FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Artikel / Jahrgang 2000

 

Zur Situation von Familien mit behinderten Pflegekindern

von Sylvia Koppe, Christoph Malter und Martina Stallmann (Sept. 00)

 

Im September 1997 erhielten 694 Mitglieder des Bundesverbandes behinderter Pflegekinder per Post einen umfangreichen Fragebogen, in dem sie anonym um Auskünfte zu ihrer familiären Situation und der ihrer behinderten Pflegekinder gebeten wurden. 187 Familien haben den Fragebogen ausgefüllt und zurückgeschickt. Von weiteren 43 Mitgliedern erhielten wir die Mitteilung, daß sie zwar Mitglieder im Bundesverband behinderter Pflegekinder sind, selbst aber keine behinderten Pflegekinder in ihrer Familie haben, und daher der Fragebogen für sie nicht relevant wäre. Es ergab sich somit eine Rücklaufquote von 29%.

Die ausgefüllten Fragebögen enthalten eine Vielzahl von Informationen (ca. 39.300 Informationseinheiten aus den 56 Fragen), die statistisch ausgewertet wurden. Sie bilden den Ausgangspunkt und die Basis der folgenden Ergebnisbeschreibungen. Die Darstellung der Ergebnisse hat drei Teile. Im ersten Teil werden die Familien zunächst im allgemeinen beschrieben, und zwar hinsichtlich soziodemographischer Kriterien in Bezug auf die Frage, wie sie zu einem Pflegeverhältnis gefunden haben und schließlich dazu, wie das aktuelle Pflegeverhältnis aussieht. Der zweite Teil befaßt sich mit den von den Pflegeeltern genannten Problemen und Schwierigkeiten, und der dritte Teil thematisiert das Selbstverständnis der Pflegeeltern.

1. Allgemeine statistische Beschreibung der Pflegefamilien
1.1. Soziodemographisches

Ein besonders auffälliges soziodemographisches Merkmal derjenigen Familien, die einen Fragebogen zurückgeschickt haben, ist ihre Haushaltsgröße: immerhin 67% der Familien geben an, daß ihr Haushalt 5 Personen und mehr umfaßt. Kleinere Haushalte von bis zu vier Personen, sind dagegen nur zu 33% vertreten. Ein Vergleich mit den Zahlen der amtlichen Statistik (Mikrozensus 95) verdeutlicht diese Besonderheit: Die Durchschnittsfamilie mit Kindern in der Bundesrepublik Deutschland umfaßt lediglich zu 13% 5 Personen und mehr; Haushalte mit bis zu vier Personen machen hier mit 87% den Hauptanteil aus (Statistisches Bundesamt 1997a, S. 34).

In der Regel gibt es in den befragten Familien zwei verheiratete Erwachsene (82%); Alleinerziehende kommen zu 14% und unverheiratete Paare zu 4% vor. Leibliche Kinder leben in nur etwas mehr als der Hälfte (52%) der Haushalte. Dementsprechend oft wird in den Fragebögen Kinderlosigkeit als Motiv für den Schritt zu Inpflegenahme von Kindern angegeben.

In den befragten Familien leben sowohl behinderte als auch nicht behinderte Pflegekinder; wobei die überwiegende Zahl von ihnen behindert (80%) ist. Fast alle Pflegekinder - behindert oder nicht - befinden sich in unbefristeter Vollzeitpflege (96%). Hinzu kommt ein relativ hoher Anteil adoptierter Kinder (in 20% der Familien).

Die Verteilung der Aufgaben in den Familien ist meist traditionell: in 59% der Familien ist der Mann vollzeit erwerbstätig und die Frau hat ihr Tätigkeitsfeld ausschließlich in Kindererziehung und Haushalt. Die mit 18% zweithäufigste Variante besteht in einer Vollzeittätigkeit des Mannes und einer reduzierten Erwerbstätigkeit der Frau.

Zum Vergleich: in der Durchschnittsbevölkerung ist - laut Mikrozensus 1992 - bei Ehepaaren mit Kindern der Ehemann zu 43% (früheres Bundesgebiet) bzw. 21% (neue Länder) allein erwerbstätig (Statistisches Bundesamt 1995, S. 66); allerdings liegt in der ‘statistischen Durchschnittsfamilie’ die Haushaltgröße und damit die Kinderzahl - wie oben gesagt - erheblich unter der in den befragten Pflegefamilien.

