haben wir tatsächlich eine falsche Richtung eingeschlagen.

Wir berichten hier von den jüngsten Kindern unserer Stichprobe, die heute zwischen 27 und 32 Jahre alt sind und die zwischen zweieinhalb und sechs Jahre alt waren, als die Ehe der Eltern auseinanderbrach. Ungefähr die Hälfte der Kinder, die in diesem Land von einer Ehescheidung betroffen sind, gehören dieser Altersgruppe an. Wir haben für unseren ersten Bericht die jüngsten Kinder ausgewählt, weil sie die verletzlichsten sind. Verglichen mit älteren Kindern haben sie ein weitaus größeres Bedürfnis nach emotionaler Zuwendung, Pflege und Versorgung innerhalb einer Familienstruktur. Sie sind weit weniger dazu fähig, sich selbst zu trösten oder anderswo Hilfe zu holen. Außerdem verbringen sie wegen ihres jungen Alters zum Zeitpunkt der Scheidung die meiste Zeit ihres Aufwachsens innerhalb einer geschiedenen oder wieder verheirateten Familie.

Wie alle Kinder dieser Studie wurden sie nach einer Voruntersuchung nur in die Studie aufgenommen, wenn sie sich vor dem Zusammenbruch der Ehe auf einem normalen Entwicklungsstand befanden. Aufgrund dieses Kriteriums wurden viele hoch konflikthafte Familien ausgeschlossen, in denen Kinder oft schon Jahre vor der Scheidung in großen Schwierigkeiten sind. Diejenigen, die in die Studie aufgenommen wurden, gehörten einer psychologisch robusten Gruppe an, die trotz der Jahre, in denen sie eine scheiternde Ehe miterlebten, keine psychologische Hilfe in Anspruch genommen hatten. Umso auffallender sind deshalb die Langzeitwirkungen, über die wir hier berichten.

Die Studie selbst sah keine psychologische Behandlung vor. Wir waren daran interessiert, den natürlichen Fortgang der Erfahrungen der Kinder unter relativ günstigen sozialen und ökonomischen Bedingungen zu verfolgen. Die Kinder stammten aus der Mittelschicht in Nordkalifornien. Ihre Eltern verfügten über eine gute Bildung. Ein Viertel der Väter und einige der Mütter hatten akademische Abschlüsse in Jura, Medizin oder Ökonomie. Nach 25 Jahren erreichten wir 85 % der ursprünglichen Gruppe. Wir wenden uns in dieser Arbeit den 26 Kindern zu, die bei der endgültigen Trennung zwischen zweieinhalb und sechs Jahre alt waren und die sich nun an der Schwelle zum Erwachsensein, im Übergang in das vierte Lebensjahrzehnt befinden. Indem wir ihre Worte und Perspektiven verwenden, werden wir versuchen, dem nachzugehen, was ihnen zugestoßen ist, wo sie sich heute befinden und wie sie zum heutigen Zustand gelangt sind.

Um unsere frühesten Ergebnisse kurz zu rekapitulieren: Als wir diesen kleinen Kindern zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs der Ehe zum ersten Mal begegneten, waren sie von der Angst gequält, von beiden Eltern verlassen zu werden. Sie waren innerlich zu dem Urteil gekommen, wenn ein Elternteil den anderen verlassen kann, daß dann wohl auch beide das Kind verlassen können. Sie litten unter der Angst zu verhungern, eines Morgens in einem verlassenen Haus aufzuwachen oder vom Kindergarten heimzukommen und niemanden vorzufinden. Die Welt war für sie unberechenbar und unzuverlässig geworden, zu einem Ort voller Gefahren, in dem man nicht mal den engsten Beziehungen zutrauen kann, daß sie stabil und zuverlässig bleiben.

Und in der Tat, als die Nachscheidungsfamilie Form annahm, sah die "Welt zunehmend so aus, wie sie es befürchtet hatten. Ein Elternteil, meist der Vater, war weggegangen, und die Mutter, die in vielen Familien mit kleinen Kindern nur in Teilzeit oder gar nicht gearbeitet hatte, arbeitete nun plötzlich wieder ganztags. Das alles geschah übergangslos, ohne Abfedern des erlittenen Schlages. Oft nahm die Mutter auch ihre Ausbildung wieder auf, um sich auf dem Arbeitsmarkt verwertbare Kompetenzen anzueignen. Die Einsamkeit dieser Kinder, ihr Gefühl, daß niemand für sie da war, war überwältigend. Sie wurden Fremden zur Betreuung überlassen, oft in überstürzten Arrangements, oder - was noch schlimmer war - älteren Geschwistern, die selbst noch Kinder waren und die nicht zögerten, Essen vorzuenthalten, zu drohen oder die Kinder zu schlagen, um die häusliche Routine durchzusetzen. So sehen die zentralen Erinnerungen dieser Erwachsenen 25 Jahre später aus. Nur wenige erinnern sich an die intakte Familie. Was blieb, war die Erinnerung an einen abrupten, plötzlichen Rückgang von Versorgung und Schutz, das Verschwinden eines Elternteils und die Abwesenheit des anderen für viele Stunden am Tag und abends. Karen, die nun 28 Jahre alt ist, war zwischen drei und vier bei der Trennung. Sie sagte uns: „Ich erinnere mich an nichts, außer daß wir zusammenlebten und dann nicht mehr. Ich kann mich nicht erinnern, daß irgendjemand mir irgendetwas erklärt hätte." (Dieser Klage begegneten wir immer wieder). „Ich hatte niemanden zur Unterstützung", sagte sie weiter. „Ich verbrachte so viel Zeit allein, daß ich schließlich versuchte, meine eigene Versorgungsperson zu werden. Aber wie soll man das als Kind machen? Manchmal sprach ich tagelang nicht ein einziges Wort." Laura, die nun 29 Jahre alt ist, sagte: „Meine wichtigste Erinnerung an die Scheidung ist, daß ich wütend war. Ich fühlte mich ausgeschlossen und allein. Meine Mutter arbeitete ganztags und ging zur Schule. Ich war wütend auf sie. Ich war wütend auf meinen Vater und war immer auf irgendjemanden wütend. Ich dachte immer wieder, daß ich Kinder nie so behandeln würde, wie ich selbst behandelt worden bin. "Was mich wirklich getroffen hat, war weniger die Scheidung als die Abwesenheit meiner Mutter. Wir waren keine richtige Familie mehr. Ich konnte mit niemandem sprechen. Ich hatte niemanden."

25 Jahre später erzählten diese jungen Leute einer nach dem anderen traurig von ihrer verlorenen Kindheit. Sie beschrieben ihre Traurigkeit, ihre hilflose Wut, ihre Sehnsucht nach jemandem, der sich um sie kümmert, mit ihnen spricht und mit ihnen spielt. Der weitgehende Verlust von Versorgung und Schutz während der Jahre des Aufwachsens ist ihr Erbe als Scheidungskinder. Die Fragen, die im Zentrum professioneller Aufmerksamkeit und Intervention standen, erwiesen sich als nicht so wichtig und hatten keinen nachhaltigen Einfluß auf ihr Leben. Die Interaktion zwischen den Eltern zur Zeit der Trennung und der Scheidung verblaßte in der Erinnerung. Ob die Abmachungen und Besuchsregelungen verhandelt, vermittelt oder durch das Gericht angeordnet worden waren, wirkte sich in den Jahren, die der Trennung folgten, nicht auf die fundamentalen Veränderungen in ihrem Leben aus. Die damaligen Kinder und heutigen Erwachsenen waren alle tief erstaunt zu erfahren, daß es irgendwelche Richter, Anwälte, Mediatoren oder andere gab, die viel Zeit damit verbracht hatten, ihre Wünsche und Interessen angeblich möglichst gut zu berücksichtigen.

