FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Artikel / Jahrgang 2008

 

               Gleichstellung von Frauen und Integration
von Ausländern gescheitert?

               Alarmierende geschlechts- und herkunftsspezifische
 Unterschiede bei vorläufigen Schutzmaßnahmen für Kinder
 und Jugendliche durch die Jugendämter

von Rainer Becker

 

In Zusammenhang mit einer tiefer gehenden Analyse des Hellfeldes und der Tendenzen bei Kindesmisshandlungen in Deutschland ging es zunächst nur um möglicherweise erkennbare geschlechtsspezifische Unterschiede bei den betroffenen Kindern und Jugendlichen.

Im Verlauf der Untersuchungen wurden neben festzustellenden extrem signifikanten geschlechtsspezifischen Unterschieden bei den betroffenen Kindern und Jugendlichen ebenso extrem signifikante Unterschiede bezüglich deutscher und nicht-deutscher Betroffener deutlich, die alarmierende Schlüsse, sowohl was die Gleichstellung von Frauen in Deutschland als auch die Integration von Ausländerinnen und Ausländern in unsere Gesellschaft angeht, zulassen.

Auf Grund der Tatsache, dass die Polizei Hinweise auf die Misshandlung von Kindern und Jugendlichen obligatorisch den Jugendämtern mitteilt, damit diese gezielt Maßnahmen zum Schutz des gefährdeten Kindswohls einleiten können, während Jugendämter Hinweise auf Kindesmisshandlung eher nicht regelmäßig bei der Polizei anzeigen, ist davon auszugehen, dass sich vollständigere Hinweise auf die Misshandlung von Kindern und Jugendlichen eher aus den Statistiken über vorläufige Schutzmaßnahmen der Jugendämter gemäß § 42 SGB VIII gewinnen lassen als der – eben weniger vollständigen - Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS).

So ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die der Polizei bekannt gewordenen Zahlen in die Statistiken der Jugendämter mit eingeflossen sind.

Aus  diesem Grunde haben die Verfasser sich bei ihrer Analyse intensiv mit den Statistiken über vorläufige Schutzmaßnahmen der Jugendämter in den Jahren 2002 bis 2006 befasst.

Und während es anfänglich zunächst um geschlechtsspezifische Unterschiede bei den betroffenen Kindern und Jugendlichen ging, wurden danach noch Unterschiede zwischen deutschen und nicht-deutschen Betroffenen untersucht.

Um es vorwegzunehmen:

Die Verfasser sind zu dem erschütternden Ergebnis gekommen, dass es bei Mädchen ab ihrem 12. Lebensjahr kontinuierlich extrem mehr Hinweise auf Misshandlungen als bei Jungen gibt.

Es geht hier um Zahlen, die zum Teil rund knapp dem Vierfachen entsprechen!

Das gegenwärtige Fazit der Verfasser lautet, dass, wenn ein Land nicht in der Lage ist, seine Mädchen und werdenden Frauen vor Gewalt zu schützen, die Gleichstellung von Frauen in unserer Gesellschaft im Jahr 2007 dem Grunde nach als noch völlig unzureichend zu bewerten ist.

Nach den erhobenen Zahlen scheint die später als solche bezeichnete in aller Regel dann gegen Frauen gerichtete  häusliche Gewalt  bereits im Elternhaus ab dem Alter von 12 Jahren zu beginnen.

Vor diesem Hintergrund sollte z. B. die Förderung von  Frauenschutzhäusern und Interventionsstellen in jedem Falle aufrechterhalten und eher weiter ausgebaut werden als es gegenwärtig der Trend zu sein scheint.

Erschütternd sind  auch  die Untersuchungsergebnisse bezüglich Hinweisen auf Misshandlung bei nichtdeutschen Jungen und Mädchen.

Obwohl nur zu rund 9 % in der vergleichbaren Altergruppe vertreten, gibt es bei bis zu rund 25 % der ausländischen Jungen Hinweise auf Misshandlungen.