Ein besonderes Merkmal der Familien besteht in ihrem Grad der Professionaliserung in bezug auf ihre Aufgaben als Pflegeeltern. Damit ist an dieser Stelle nicht eine spezifische Ausbildung von Pflegeeltern, die behinderte Kinder aufnehmen wollen, gemeint (z.B. Pflegelternschule), sondern ihre berufliche Ausbildung. Bei den befragten Familien zeigt sich, daß zu 68% wenigstens ein Pflegeelternteil eine entsprechende berufliche Ausbildung hat (Pflegeeltern mit Kenntnissen im sozialen, pflegerischen oder pädagogischen Bereich). Meist sind es die Frauen, die über eine derartige Qualifikation verfügen (66%), bei den Männern liegt dieser Anteil bei 31%. Bei den angegebenen Berufen wird zu 30% Erzieher/in und Heilerzieher/in genannt. Es folgen mit 28% Berufsangaben aus dem medizinischen Spektrum wie Krankenschwester/pfleger. 15% der Nennungen fallen auf die Berufe Lehrer/in bzw. Sonderpädagog/e/in und 13% auf sozialpädagogische Ausbildungen (übrige 14%).

1.2. Weg zu einem Pflegeverhältnis

Danach gefragt, ob der erste Anstoß ein Pflegekind aufzunehmen, eher von Informationsmedien ausging oder von persönlichen Kontakten zu anderen, die mit Pflegekindern zu tun haben, liegt die Mehrzahl der Nennungen (34%) bei den persönlichen Kontakten; Medien werden zu 25% angegeben. Am häufigsten jedoch wird die offene Kategorie ‘andere Gründe’ angekreuzt (41%). Hier schreiben die befragten Pfelgeeltern eine Vielzahl von ganz persönlichen emotionalen Gründen auf, wie z.B. Kinderlosigkeit, die eigene Tätigkeit in einem Heim oder einer Klinik, der Wunsch nach einer großen Familie und allgemeine Kinderliebe.

Der nächste Schritt zu einem Pflegekind führt für die meisten (86%) zum Jugendamt als Verrmittlungsstelle. Das Jugendamt ist jedoch nur zu 44% diejenige Stelle, an der die Familien das erste Mal von ihrem späteren Pflegekind etwas hören. Sehr oft wird statt dessen der Bundesverband behinderter Pflegekinder genannt (21%) sowie die Kategorie ‘anderes’ (15%).

Die erste Kontaktaufnahme mit dem Jugendamt hat die Mehrzahl der Pflegeeltern positiv in Erinnerung (60%); als negativ haben sie 18% erlebt, die übrigen 22% bewerten sie als mittelmäßig. Unabhängig von ihrer Bewertung hätten sich jedoch relativ viele (42%) weitere zusätzliche Angebote zur Vorbereitung des Pflegeverhätlnisses gewünscht. Insgesamt wird die Vorbereitung mit der ‘Durchschnittsnote’ 3,2 bewertet (40% sehr gut/gut - 37% befriedigend/ausreichend - 23% mangelhaft/ungenügend).

Nach der Vorbereitungsphase geht die anschließende Vermittlung eines konkreten Kindes in 50% der Fälle recht schnell, und zwar innnerhalb von bis zu einem Monat; nur bei 13% der Kinder beträgt diese Zeitspanne mehr als 6 Monate. Als Bewertung erhält der Vermittlungsprozeß von den Pflegeeltern die Note 2,7 (55% sehr gut/gut - 30% befriedigend/ausreichend - 15% mangelhaft/ungenügend) - also eine etwas bessere Note als für die Vorbereitung. Immerhin für 16% der Kinder wird dennoch angegeben, daß die Pflegeeltern keine bzw. nur unzureichende Informationen vom Jugendamt über ihr späteres Pflegekind erhalten haben. Auch schätzen 50% den Informationsfluß vom Jugendamt zu den Pflegeeltern als schwierig ein.