Nur diejenigen Kinder, die Zeugen von Mißbrauch oder Gewalt gewesen waren, hatten lebhafte Erinnerungen an Ereignisse aus der Zeit der elterlichen Zerwürfnisse. Obschon sie seit ihrer Vorschulzeit keine Gewalt mehr gesehen hatten, beeinflußten ihre damaligen Erfahrungen weiterhin ihr Leben. Ein junger Mann erzählte von einer ihn verfolgenden Erinnerung an eine Szene als Fünfjähriger, in der er sich schluchzend an eine Wand lehnte, während sein Vater seine Mutter in einem benachbarten Raum schlug. Er erzählte, daß er seine eigenen Kinder zwar nicht schlägt, daß er aber von einem unkontrollierbaren Impuls getrieben wird, seinen vierjährigen Sohn so grausam zu necken, bis sich dieser weinend auf ihn wirft und auf ihn einschlägt. Junge Frauen, die aus dieser Untergruppe gewalttätiger Familien stammen, wurden immer wieder in gewalttätige Männerbeziehungen verwickelt, obschon auch sie seit ihrer Vorschulzeit keine Zeugen von Gewalttaten mehr gewesen waren. Eine 29jährige Frau aus der gleichen Untergruppe leidet immer noch an sich wiederholenden Angstträumen von einer besonders gewalttätigen Szene, in der die Polizei gerufen werden mußte, um ihren Vater zu entwaffnen. Sie hat keine bewußte Erinnerung an diese Erfahrung, die sich unseren Aufzeichnungen zufolge ereignete, als sie vier Jahre alt war. "Wir folgern daraus, daß es nicht genügt, Kinder aus einem gewalttätigen Milieu zu entfernen, um sie vor den Langzeitwirkungen ihrer Zeugenschaft von Gewalttaten zu schützen. Solche Kinder brauchen eine intensive psychologische Behandlung zusätzlich zu Maßnahmen, die sie davor schützen, weiterhin der Gewalt ausgesetzt zu sein.

Ich kann hier die früheren Berichte zur Adoleszenz dieser Kinder nicht rekapitulieren. Es genügt festzuhalten, daß der emotionale Hunger, die Einsamkeit, die herabgesetzten Erwartungen, deren Wurzeln ich beschrieben habe, sie während ihrer Adoleszenz besonders verletzlich im Umgang mit der auftauchenden eigenen Sexualität und Aggression machten. Sie waren auch weniger widerstandsfähig gegen Drogen, Alkohol und verfrühte sexuelle Aktivitäten. Die Hälfte der jungen Leute unserer Stichprobe hatte in der Adoleszenz ernsthafte Probleme mit Drogen- oder Alkoholmißbrauch. Viele fingen damit vor ihrem 14. Lebensjahr an. Sexuelle Aktivitäten begannen ebenfalls in der frühen Adoleszenz, zuweilen sogar früher, besonders bei Mädchen. Einige der jungen Frauen sagten: „Ich dachte, das ist alles, was ich zu geben habe." Andere sagten traurig: „Sex war das einzige, womit ich Aufmerksamkeit kriegen konnte." Eine junge Frau, Linda, erklärte: „Ich kam Tag für Tag heim in ein leeres Haus. Dies war der Grund, warum ich mich mit Drogen und Sex einließ." Obwohl viele regelmäßig unter Einfluß von Alkohol oder Drogen in die Schule gingen, kam es ausgesprochen selten vor - ob in der Schule oder zu Hause -, daß ein Erwachsener es bemerkt oder gar darauf reagiert hätte. Dies bestärkte sie in ihrer Auffassung, daß es niemanden wirklich interessierte, was sie taten.

Nur in zwei Familien versuchten die Eltern aktiv, den Hang zum Drogen- oder Alkoholmißbrauch zu stoppen. Beide Interventionen waren erfolgreich und zeigen, was engagierte Eltern erreichen können, wobei sie unter Umständen bereit sein müssen, Opfer auf sich zu nehmen. Als Nancy, die ihr College nicht fortsetzen konnte, weil ihre Studiengebühren nicht bezahlt worden waren, anfing Kokain zu nehmen, rief ihre Mutter die ganze Familie, einschließlich des Vaters zusammen. Bei diesem Treffen fragte sie Nancy: „Was sollen wir tun, damit Du dieses Verhalten nicht fortsetzt?" Nancy antwortete: „Ich möchte zurück aufs College gehen." Ihre Mutter, die ein bescheidenes Gehalt als Lehrerin verdiente und damit zwei Kinder unterstützen mußte, nahm einen Kredit auf ihr Haus auf, schickte Nancy zurück aufs College und zahlte für eine Drogentherapie. Die junge Frau blieb in den folgenden zehn Jahren stabil.

Wir wenden uns nun dem Übergang ins Erwachsenenalter zu. Die psychologische Aufgabe beim Eintritt ins Erwachsenenalter umfaßt das Herstellen von Intimität, die Suche und die Auswahl eines Lebenspartners, das Etablieren einer beruflichen Laufbahn und die Heirat. Eine andere Aufgabe, die eng damit verbunden ist, ist die Entscheidung, ob man Kinder haben und eine Familie gründen will. In welchem Umfang ist diese Untergruppe von Kindern, die die meiste Zeit ihres bisherigen Lebens in einer geschiedenen Familie verbracht haben, erfolgreich bei der Bewältigung dieser Aufgaben?

Wie die frühen Kindheitsjahre wurde auch der Übergang zum Erwachsenenleben durch die elterliche Scheidung belastet. Das Erwachsensein begann für diese jungen Menschen schmerzlich und schroff, mit einer Aufgabe, für die sie schlecht vorbereitet waren und wenig Hilfe bekamen. Im Alter von 18 Jahren endet in Kalifornien die Unterhaltspflicht gegenüber Kindern. Keines der geschiedenen Paare hatte eine rechtswirksame Vereinbarung getroffen, die die Finanzierung der Ausbildung der Kinder nach der Highschool absicherte. Von diesen jungen Menschen wurde erwartet, daß sie sich selbst um ein College bemühten, die Studiengebühren und die zusätzlichen Kosten bezahlten und für sich selbst sorgten, ohne über Fähigkeiten zu verfügen, mit denen sie Geld verdienen konnten. Es ist daher nicht erstaunlich, daß, obschon die Mehrzahl die Highschool erfolgreich abgeschlossen hatte, ein Drittel von ihnen sich nicht weiterbildete. Sechs junge Erwachsene erhielten von ihren Eltern oder Stiefvätern volle finanzielle Unterstützung für ihre weitere Ausbildung. Dank dieser Unterstützung konnten sie anspruchsvolle, erstklassige Schulen und Universitäten besuchen und eine berufliche Laufbahn verfolgen, die sie selbst wollten. Diese sechs Männer und Frauen hatten in ihren späten Zwanzigerjahren gute Anstellungen in Berufen gefunden, die sie ausgesucht hatten und befriedigend fanden. Ihr Stolz, ihr Selbstvertrauen und ihre Lebensfreude standen in scharfem Kontrast zu der offen resignativen Stimmung ihrer weniger glücklichen Altersgenossen.