Bei den ausländischen Mädchen sieht es noch erschreckender aus.

Sie sind ebenso nur zu rund 9 % in der vergleichbaren Altersgruppe vertreten und trotzdem gibt es bei ihnen in rund bis zu 33 % der Fälle Hinweise auf Misshandlungen.

Die extremen Werte legen weiter gehende Schlüsse auf – nicht erfasste – Fälle von Deutschen mit Migrationshintergrund nahe.

Zu beachten ist weiterhin, dass erfahrungsgemäß bei Ausländerinnen und Ausländern eine deutlich höhere Zurückhaltung besteht, sich gegenüber Behörden oder gar der Polizei zu offenbaren.

Dies gilt analog bezüglich einer „Einmischung“ potentieller Hinweisgeber aus dem Umfeld der Betroffenen.

Bei dem erwähnten extrem hohen Anteil von Ausländern und Ausländerinnen muss daher gegenüber deutschen Betroffenen von zusätzlich von einem deutlich höheren Dunkelfeld ausgegangen werden.

Aus Sicht der Verfasser wäre es verfrüht, über die Ursachen der alarmierenden Zahlen zu spekulieren.

Die gelegentlich zu vernehmende These, dass dies daran zu liegen scheint, dass ausländische Kinder und Jugendliche eher den unteren sozialen Schichten angehören, in denen vergleichbar den deutschen eben mehr misshandelt wird, ist wegen der o. g. Zahlen in dieser Allgemeinheit eher zu bezweifeln, wenngleich das Verhältnis zur Gewalt (den eigenen Angehörigen gegenüber) sicherlich auch eine Bildungsfrage ist.

Nach den Erfahrungen des LKA Berlin kann dies zwar im Bereich der Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht ( Vernachlässigung) bestätigt werden, die Misshandlung selber macht nach den Erfahrungen der Berliner Kollegen jedoch nicht vor gehobenen sozialen Schichten halt.

Hier sind dringend weiter und tiefer gehende Untersuchungen geboten.

Die folgenden ersten detaillierteren Untersuchungsergebnisse können und sollen bereits jetzt eine Rückkoppelung für die bisherigen Ergebnisse der Gleichstellungs- und Integrationspolitik in Deutschland darstellen.

Darüber hinaus können und sollten sie einen Beitrag für die Ausrichtung weiterer – polizeilicher - Präventionsarbeit liefern, da sie  den Fokus auf weitere/andere potentielle Opfer auszurichten helfen.

Und vor dem Hintergrund der Zahlen bezüglich des stark dominierenden Anteils von Tätern mit Migationshintergrund gerade bei Gewaltdelikten scheint dies ein deutlicher Hinweis darauf zu sein, dass anscheinend zumindest die männlichen Opfer von familiärer Misshandlung heute (zu) oft zu den Tätern von morgen werden.

Sollten wir daher nicht lieber heute mehr Angst und Sorge um unsere Kinder haben, bevor wir morgen Angst vor ihnen haben müssen?

Bei all den aktuellen Diskussionen um eine Verschärfung des Jugendstrafrechts wird aus Sicht der Verfasser der Aspekt der so genannten Primärprävention viel zu stark ausgeblendet.

Einen Strafvollzug wird es immer geben (müssen) und zweifellos muss die Gesellschaft vor denen geschützt werden, die uns bereits entglitten sind, aber sollte die Priorität nicht zumindest darauf verlegt werden, vermehrt  in die

(Primär-)Prävention  und dann erst in den – grundsätzlich teureren und in aller Regel fruchtloseren - Strafvollzug zu investieren?

Das menschliche Verhalten und seine Motive sind viel zu komplex, um angebliche Allheilmittel wie mit der Gießkanne verteilen zu wollen.