Ein besonderes Informationsdefizit liegt dabei in der Beratung seitens der Sozialarbeiter/innen zu behinderungsspezifischen Therapien. Sehr viele Eltern (68%) geben an, bei diesem Problem ganz auf ihre eigene Initiative angewiesen zu sein und keine Unterstützung vom Jugendamt erhalten zu haben. Daß bei dieser Frage auch die Kategorie ‘durch das Jugendamt vermittelte Unterstützung durch andere Einrichtungen’ nur zu 12% angekreuzt wird, deutet auf unzureichende Kenntnisse und mangelnde Verknüpfungen des Jugendamtes mit potentiellen Insitutionen, die behinderungsspezifische Unterstützung anbieten.

1.3. Zu den Pflegekindern

Aus den 187 Familien liegen ausführliche Informationen über 281 Pflegekinder mit Behinderung(en) vor (im Fragebogen konnten für bis zu zwei behinderte Pflegekinder Angaben gemacht werden). Der Mädchen-/Jungenanteil ist annähernd ausgeglichen (49% Mädchen - 51% Jungen). Das Alter der Kinder beträgt im Schnitt 9 Jahre.

Viele der 281 Pflegekinder sind bereits lange in den Familien untergebracht. Zum Zeitpunkt der Befragung beträgt die durchschnittliche Pflegedauer knapp 6 Jahre, wobei einige Kinder gerade erst in die Familien gekommen sind und andere bereits 20 Jahre dort leben. Verglichen mit der amtlichen Statistik zur Vollzeitpflege (Statistisches Bundesamt 1997b, S. 26) liegt die Dauer der Pflege bei den befragten Familien etwas über dem der Pflegeverhältnisse im allgemeinen (vergl. Abbildung 1). Die Skepsis, die einem Pflegeverhätnis mit behinderten Kindern entgegengebracht wird, ist demnach zumindest vor dem Kriterium ‘Dauerhaftigkeit der Pflegebeziehung’ nicht angebracht.

Abbildung 1

Interessant ist auch das Ergebnis, daß sehr viele Pflegekinder - nämlich 43% - bereits im Säuglingsalter (bis zu einem Jahr) in die Familien gekommen sind (siehe Abbildung 2). Auch hier ist wieder ein Vergleich mit der amtlichen Statistik möglich: hier sagen die Zahlen über begonnene Pflegeverhältnisse, daß nur 9% der Kinder jünger als ein Jahr waren und die Mehrzahl (58%) erst in einem Alter von über 6 Jahren in die Pflegefamilien gekommen ist. Die von den Eltern in dieser Befragung berichteten Pflegeverhältnisse unterscheiden sich deutlich vom ‘Durchschnittspflegeverhältnis’ (Statistisches Bundesamt 1997c, S. 23).

Abbildung 2

Mit der Frage nach den Behinderungen wurden für 281 Pflegekinder die verschiedensten Schädigungen, Fähigkeitsstörungen bzw. Beeinträchtigungen erfaßt. Die Unterschiedlichkeit bei der Benennung der jeweiligen Behinderung (Beeinträchtigung, Schädigung) nach medizinischen Diagnosen oder eher soziologisch-pädagogischen Klassifikationen erschwerte die Auswertung. Um möglichst alle Kinder zu erfassen und die Differenziertheit der Behinderungen trotzdem deutlich zu machen, wurde versucht, das jeweils dominante Bild der Behinderung des Kindes herauszufiltrieren und in ein Kategorienschema einzupassen (siehe Tabelle 1). Durch die Vielschichtigkeit der meisten Behinderungen waren Mehrfachnennungen möglich und notwendig, so daß in 17% der Fälle eine einfache Zuordnung nicht möglich war, und sie als Doppelnennungen auftauchen. Waren über drei Nennungen für das dominante Behinderungsbild entscheidend, wurden die Kinder der Kategorie "Mehrfachbehinderung" zugeordnet.

Tabelle 1: Behinderungen der Pflegekinder

I. Behinderungen als Schädigung:

Anzahl

in %

Gesamt

1. durch Alkoholkonsum der Eltern
- Alkoholembryopathie

45

16%

16%

2. durch genetische Defekte
- Down-Syndrom


47


16,7%


17%

3. andere Syndrome

9

3,2%

3%

4. andere Syndrome
- Herz (ohne Down-Syndrom)
- Lunge
- Nieren
- Rheuma


5
5
1
1


1,8%
1,8%
0,3%
0,3%

4%



 

5. durch anderes

17

6,0%

6%

6. Epilepsie

12

4,2%

4%

Zusammen:

142

 