Die große Mehrheit kämpfte sich auf weniger anspruchsvollen öffentlichen Colleges durch, wo sie Studiengänge wählten, die mit Ganztags- oder Halbtagsjobs kombiniert werden konnten, oder solche, die den Studierenden erlaubten, Studiensemester mit Semestern abzuwechseln, in denen sie Geld verdienten. Ein Viertel von ihnen finanzierte sich während des Studiums völlig selbst. Die Mehrheit kam durchgehend für den größten Teil des eigenen Unterhalts selbst auf. Ihre Situation schloß für sie die Wahl einer anspruchsvollen wissenschaftlichen oder beruflichen Karriere aus, die viele dieser intelligenten und nachdenklichen jungen Leute vorgezogen hätten. Wegen der finanziellen Schwierigkeiten, mit denen sie konfrontiert waren, waren sie gezwungen, Berufe zu wählen, die deutlich unter dem von ihren Eltern erreichten Niveau lagen. Oft spiegelten ihre Entscheidungen nicht ihre wirklichen Interessen oder ihre früheren Erwartungen wieder. Die meisten von ihnen brauchten viel länger als vier Jahre, um einen Abschluß zu machen. Im Alter von 30 arbeiteten einige von ihnen immer noch für ein schlechtes Gehalt in einem langweiligen Routinejob, manche die ganze Nacht, um ihre Studiengebühren bezahlen und tagsüber das College besuchen zu können. Daher waren die Wahlmöglichkeiten und die weiteren beruflichen Chancen, die für sie in Frage kamen, während dieses ersten Jahrzehnts ihres erwachsenen Lebens enttäuschend. Und obwohl sie sehr tapfer waren und über 40% schließlich einen Universitätsabschluß schafften, repräsentierten die Studentenjahre für sie eine allzu bekannte Wiederholung ihrer Kindheit. Sie waren sich über die Ungerechtigkeit der Gesetze absolut im klaren und wußten, daß sie einmal mehr die Hauptlast der elterlichen Ehescheidung zu tragen hatten. Ihre Zukunft war beschädigt worden. Eine junge Frau faßte das so zusammen: „Ich bin ein Bauer auf einem Schachbrett", sagte sie, „ich war immer ein Bauer auf dem Schachbrett."

Als wir das Ausbildungsniveau unserer Stichprobe mit dem höchsten Bildungsgrad verglichen, den ihre Eltern im gleichen Alter erreicht hatten, stellte sich heraus, daß über die Hälfte der jungen Erwachsenen ein niedrigeres Ausbildungsniveau erreicht hatte als ihre Eltern. Nur drei schlossen ihre offizielle Ausbildung mit einem höheren Grad als ihre Eltern ab. Obwohl einige es schafften, das College unter großen Anstrengungen und Entbehrungen abzuschließen und einige ein Graduiertenstudium beendeten, mußte die Mehrzahl von ihnen mit einer schlechteren Ausbildung vorlieb nehmen und einen Arbeitsplatz akzeptieren, der einen geringeren Bildungsgrad voraussetzte und deshalb auch weniger ökonomische und soziale Möglichkeiten bot als jene, die ihren Eltern im gleichen Alter zur Verfügung gestanden hatten.

Unsere Daten unterstützen die Auffassung nicht, die häufig vertreten wird, wonach Väter, die ihre Kinder regelmäßig sehen, finanziell abgesichert sind und Wert auf Bildung und Ausbildung legen, auch bereit sein würden, für die Ausbildung ihrer Kinder die notwendige finanzielle Unterstützung zu leisten. Zwei Drittel dieser jungen Menschen hatten Väter, die in gut bezahlten akademischen Berufen arbeiteten oder erfolgreiche Geschäftsleute waren. Obschon viele von ihnen einen regelmäßigen Kontakt mit ihren Kindern hatten, hat keiner von ihnen seinen Sohn oder seine Tochter voll unterstützt. Und nur ein Drittel der Väter hatte den Kindern zeitweise eine kontinuierliche Unterstützung gewährt. Die Mehrheit gewährte Unterstützung nur teilweise und unzuverlässig. Ein Viertel aller Väter weigerte sich explizit, die Kinder nach ihrem 18. Lebensjahr weiter finanziell zu unterstützen. Diese Daten sind überraschend, da für viele dieser Väter die eigene Ausbildung das Sprungbrett für ihre weiteren beruflichen Möglichkeiten gewesen war. Einige hoch gebildete und aufgeschlossene Männer zeigten wenig Interesse an der Ausbildung ihrer Kinder. Als ein junger Mann während seines ersten Studienjahres aus dem College ausschied, erwähnte dies sein Vater, den er damals wöchentlich besuchte, mit keinem Wort. Sieben junge Menschen wurden finanziell durch ihre Stiefväter unterstützt. Es ist interessant, daß jene Stiefväter, die für das College bezahlten, dies konsistenter und großzügiger taten als die leiblichen Väter. Bei der Mehrzahl der jungen Leute, die Geld von ihren Eltern erhielten, waren es die Mütter, die häufig ihre Kinder kontinuierlich, wenn auch nicht voll unterstützten. Einige Frauen nahmen dafür eine Hypothek auf ihr Haus auf. Nur wenige verfügten selbst über Gehälter, die ihnen erlaubt hätten, ihre Kinder ohne große eigene Opfer finanziell zu unterstützen.

Die Ergebnisse hinsichtlich des Arbeitsplatzes waren wie erwartet. Verglichen mit dem sozioökonomischen Status ihre Eltern bewegten sich nur drei der Kinder zu Beginn ihres vierten Lebensjahrzehnts über deren Niveau. Vierzig Prozent bewegten sich unter bzw. weit unter dem sozioökonomischen Status ihrer Eltern. So arbeitete eine junge Frau von 29, deren Mutter eine Kunstgalerie leitete und deren Vater Anwalt war, nach ihrem Collegeabschluß als Kellnerin und als Lehrerassistentin. Aufs Ganze gesehen ging beim Vergleich der Generationen der berufliche Trend nach unten, obschon alle diese jungen Leute - mit zwei Ausnahmen - arbeiteten und sich selbst finanzierten.