Wo bei dem einen die Diversion ausreicht, benötigt der andere eine schärfere Strafandrohung, und wo Präventionskonzepte in einem Bereich erfolgreich greifen, versagen sie in anderen.

Es bedarf individueller und zügiger Maßnahmen im sozialen Nahbereich, die flexibel angewandt und ggf. angepasst werden können.

Die aufgekommenen Diskussionen sind losgelöst von aller Emotionalität auf alle Fälle insoweit positiv zu bewerten, dass sie Bisheriges und auch Tabuthemen wie das der Kriminalitätsbeteiligung von Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund in Frage stellen.

Und das ist zunächst einmal gefordert: Infragestellen und offen sein.

So könnte und sollte z. B. bei Integrationskursen für Ausländerinnen und Ausländer vermittelt werden, dass es in Deutschland seit dem Jahr 2000 kein Züchtigungsrecht für Erziehungsberechtigte mehr gibt und dass das Schlagen von Kindern und Jugendlichen zunächst einmal als Körperverletzung oder Kindesmisshandlung und somit als Straftat gilt.

Und dass sich Verurteilungen wegen Straftaten nachteilig bei angestrebter deutscher Staatsangehörigkeit oder auch nur längerfristiger Aufenthaltserlaubnis auswirken können.

Familienhebammen sollten Problemfamilien so früh wie möglich betreuen und begleiten.

Elternschulen sollten (werdende) Eltern qualifizieren und helfen, zu einer gewaltfreien Erziehung beizutragen.

Das Bildungsangebot gerade für Kinder aus Problemfamilien sollte von der Kindertagesstätte bis zur Schule angepasst und intensiviert werden.

Dies gilt auch und gerade bezüglich der Reduzierung sprachlicher Defizite, die bereits im Bildungssystem selber, aber auch im späteren Berufsleben zu sozialen Nachteilen und Konflikten führen.

Beschränkungen von Gewaltdarstellungen in den Medien, Beschränkungen für den Vertrieb gewaltverherrlichender Spiele könnten zumindest einen Teilbetrag zu einer gewaltfreieren Gesellschaft leisten.

Keine der auch nur beispielhaft angeregten Maßnahmen - wie auch eine Verschärfung des (Jugend-)Strafrechts - wird  in der Lage sein, alle Probleme zu lösen, aber jede von ihnen kann einen weiteren und sei es kleinen Teilbetrag zu Verbesserung der Situation leisten

Die nachfolgenden Untersuchungsergebnisse basieren auf einer Analyse des vom Statistischen Bundesamt erhobenen Zahlenmaterials.

Durch die größere zur Verfügung stehende Datenmenge, auf die hier zurückgegriffen werden konnte, waren so Tendenzen, die sich z. B. in Bundesländern mit geringem Ausländeranteil erst zeitverzögert abgezeichnet hätten, eher zu erkennen, was dennoch – geringe – länderspezifische Unterschiede nicht ausschließt.

Bezüglich der Hinweise auf die Misshandlung von Mädchen gab es keine erkennbaren Unterschiede zwischen den alten und neuen Bundesländern.

In dem zur Verfügung stehenden Zahlenmaterial aus den Ländern erfolgte keine Differenzierung mehr zwischen Inobhutnahmen auf eigenen Wunsch und Inobhutnahmen wegen Gefahren.

Bei den Inobhutnahmen auf eigenen Wunsch (wg. Gefahren?) dominierte(n) die Altersgruppe ab 14 Jahre und hier – die Untersuchungsergebnisse der Verfasser bestätigend – die weiblichen Betroffenen.

Bezüglich der nicht-deutschen Betroffenen ist zu beachten, dass dem statistischen Material keine Aufschlüsselungen nach Altersgruppen zu entnehmen waren, so dass sich die Aussagen somit allgemein auf die Altersgruppe von 0-18 Jahren erstrecken müssen, was dennoch aufschlussreich genug sein dürfte.

Nun zu den Untersuchungsergebnissen im Einzelnen:

 

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