50%

II. Behinderungen als Beeinträchtigung:

Anzahl

in %

Gesamt

1. der kognitiven Fähigkeiten
- i.S.e. Lernbehinderung
- i.S.e. geistigen Behinderung


26
26


9,3%
9,3%

19%

 

2. der motorischen Fähigkeiten
- i.S.e. Körperbehinderung


26


9,3%

9%
 

3. der Wahrnehmung
- i.S.e. Hörbehinderung
- i.S.e. Sehbehinderung
- i.S.e. Wahrnehmungsstörung


6
8
6


2,1%
2,8%
2,1%

7%


 

4. der sozial-emotionalen Fähigkeiten
und der seelischen Konstitution
- i.S.e. Verhaltensstörung
bzw. seelischen Behinderung
- Autismus



42

8



14,9%

2,8%

18%



 

5. mehrerer Fähigkeitsbereiche
i.S.e. Mehrfachbehinderung


39


13,8%


14%

Zusammen:

187

 

66%

Gesamt

329

 

117%

(i.S.e. = im Sinne einer / 100%-Basis: n = 281 Kinder)

Wird die jeweilige ‘Behinderungsart’ in Beziehung zu dem vergebenen Grad der Behinderung (Schwerbehindertenausweis) gesetzt, so ergibt sich die interessante Tatsache, daß die Kinder ohne Schwerbehindertenausweis bzw. mit einem sehr geringen Grad an Behinderung hauptsächlich im sozial-emotionalen Bereich bzw. im Sinne einer seelischen Behinderung beeinträchtigt sind. In 166 Fällen ist ein Grad dB von 100% vergeben worden, das sind 59% der Kinder. Auf die große Gruppe der verhaltensauffälligen Kinder bzw. der seelisch Behinderten entfallen davon lediglich 2%. In 29 Fällen gibt es für diese Art der Beeinträchtigung überhaupt keine zusätzlichen Leistungen bzw. sind im Fragebogen keine Angaben darüber gemacht worden.

1.4. Pflegegeldfragen

In den Fragebogen wurden eigene Fragen zum Umfang der finanziellen Unterstützung des Pflegeverhältnisses aufgenommen. Wie Tabelle 2 zeigt, variieren die Angaben sehr weit, zwischen 400.- DM und 4000.- DM pro Monat/Pflegschaft, was einerseits mit der besonderen Bedürfnislage des jeweiligen Kindes zusammenhängt, aber andererseits die regionalen Unterschiede in der Bewilligungspraxis der Jugendämter und anderer Kostenträger widerspiegelt. Im Schnitt bekommen die befragten Eltern knapp 2000.- DM zur Versorgung ihres Pflegekindes, bei Kindern mit 100% Schwerbehinderung liegt der Wert etwas höher bei knapp 2200.- DM. Die Verteilung auf die unterschiedlichen Unterstützungsarten kann aus Tabelle 2 entnommen werden.

Mit der Höhe der Unterstützung ist die Mehrzahl der Pflegeeltern unzufrieden (58%). Die Unzufriedenen erhalten dabei im Schnitt auch weniger Unterstützung (1633.-DM) als die Zufriedenen (2216.-DM).

Tabelle 2: Finanzielle Unterstützung des Pflegeverhältnisses (ohne Kindergeld),
Kinder in Dauerpflege, n = 260

 

Pflege- und Erziehungsgeld (Jugendamt)

Pflegeversicherung

 

sonstige Unterstützung
 

Gesamt

 

 

239 mit Angaben
3 ohne diese Unterstützungsart
18 o. A

156 mit Angaben
95 ohne diese Unterstützungsart
9 o.A.

36 mit Angaben
215 ohne diese Unterstützungsart
9 o.A.




16 o.A.

Mittelwert
Min
Max

1490.-
413.-
4000.-

850.-
400.-
2345.-

414.-
100,-
3000.-

1988.-
400.-
4000.-

Mittelwert
nur Kinder mit 100% SB
n=145

1479.-


 

905.-


 

460.-


 

2193.-


 

2. Probleme im Zusammenhang mit dem Pflegeverhältnis

Im Fragebogen war zu dieser Fragestellung eine Listenfrage vorgegeben, in der verschiedene Probleme angekreuzt werden konnten. Zusätzlich erfolgte eine Auswertung von offenen Fragen nach Wünschen zur besseren Erfüllung der Aufgaben von Pflegeeltern. Hier waren die Familien aufgefordert ihre Ansichten in eigenen Worten aufzuschreiben.