Wenden wir uns nun der Beziehung zwischen den Kindern und ihren Eltern zu. Forschungsberichte haben sich eingehend mit der Regelmäßigkeit und der Häufigkeit des Kontakts zwischen Vater und Kind beschäftige. Es gibt aber nur wenige Untersuchungen zur Qualität der Beziehung und zu der Frage, ob und in welcher Weise sie hilfreich für das Kind ist. Auch das Beziehungserleben und die Beziehungszufriedenheit des Kindes sind kaum untersucht worden. Statt dessen geht die Rechtsordnung davon aus, daß - falls die Mutter es nicht verhindert und der Vater nicht gefährlich ist - Kind und Vater einen regelmäßigen Kontakt entwickeln, sich daran erfreuen und von der Beziehung zueinander profitieren werden. Die Ergebnisse dieser Studie zeigen ein viel komplexeres Bild. Sie lassen Zweifel an den offiziellen Erwartungen der letzten Jahre aufkommen, daß es einem Scheidungskind in der Nachscheidungsphase gelingen kann, eine nahe Beziehung zu beiden Elternteilen aufrechtzuerhalten, falls der Ärger zwischen den Eheleuten sich in Grenzen hält. Unsere Forschung zeigt viele wichtige Einflüsse auf die Eltern-Kind-Beziehung, die nicht mit der gescheiterten Ehe und ihren emotionalen Residuen in Zusammenhang stehen. Frühere Studien haben die Vater-Kind-Beziehung nur zu einem oder zwei Zeitpunkten untersucht. Dadurch blieben die auffallenden Veränderungen unsichtbar, die sich über eine längere Zeit in den Nachscheidungsjahren vollziehen. Wir haben jedoch herausgefunden, daß Eltern-Kind-Beziehungen, die aus dem Hafen der ehelichen Bindung herausfallen, in den sie eingebettet waren, weniger stabil sind als solche innerhalb intakter Familien. Wir haben in dieser Studie beobachtet, daß das Interesse des Vaters und seine Verfügbarkeit für die Kinder in hohem Maße dazu tendierte zu fluktuieren, analog zum momentanen Erfolg oder Scheitern in anderen Bereichen seines Lebens. Männer, die unglücklich oder belastet waren, denen es gesundheitlich oder ökonomisch schlecht ging, hatten Schwierigkeiten, den regelmäßigen Kontakt zu ihren Kindern aufrechtzuerhalten. „Ich hatte so wenig zu geben", sagte ein Vater, der, nachdem er seinen Sohn drei Jahre lang verläßlich besucht hatte, plötzlich den Kontakt zu ihm abbrach, als er eine persönliche Krise erlebte. Als er sich einige Jahre später wieder besser fühlte, tauchte er, plötzlich wieder auf und wollte die Besuche wieder aufnehmen. Der psychologische Zustand und die vorherrschende Stimmung des Vaters, die während der Nachscheidungsjahre - wie häufig bei jungen Männern - stark schwankte, stellte sich als wichtiger Einfluß auf die Fähigkeit des Vaters heraus, den Kontakt zu seinem Kind aufrechtzuerhalten. Dies konnte aufgrund der Geschichte vor der Scheidung oder der elterlichen Interaktion während der Krise nicht vorausgesagt werden.

Mit Ausnahme von dreien haben alle Väter unserer Stichprobe bald nach der Scheidung wieder geheiratet. Ein Drittel davon heiratete dreimal oder noch häufiger, während die Kinder heranwuchsen. Der Kontakt zum Kind veränderte sich auch in Abhängigkeit von der jeweiligen Ehe des Vaters, der Einstellung seiner neuen Frau und der Präsenz von Kindern in der neue Fanlilie. Eine erneute Scheidung brachte weitere Veränderungen mit sich. Stiefmütter - besonders mit eigenen Kindern – waren häufig offen genug zu sagen, daß sie die Kinder aus der erste Ehe ihres Mannes ablehnten und sie als Eindringlinge empfanden. Während manche Zweitehefrauen allmählich lernten, die Kinder zu lieben, gelang dies vielen nicht. Eine Frau drückte das so aus: „Ich wollte den Mann und nicht die Kinder." Diese Einstellung übte einen wichtigen Einfluß aus. Verständlicherweise wollte der Vater seine neue Ehe nicht belasten und räumte ihr daher Priorität ein. Väter, die ihre Stiefkinder ins College schickten und dies finanzierten, unterstützten ihre eigenen Kinder nicht immer.

Zuweilen war der sich verändernde Entwicklungsstand des Kindes ein kritischer Punkt in der Fluktuation des Kontaktes zwischen Vater und Kind. Am leichtesten und befriedigendsten war es für die Väter, ihre Kinder im Vorschulalter zu besuchen. Viele Männer fühlten sich aber unwohl, wenn sie Zeit mit ihren älteren oder jugendlichen Kindern verbringen sollten. Frühadoleszente Mädchen wirkten auf ihre Väter besonders einschüchternd. In Entwicklungsphasen, die eine Herausforderung für die Väter darstellten, verschlechterte sich der Kontakt mitunter erheblich und Besuche verkamen zu einer Veranstaltung voller Verlegenheit und Unbehagen, begleitet von gespanntem Schweigen, Unruhe und totaler Langeweile, so daß die Kinder diesem Kontakt nur noch entfliehen wollten.

Männer, die innerhalb des haltenden Rahmens der Ehe gute Väter gewesen waren, zogen sich allmählich von dem Kontakt zu ihren Kindern zurück, wenn neue Berufssituationen, veränderte Wohnorte oder neue Beziehungen ihr hauptsächliches Interesse beanspruchten. Manche vergaßen sogar die Geburtstage ihrer Kinder oder Weihnachten. Manchmal erschienen sie plötzlich nach einer Phase der Vernachlässigung wieder. So z. B. ein Vater, der nach jahrelanger Abwesenheit kurz wieder auftauchte; um seinen inhaftierten Sohn gegen Kaution auf freien Fuß zu bekommen. Manche Väter kamen einmal pro Jahr für wenige Stunden zu Besuch. In den ersten Jahren nach der Scheidung brach das Verschwinden der Väter den Kindern das Herz. Sie konnten den Verlust kaum ertragen. Allmählich und mit großen Schmerzen haben sie sich mit der neuen Realität arrangiert. Väter, die ihre Kinder im Stich ließen oder nur unregelmäßig auftauchten, um bald wieder zu verschwinden, wurden als selbstsüchtig betrachtet und für unfähig gehalten, die Folgen ihres Tuns zu begreifen. „Er hat nie wegen irgendjemandem ein Opfer auf sich genommen", sagte ein junger Mann. „Mein Vater liebt das Leben, aber er hat kein Herz für andere", sagte ein anderer. Die Kinder, die von ihren Vätern verlassen oder enttäuscht wurden, haben aus der Distanz über Jahre ihre Väter auf der Suche nach Zeichen der Besserung beobachtet. „Ich halte den Kontakt zu ihm", sagte uns Sam als Dreißigjähriger. „Er ist etwas stabiler geworden. Er wird nun älter und vielleicht etwas zuverlässiger. Er hat mich im Stich gelassen, ich weiß das. Aber es nützt nichts, deswegen traurig oder stocksauer zu sein. Menschen tun eben das, was sie tun müssen."

In einigen Familien tauchten Väter, die jahrelang kaum Kontakt zu ihren Kindern hatten, plötzlich wieder auf, wenn sie Großvater wurden, oder nach wichtigen Wendepunkten in ihrem eigenen Leben, die nicht in direktem Zusammenhang mit ihren Kindern standen. Gelegentlich erschienen sie wieder, um Hilfe anzubieten, und schafften es manchmal, ihre erwachsenen Kinder vor einem Unglück zu bewahren. Betty war mit ihrer geschiedenen Mutter in Armut groß geworden und hatte die Schule ein Jahr vor dem Abschluß (im junior year) abgebrochen, nachdem sie sich ernsthaft mit Drogen und Sex eingelassen hatte. Als wir sie als Zwanzigjährige interviewten, wirkte sie unglücklich und verloren. Ihr Kiefer war nach einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit einem ihrer vielen Freunde verbunden. Kurz danach entschied sie sich gegen eine fünfte Abtreibung und wollte das Kind austragen. Als ihr Vater, mit dem sie seit ihrem 13. Lebensjahr kaum noch Kontakt hatte, von der Geburt des Kindes hörte, rief er sie an und bot ihr an, sie finanziell zu unterstützen, damit sie die Highschool und das College beenden könne. Zum Zeitpunkt der Folgestudie nach 25 Jahren, als sie 30 Jahre alt war, hatte sie einen Collegeabschluß in Naturwissenschaften geschafft. Sie war glücklich verheiratet, hatte eine Anstellung als Laborantin und war Mutter eines süßen, gut versorgten Kindes. Sie kam mal auf dem Weg zu ihrem Vater bei mir vorbei. „Mein Vater hat sich verändert, als er Großvater wurde", sagte sie, „ich hab ihn wirklich gern."