Den Ergebnissen zur Listenfrage (siehe Abbildung 3) ist zu entnehmen, daß die Probleme mit den rechtlichen und wirtschaftlichen Fragen auf den "Spitzenplätzen" liegen. Sie werden für fast 50% aller Pflegekinder angegeben. Auf Rang eins liegen die Probleme mit rechtlichen Regelungen, knapp gefolgt von Problemen im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Hilfen und von Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit mit dem Jugendamt (fast 47% aller Pflegekinder). Die Persönlichkeit des Kindes macht an vierter Stelle den Familien Probleme (45%). Keine Probleme zu haben, wird dagegen nur für 15% der Kinder angekreuzt.

Abbildung 3

Mit der Rangordnung der angegebenen Problembereiche ist nicht viel anzufangen, weil daraus nicht klar wird, welche konkreten Hindernisse von den Pflegeeltern im Alltag gesehen werden. Hierzu geben die Antworten zu "Wünschen für ihre Aufgaben" und Bemerkungen am Schluß des Fragebogens Auskunft. Diese Angaben ließen sich wie folgt zusammenfassen (Zitate aus den Fragebögen in Anführungszeichen).

2.1. Probleme im Zusammenhang mit den rechtlichen Regelungen

Die über das KJHG gegebenen rechtlichen Regelungen für die Unterbringung von Kindern in Pflegefamilien werden von vielen Pflegeeltern als ungenügend kritisiert. Das bezieht sich auf die im KJHG und des öfteren in zivilrechtlichen Verträgen verankerten gesetzlichen Pflichten und Rechte der Pflegeeltern und des Jugendamtes, sowie auf zusätzliche Hilfeleistungen nach KJHG, BSHG und dem SGB XI (Pflegeversicherung). Pflegeeltern fühlen sich gesetzlich "rechtlos", da ihnen wesentliche Teile der Personensorge nicht zustehen. Es wird ein ungenügender Vertrauensschutz in Bezug auf den Schutz der Daten und der Privatsphäre der Pflegeeltern und des Pflegekindes beklagt. Insgesamt wollen die Pflegeeltern mehr Rechte für sich selbst und ihre Kinder einfordern.

2.2. Probleme im Zusammenhang mit wirtschaftlichen Hilfen

Den wirtschaftlichen Hilfen werden all die Leistungen zugeordnet, die dem Pflegekind (den Pflegeeltern) unter Auslegung der entsprechenden gesetzlichen Regelungen in KJHG, BSHG und SGB XI oder als Nachteilsausgleich zugestanden werden. Die "Entlohnung" der Pflegeeltern und die Berechnung des Pflegegeldes für die Pflegekinder wird im allgemeinen sehr kritisch gesehen.

Es wird die Ungleichheit bezüglich der finanziellen Leistungen in den einzelnen Bundesländern und die Ungleichheit bezüglich der Kriterien zur Vergabe finanzieller Unterstützungen auch innerhalb einzelner Jugendamtsbereiche kritisiert, und eine bundesweit gerechtere Regelung bei der Vergabe von Leistungen und die Erarbeitung einheitlicher Kriterien gefordert. Dabei darf das Kindergeld nicht an das Pflegegeld angerechnet werden. Die fehlende soziale Absicherung der Pflegepersonen bei Aufgabe ihres Berufes aufgrund der Inpflegegabe (z.B. Rentenansprüche u.a.m.) wird beanstandet. Vielen Pflegeeltern macht die Abhängigkeit von den Bearbeiterinnen des Jugendamtes bezüglich der Erstattung/Nichterstattung finanzieller Leistungen zu schaffen. Sie betonen die Abhängigkeit von Engagement und Willen der jeweiligen Sozialarbeiterin und haben oft das Gefühl, "die Sozialarbeiterinnen müßten das Geld aus der eigenen Tasche bezahlen". Durch übergeordnete Regelungen bezüglich der Vergabe und des Anspruchs auf finanzielle Leistungen wird eine Auflösung dieser Abhängigkeit erhofft. Weiterhin besteht ein unangemessen hoher Aufwand zur Beantragung wirtschaftlicher Hilfen (siehe dazu auch weiter unten). Einmalige Hilfen werden oft abgelehnt mit dem Argument des hohen Erziehungsgeldes für sozialpädagogische Pflegestellen. Die finanzielle Mehrbelastung durch die Pflegekinder im allgemeinen und im speziellen die Mehrkosten durch Mehrfachbehinderung (Eigenheime, behindertengerechte Wohnungen, spezielle Nahrung, usf.) werden nicht genug beachtet.