Die meisten dieser jungen Leute haben großzügig ihre Zuneigung zu ihren Vätern zum Ausdruck gebracht. Manche zeigten sogar echte Anteilnahme. Allerdings verbanden die wenigsten von ihnen ihre Zuneigung mit Respekt für ihre Väter. Der Respekt wurde den Vätern in der Regel verweigert, wenn sie es nicht geschafft hatten, ihren Kindern die Treue zu halten, oder wenn sie als unfähig betrachtet wurden, ihre Beziehungen zu reflektieren. Die Bedeutung des Respekts in der Eltern-Kind-Beziehung wurde immer wieder herausgestellt, wenn die Kinder ihre Eltern beurteilten und beschrieben, wie sie von ihnen behandelt werden wollten. Weniger als fünf in der gesamten Stichprobe sagten, sie würden bei einem persönlichen oder familiären Problem den Rat ihrer Väter suchen. Besonders intensive Wut gegenüber ihren Vätern, die bis ins Erwachsenenalter anhielt, verspürten diejenigen Kinder aus unserer Stichprobe, die durch Gerichtsauflagen gezwungen waren, strikte Besuchsregelungen einzuhalten. Sofern es das erklärte Ziel des Gerichts war, mit Hilfe der Besuchsregelung eine engere Beziehung zwischen Vater und Kind zu fördern, so erwiesen sich gerichtlich verordnete Besuche, über die das Kind nicht mitbestimmen konnte, nicht nur als dafür völlig ungeeignet, sondern als regelrechter Bumerang. Kein einziges Kind, das seinen Vater im Rahmen einer rigide durchgesetzten Auflage des Gerichts oder einer entsprechend unflexiblen elterlichen Vereinbarung regelmäßig besucht hatte, unterhielt als Erwachsener eine gute Beziehung zu ihm. Fiona, die per Flugzeug zu den vom Gericht verordneten Besuchen flog, sagte als 28jährige: „Als ich ein kleines Mädchen war, hatte ich das Gefühl, ich sei wie eine Abfalltüte, die verschifft wurde, und er mußte sich dann mit dieser Abfalltüte während einiger Wochen beschäftigen. Ich fühlte mich in seiner Gegenwart eingeschüchtert, hilflos und inadäquat. Er versuchte mit seinen Kindern innerlich in Kontakt zu kommen, aber er schaffte es nicht. Ich bin froh, daß ich keinen Kontakt mehr mit ihm habe, nie mehr."

Ellen, die durch das Gericht dazu gezwungen wurde, jedes zweite Wochenende bei ihrem Vater zu verbringen, beklagte sich, als sie 14 war, bitterlich, ihr Leben sei abnormal. Sie werde aus allen lustvollen Aktivitäten während ihrer Schuljahre herausgerissen. Sie bat um einen flexibleren Besuchsplan, aber ihr Vater weigerte sich unter Berufung auf das ihm gerichtlich zugesprochene Recht. Als 14jährige sagte mir Ellen: „Mein Vater hat mich nie geliebt. Menschen, die andere lieben, respektieren diese auch. Er fragte mich nie, ob ich ihn sehen wollte oder was ich tun wollte, wenn ich dort war." Obschon der Vater wohlhabend war und keine weiteren Kinder hatte, trug er nichts zu ihrer Collegeausbildung bei. Als Ellen ihre Volljährigkeit erreichte, lehnte sie es ab, ihn noch weiter zu sehen. Als sie 28 war, wurde er ernsthaft krank und bat um Versöhnung. Sie wies dies zurück. Sie sagte: „Ich erinnere mich, daß ich als Jugendliche im Haus meines Vaters war und das ganze Wochenende weinte, und dann weinte ich den ganzen Sommer, allein, und fragte mich, womit ich diese Strafe verdient habe. Ich habe nun keine Beziehung zu meinem Vater. Ich kann ihm nicht die Tochter sein, die er sich wünscht. Er hat kein Recht, das zu verlangen."

Bei einem Kind hatten sich die Eltern auf eine besondere Variante eines rigiden Gerichtsbeschlusses geeinigt. Sie vereinbarten, daß das Kind fünf Tage im Haus der Mutter und zwei Tage im Haus des Vaters verbringen solle. Das Kind wurde in die Erstellung dieses Plans nicht einbezogen. Das Ergebnis unterschied sich nicht wesentlich von dem einer gerichtlichen Anordnung. Die Beziehung zum Vater wurde dadurch eher erschwert als erleichtert. Sie beschrieb dies später: „Ich haßte es. Ich denke nicht, daß es gut für Kinder ist, die Woche an einem Ort und das Wochenende an einem anderen Ort mit dem anderen Elternteil zu verbringen. Das ist wirklich schlimm. Als Kind versucht man zu entdecken, wer man selbst ist, und entwickelt Freundschaften. Diese Vereinbarung bedeutete Brüche für mich. Ich geriet jedesmal durcheinander, wenn ich zu meinem Vater gehen sollte. Ich sagte zu mir selbst: Ich werde so tun, als ob ich nicht da wäre. Seit ich erwachsen bin, rufe ich ihn nicht mehr an. Ich will keine Nähe zu ihm."

Kein Kind unserer Studie hatte durchgehend die negative Meinung eines Elternteils über den anderen übernommen. Dennoch nahmen Kinder, als sie noch jünger waren, zuweilen Partei vor allem für jene Seite, um die sie sich am meisten Sorgen machten oder die sie am meisten bemitleideten. Aber keine dieser Allianzen überdauerte die mittlere Adoleszenz. Die meisten Kinder bildeten und revidierten ihr Urteil über die Eltern auf der Grundlage ihrer eigenen Beobachtungen während all der Jahre, in denen sie groß wurden. Sie schlugen sich mit ernsthaften Fragen herum: Ist dieser Elternteil ein Versager? Ist er (oder sie) ein guter Mensch? Kann man ihm (oder ihr) vertrauen? Es gibt keinen Beleg in unserer Studie, daß eine elterliche Stimme das Denken des Kindes auf Dauer völlig dominieren, könnte.

Die Mütter wurden dem gleichen sorgfaltig prüfenden Blick und Urteil unterzogen wie die Väter. Allerdings wurden sie mit mehr Anteilnahme betrachtet. Mutter-Kind-Beziehungen verändern sich über die Jahre hinweg ebenfalls, wobei sich in diesem Wandel nicht nur die individuellen Entwicklungen von Mutter und Kind spiegeln, sondern auch die beruflichen Anforderungen und Ambitionen im Leben der Mutter, wie auch vor allem ihre wechselnden Beziehungen. Die meisten Frauen hatten über die Jahre hinweg Liebesbeziehungen, aber nur die Hälfte von ihnen hat wieder geheiratet. Zwei von ihnen ließen sich zum zweiten Mal scheiden. Mütter, die hart arbeiteten, um ihr Heim aufrechtzuerhalten, und die der Versorgung und Erziehung ihrer Kinder Vorrang einräumten, wurden mit Liebe und tiefer Wertschätzung für ihre harte Arbeit und ihre eigenen Opfer belohnt. Die jungen Leute waren sich der heroischen Anstrengungen ihrer Mütter sehr bewußt. Sie fühlten sich vom Gedanken belastet, daß die Mütter ihretwegen ihre Chancen für ein glücklicheres Leben eingebüßt haben könnten. Sie sprachen in bewegender Weise über ihre Sorgen. Eric, ein 27jähriger, sagte: „Meine Mutter und ich stehen uns sehr nahe. Ich spreche oft mit ihr. Sie ist eine wunderbare Person. Ich achte ihre Meinungen. Ich mache mir aber große Sorgen, daß sie ihr eigenes Leben für uns aufgab."

Mütter, die wieder geheiratet haben, wurden mit teilweise recht bitteren Gefühlen abgelehnt, wenn die Kinder das Gefühl hatten, daß die Mutter in ihrem Eifer, ihrem neuen Mann oder Liebhaber zu gefallen, die Kinder außen vor ließ. Die Kinder waren auch verärgert, wenn Mütter die Aufgabe, für Disziplin zu sorgen, an Stiefväter delegierten, die als unfair, hart und wenig fürsorglich erlebt wurden. Eine solche Dynamik beobachteten wir am häufigsten bei adoleszenten Söhnen. Einige der jungen Menschen verließen ihr Zuhause mit 16 oder 17 und klagten über eine grausame und ungerechte Disziplin zu Hause sowie über ein gegen sie gerichtetes Bündnis zwischen Mutter und Stiefvater. Die Intensität der Wut war zehn Jahre später noch nicht gemildert. „Ich werde ihr dies mein Leben lang nicht verzeihen", sagte John, als er Ende zwanzig war.

Mutter-Tochter-Beziehungen, die häufig eng und von gegenseitiger Unterstützung geprägt waren, während die Tochter aufwuchs, wurden für beide sehr schmerzlich, als es in der Adoleszenz und im jungen Erwachsenenalter zu unvermeidlichen Trennungen kam, sofern es der Mutter nicht gelungen war, eine Beziehung zu einem Mann aufzubauen. Töchter übernahmen schon in einem sehr frühen Alter die Verantwortung für das emotionale Gleichgewicht der Mutter, auch wenn die Mutter eine kompetente Person war, die im Berufsleben gut funktionierte. Oft war die Tochter die einzige, der es erlaubt war, die Verletzlichkeit und Einsamkeit der Mutter zu sehen. Die jungen Frauen dieser Gruppe litten an intensiven Schuldgefühlen und moralischen Konflikten, denn sie hatten das Gefühl, ihre Mutter im Stich zu lassen, da diese niemand anderen hatte, an den sie sich hätte wenden können. Wenn die Scheidung vom Vater ausgegangen war, neigte die Tochter besonders leicht dazu, sich als Verfolger zu fühlen, der das vorhergegangene Trauma des Verlassenwerdens für die Mutter wiederholt. Molly sagte als 27jährige dazu: „Ich bin ein Mensch, der außerordentlich leicht Schuld und Sorge empfindet. Ich denke, dies hat mit meiner Mutter zu tun. Sie ist einsam. Sie möchte mich in ihrer Nähe haben. Wenn sie in den Ruhestand geht, wird sie allein sein. Es ist wichtiger für mich, daß sie heiratet, als daß ich selbst heirate. Was wird sie ohne mich tun? Seit ich fünf Jahre alt war, hat mich meine Mutter wie eine Freundin behandelt. Sie hat erwartet, daß ich stark bin und sie unterstütze. Ich muß sie beschützen, denn letztendlich hat sie niemanden außer mir." Diese inneren Konflikte tragen häufig zu den Sorgen dieser jungen Frauen aus geschiedenen Familien noch Jahre nach der Scheidung bei.

Wir haben in früheren Arbeiten die große Angst beschrieben, die Kinder aus geschiedenen Ehen erleben, wenn sie sich der Liebe und der sexuellen Intimität annähern, um langfristige Beziehungen aufzubauen. Dies ist eine zu erwartende Konsequenz aus der elterlichen Ehescheidung, die am Übergang zum Erwachsenenleben an Bedeutung und Gewicht gewinnt. Nach 25 Jahren konnten wir beobachten, wie sich diese Problematik während des dritten Jahrzehnts entfaltet hatte. Die jungen Erwachsenen waren sehr ängstlich, wenn es um die Ehe und die Gründung einer eigenen Familie ging. Dieses Thema war zentral während ihres gesamten dritten Lebensjahrzehnts. Sie machten sich praktisch permanent Sorgen darüber. Sie suchten Therapien, um ihre Ängste vor Nähe zu überwinden. Sie strengten sich an zu erlernen, was ihnen nach ihrem Empfinden entgangen war. Sie beklagten sich bitterlich, daß sie nie ein glücklich verheiratetes Paar gesehen hätten. „Manchmal kommt es mir vor, als wäre ich auf einer einsamen Insel aufgewachsen", sagte Cathy. „Liebe verbunden mit sexueller Intimität ist eine fremde Vorstellung für mich." Männer und Frauen litten gleichermaßen unter der Befürchtung, im Stich gelassen und von ihren Geliebten oder Ehegatten betrogen zu werden.

Diese Angst, die Erwachsenen-Beziehungen entgegengebracht wurde, war bei Kindern, deren Eltern sich auf bittere Weise getrennt hatten, nicht anders als bei jenen, deren Eltern während der Scheidung und in den Jahren danach kultiviert miteinander umgegangen waren. Auch die Häufigkeit oder der Umfang des Kontaktes mit dem Vater in der Zwischenzeit spielte keine Rolle. Nora, die ihren Vater regelmäßig gesehen hatte, hatte mit 17 Jahren noch nie einen Freund gehabt. Sie sagte: „Es ist nicht der Sex, der mir Angst macht. Es ist die Nähe." Nahezu alle Untersuchten gingen davon aus, daß sie ein hohes Risiko haben, selbst eine Scheidung zu erleben. Sie erwarteten ärmliche Schwierigkeiten, wie sie ihre Eltern erlebt hatten, und machten sich Sorgen, auch ihre Kinder könnten die Belastungen des Aufwachsens in einer Scheidungsfamilie erleben. Es gab unterschiedliche Strategien zur Bewältigung dieser Ängste. Ein Viertel versuchte Beziehungen überhaupt zu vermeiden. Betty, eine 27jährige, sagte: „Ich möchte mich nie scheiden lassen. Daher kann ich auch nicht heiraten. Und aus diesem Grund kann ich auch kein Rendezvous vereinbaren." Ein anderes Viertel hat geheiratet. Zwei davon haben sich früh scheiden lassen.

In mehreren dieser Ehen haben die jungen Leute fürsorgliche, liebende Partner gefunden, die ihrer Selbstachtung einen entscheidenden Auftrieb gaben und ihre Ängste zu zerstreuen vermochten. „Es ist das Beste, was nur je passiert ist", sagte Cora, eine erfolgreiche berufstätige Frau, die als 19jährige akut depressiv und suizidal war. „Es war Liebe auf den ersten Blick. Er ist hilfreich und sehr verständnisvoll. Er ist ein Fels. Er sorgt in wunderbarer Weise für mich. Er kompensiert die Defizite meiner beiden Eltern." Im allgemeinen fingen die jungen Leute an, mit mehr Vertrauen von Beziehungen zu reden, als sie über 30 Jahre alt waren.

Karen äußerte sich kritisch über einen geschiedenen Freund. Sie sagte: „Es ist zu einfach, das Handtuch zu schmeißen und nicht zu versuchen, mit den Dingen zurechtzukommen. Ich möchte mich nie scheiden lassen. Ich hatte immer das Gefühl einer inneren Stärke in mir. Das hat mir in all den Jahren geholfen. Ich weiß nicht, woher diese Stärke kam. Aber ich weiß, daß sie da ist, weil ich mich immer auf mich selbst verlassen mußte."

Auf der positiven Seite können wir auch vermerken, daß der schwere Drogen- und Alkoholmißbrauch, der oft in der frühen oder mittleren Adoleszenz begann, in der Regel in den frühen oder mittleren Zwanzigerjahren abnahm und Ende zwanzig meistens verschwunden war.

Schlussfolgerungen

Die Ergebnisse dieser follow-up-Studie haben weitreichende Implikationen für die Politik und für die Praxis innerhalb und außerhalb der Gerichte. Sie stellen grundlegende Annahmen über die Auswirkungen der Scheidung auf Kinder in Frage, die für das Recht und die daraus resultierenden Maßnahmen bisher bestimmend waren. Unser Denken wurde bisher vor allem durch die Erfahrung der Erwachsenen beeinflußt. Aus der Perspektive von Erwachsenen ist eine Scheidung eine zeitlich limitierte, umschriebene Krise, die vor allem durch die Ereignisse während des Zusammenbruchs der Ehe bestimmt wird. Es wird erwartet, daß - sofern die beiden Erwachsenen ein vernünftiges und faires Arrangement bezüglich finanzieller, rechtlicher und elterlicher Angelegenheiten, über die Differenzen bestehen, finden - die Wunden langsam heilen und beide ein neues, eigenständiges Leben aufbauen können. Das gleiche Konzept wurde auf die Kinder angewandt und rührte zu einem systematischen Fokus auf Fragen des Sorgerechts, des Umgangs und des Unterhalts in der Erwartung, daß die Partner mit der Klärung dieser Angelegenheiten und dem allmählichen Schwinden der Bitterkeit wieder in der Lage sein würden, ihren elterlichen Pflichten nachzukommen, und daß das Kind zu einem normalen Entwicklungsprozeß zurückkehren würde.

Unsere Ergebnisse erzählen jedoch eine andere Geschichte. Sie zwingen uns zu einem grundlegenden Umdenken. Im Gegensatz zu den Erfahrungen der Erwachsenen erreicht das kindliche Leiden seinen Höhepunkt nicht während der akuten Krise, um danach sukzessiv abzunehmen. Im Gegenteil, die Scheidung ist für das Kind eine kumulative Erfahrung. Ihre Auswirkungen nehmen im Laufe der Zeit zu. Auf jeder Stufe der Entwicklung werden die Folgen erneut und auf verschiedene Weise erlebt. Kinder haben uns erzählt, wie sie in den Jahren unmittelbar nach der Scheidung unter Einsamkeit und einem gravierenden Verlust an elterlicher Fürsorge litten. Sie erinnern sich an diese Jahre noch lange, nachdem die Zeit der Ehekrise und Scheidung im Gedächtnis verblaßt ist. Die Auswirkungen der Scheidung gewinnen an Stärke, wenn die Kinder in die frühe Adoleszenz eintreten und oft ungenügend beaufsichtigt und beschützt werden und wenn zusätzlich (falls dies nicht schon früher geschah) von ihnen verlangt wird, sich an neue Stiefeltern und Stiergeschwister anzupassen. Die Auswirkungen werden in der Spätadoleszenz nochmals verstärkt, wenn finanzielle Nöte die Kinder daran hindern, eine Berufswahl zu treffen oder Bildungschancen wahrzunehmen, die dem sozioökonomischen Status der Eltern entsprechen würden. Und nochmals, wenn bei den jungen Erwachsenen die Angst wächst, die eigenen, erwachsenen Beziehungen könnten wie jene der Eltern scheitern. Die Auswirkungen der elterlichen Scheidung werden in den ersten drei Jahrzehnten des Lebens dieser Kinder immer und immer wieder durchgespielt. Natürlich bedeutet das nicht, daß daraus immer unglückliche oder scheiternde Kinder bzw. Erwachsene werden. Aber eine Reihe von speziellen und schwierigen Aufgaben überlagert zusätzlich die ganz normalen Aufgaben, die in den verschiedenen Entwicklungsphasen zu bewältigen sind. Viele Kinder, die dazu fähig waren, frühere Entwicklungsstadien erfolgreich zu durchlaufen, kommen in einem späteren Entwicklungsstadium nicht zurecht, weil ihre Ressourcen erschöpft sind.

Ausgehend von einem solchen adäquateren Verständnis müssen wir uns im Interesse der Kinder nicht nur fragen, wie wir sie heute, in der akuten Situation, schützen können, sondern auch Maßnahmen ergreifen, die gewährleisten, daß ihre Interessen auch in Zukunft - in den jeweiligen Entwicklungsphasen des Erwachsenwerdens - geschützt sind. Was können wir heute unternehmen, um die Kinder angemessen zu schützen, wenn sie älter werden, mehr Bedürfnisse haben, vermehrten Respekt erwarten und ein Mitspracherecht bei der Planung ihres Lebens haben wollen? Es gibt Gesetzesvorhaben, die seit Jahren auf Eis liegen und die sich mit den langfristigen finanziellen Ansprüchen von Kindern befassen. Sie schlagen vor, daß Geldmittel zur Unterstützung von Kindern angelegt oder treuhänderisch verwaltet werden, bevor das eheliche Vermögen aufgeteilt wird. Diese und andere Pläne, die sich auf das reale Kind in einer realen Scheidungsfamilie beziehen, sollten dringend umgesetzt werden, um die Nöte dieser Kinder zu lindern.

Die jungen Menschen dieser Studie haben uns aber noch weit mehr zu sagen. Viele haben sich weder durch ihre Eltern noch durch das Gesetz geschützt gefühlt. Sie fühlten sich übergangen, weil von ihnen erwartet wurde, sich ohne Widerspruch Besuchs- und Sorgerechtsbestimmungen zu fügen, die festgelegt wurden, ohne ihre Bedürfnisse zu erücksichtigen, und die häufig von ihnen als willkürlich und repressiv empfunden wurden. Während der Vorschulzeit mag dies oft kein zentrales Thema gewesen sein. Aber es wurde innerhalb einiger Jahre zu einem ernsten Problem, wenn von den Kindern trotz der entwicklungsbedingten Veränderungen erwartet wurde, daß sie sich weiterhin an die ursprüngliche Abmachung hielten. Jugendliche, deren Leben durch gerichtliche Anordnungen oder elterliche Abmachungen gesteuert wurde, litten unter dem Verlust von Freiheit, über die ihre Altersgenossen selbstverständlich verfügten. Es bedeutete für sie, daß sie weniger Mitspracherecht hatten, weniger über ihre eigenen Zeitpläne verfügen konnten und weniger Einfluß darauf hatten, zu bestimmen, wann und wo sie ihre Zeit verbringen wollten, speziell ihre kostbaren Ferien.

Das Bild, das die Gerichte von Kindern haben, steht in eigentümlichem Widerspruch zu unserem Wissen und den persönlichen Erfahrungen in unseren eigenen Familien. Die durchschnittliche Familie begrüßt und unterstützt die sich verändernden, entwicklungsbedingten Fähigkeiten und Ansprüche der Kinder. Aber das durch das Gericht kreierte Kind ist ein passives Wesen, eine Stoffpuppe, die in jener Position zu verharren hat, in die man sie plaziert. Es ist fast eine Nichtperson, der merkwürdiger Weise eigenständige moralische Vorstellungen oder Meinungen fehlen, die auf eigenen Beobachtungen und Erfahrungen basieren. Man erwartet vom Kind, daß es sich zufrieden und still in die Sorge- und Ümgangsregelungen fügt, die die jeweils zuständigen Richter oder Eltern selbst arrangiert haben. Man gibt ihm keine formelle Möglichkeit, eigene Ansichten auszudrücken oder gar Präferenzen in bezug auf verschiedene Abmachungen zu äußern. Und vor allem wird erwartet, daß seine Entwicklung zu einem kompletten Stillstand kommt, so daß die Gerichtsmaßnahmen oder Vereinbarungen, die auf ein sechsjähriges Kind zugeschnitten sind, auch in den darauffolgenden Jahren passen.

Aber die realen Kinder dieser Studie waren keineswegs damit zufrieden, stumm und fügsam zu sein. Viele von ihnen fühlten sich wie in einer Falle. Sie wollten gehört werden, wenn es um die Festlegung eines doppelten Wohnsitzes ging. Sie wollten nicht, daß darüber ohne ihre Mitsprache verfügt wird, denn schließlich wußten sie am besten, wie es sich anfühlt, zwischen zwei Orten zerrissen zu sein. Sie wollten sich sicher fühlen und waren voller Angst, wenn sie allein reisen mußten. Sie wurden fast krank vor Sorge, daß das Flugzeug abstürzen könnte oder daß man sie nicht abholen würde. (Übrigens, wie viele von uns glauben wirklich, daß die Tausende von Kindern, die quer durchs ganze Land zum Wohnort eines ihrer Eltern fliegen und teilweise jünger als vier Jahre sind, mit den getroffenen Abmachungen zufrieden sind, sich geliebt und beschützt fühlen und Vertrauen haben, daß ein Elternteil freudig auf sie warten wird, um sie zu begrüßen?). Diese Kinder wollten, daß ihre Sorgen gehört werden. Sie wollten insbesondere über Ferienpläne mitreden können, die zunehmend an Bedeutung gewinnen, wenn Kinder älter werden und sich das ganze Jahr darauf freuen, Ferien voller spannender Aktivitäten mit ihren Freunden zu verbringen. Warum haben wir diese Kinder damit bestraft, ihre Ferien mit einem Elternteil zu verbringen und zwar so, daß es in die Zeitpläne der Eltern paßt? Es ist sicherlich eine wichtige Botschaft an uns alle, daß die jungen Menschen dieser Studie, die durch Gerichtsmaßnahmen dazu gezwungen wurden, ihre Eltern nach einem rigide festgelegten Zeitplan zu besuchen, jeden Kontakt mit ihnen zurückwiesen, sobald sie erwachsen wurden.

Das Versäumnis der Gerichte, die sich verändernden Ansprüche des Kindes im Laufe seiner Entwicklung zu berücksichtigen und das Kind im Zuge seiner Reifung an der Planung seines Lebens zu beteiligen, ist schwer zu rechtfertigen. Es ist, als würde man ein Kind von zwölf Jahren dazu zwingen, Schuhe eines Sechsjährigen zu tragen, um dann, wenn es sich beklagt, daß die Schuhe drücken, oder weint, weil es anfängt zu humpeln und schließlich gar nicht mehr laufen kann, alle seine Einwände beiseite zu schieben und fanatisch auf dem Recht der Eltern zu bestehen, die Schuhe ihrer Kinder auszusuchen. So wie es aussieht, sind nicht viele bereit, sich auf eine individuelle Behandlung der Probleme einzulassen bzw. ein System zu reparieren, das dringend einer Revision bedarf.

Schließlich haben wir gelernt, daß das Mutter- und Vatersein in der Nachscheidungsfamilie unendlich komplexer und schwieriger ist, als wir ursprünglich angenommen haben. Die elterlichen Funktionen auszuüben verlangt von Scheidungsfamilien eine heroische Anstrengung, und nicht jeder kann ein Held sein. Die mütterlichen Funktionen auszuüben ist besonders schwierig, wenn die Kinder noch klein sind und die Mutter gezwungen ist, wieder voll zu arbeiten. Wenn man bedenkt, wie sehr Kinder leiden, wenn das Auseinanderbrechen der Familie mit dem Verlust elterlicher Fürsorge einhergeht, sollte man überlegen, ob sich nicht Übergangsphasen gestalten ließen, in denen kleine Kinder besser geschützt wären und die Eltern die Möglichkeit hätten, allmählich angemessenere, weniger überstürzt arrangierte Versorgungslösungen zu entwickeln. Diese Zeit könnten auch die Mütter nutzen, um eine Arbeit zu finden, die besser mit der Kinderversorgung zu vereinbaren wäre.

Die Instabilität der Vater-Kind-Beziehung, die sich in dieser Studie gezeigt hat, ist besorgniserregend. Die Bindung zwischen Vater und Kind scheint stark durch Kräfte beeinflußt zu werden, die weitgehend unabhängig sind von der elterlichen Interaktion während der Scheidung, die bislang im Mittelpunkt aller Interventionen gestanden hatte. Angesichts der Instabilität des Kontakts und der Variabilität in der Qualität der Beziehung der Eltern zu ihren Kindern ist es unwahrscheinlich, daß diese Kinder mit der treusorgenden und liebevollen Zuwendung beider Eltern während der Jahre ihres Aufwachsens rechnen können. Dennoch könnte es für beide Eltern hilfreich sein, an Kursen teilzunehmen, die die Langzeitprobleme und die kommenden Herausforderungen nach einer Scheidung thematisieren. Auf die Bedeutung der Langzeitperspektiv kritisch hinzuweisen war das zentrale Anliegen dieser Arbeit.

1 ) Der Beitrag erschien unter dem Titel „The long-term impact of divorce on children - A first report from a 25-year study". Family and Concliation Courts Review, Bd. 36, Nr. 3, Juli 1998, Seite 368-383, und wurde von M. Leuxinger-Bohleber und A. Leszczynska-Koenen, Frankfurt im Main, übersetzt.

2) Hyperion Verlag, New York 2000.

In: Zeitschrift für das gesamte Familienrecht - FamRZ - H.2, 2001
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