2.3. Probleme mit dem Jugendamt

Das Jugendamt nimmt eine zentrale Stellung bei der Auslegung des KJHG und der Gewährung wirtschaftlicher Hilfen ein. Wir haben die Probleme in der Zusammenarbeit mit dem Jugendamt in Tabelle 3 stichwortartig zusammengetragen. Als weitere Schwierigkeiten, die den vorgenannten Problembereichen nicht direkt zuzuordnen waren, ergaben sich: Probleme mit dem Umfeld, besonders mit anderen Institutionen, Enttäuschung über die Mitmenschen und der Ausschluß behinderter Kinder aus der Öffentlichkeit. Es kommt sogar noch vor, daß Informationen zur Behinderung des Kindes aus Gründen des Datenschutzes an die Pflegeeltern nicht weitergegeben werden.

Tabelle 3

Probleme in der Zusammenarbeit mit dem Jugendamt

  • beklagt wird eine schlechte Zusammenarbeit mit Jugendämtern im allgemeinen, es wird wenig Unterstützung bei der Organisation der Hilfen gegeben, Pflegeeltern "müssen alles allein organisieren, sich informieren, suchen" usf. (nach der Vermittlung - keine Angebote, keine Beratung bzw. ungenügende Vorbereitung z.B. auf psychische Probleme der Kinder)
  • den Sozialarbeiterinnen werden fehlende Qualifikationen vorgeworfen, es wird die Forderung nach mehr praktischer Erfahrung und Selbstkritik seitens der Sozialarbeiterinnen geäußert
  • es werden auffällige Unterschiede in der Bearbeitung gleicher Anträge je nach Jugendamt und Sozialarbeiterin und ungeklärte Zuständigkeiten zwischen Jugendämtern untereinander oder dem Sozialamt o.a. bemängelt
  • die Antragsflut wird enorm kritisiert und damit zusammenhängend auch die Streichung einmaliger Hilfen bzw. die Nichterstattung zusätzlicher Hilfen mit dem Argument, es handle sich bei einer heilpädagogischen Pflegestelle bereits um eine Hilfemaßnahme nach KJHG
  • das Selbstverständnis der Pflegeeltern für ihre sich selbst gestellte Aufgabe wird nicht beachtet
  • der lange Kampf bis zur endgültigen Inpflegegabe einiger Kinder wird als unerträglich bezeichnet (Schwebezustand für alle Beteiligten)
  • die Arbeit mit den leiblichen Eltern wird kritisiert, z.B. konfliktscheue Mitarbeiter, die den Weg des geringsten Widerstandes in der Arbeit mit den leiblichen Eltern gehen, die Besuchsregelungen ungenügend bearbeiten und Geschwisterkontakte ungenügend beachten
  • Pflegeeltern fühlen sich oft nicht ernst genommen, sie fühlen sich als Bittsteller, die lästig sind

2.4. Unterschiede bei den Problemlagen

In unserem ersten Teil haben wir bereits darauf hingewiesen, daß bei der Beantwortung vieler Fragen Differenzen zwischen Pflegekindern, die keinen Schwerbehindertenausweis haben und solchen Kindern mit 100%iger Schwerbehinderung, auftreten. Auch in Bezug auf die angegebenen Problembereiche zeichnen sich erhebliche Unterschiede ab (siehe Abbildung 3 - dort sind Antworten für Pflegekinder ohne Schwerbehindertenausweis gesondert aufgeführt). Besonders gravierend sind die Unterschiede bei den Kategorien "Probleme mit dem Pflegekind selbst und seiner Persönlichkeit" und "Probleme der Kinder in der Familie untereinander". Diese werden häufiger von Pflegeeltern angekreuzt, die Kinder mit seelischer Behinderung (ohne Schwerbehindertenausweis) aufgenommen haben, wogegen Pflegeeltern mit schwerstbehinderten Kindern eher wirtschaftliche Hilfen als großen Problembereich benennen.

Um dieses Phänomen besser verstehen zu können, wurden auch hier Angaben aus den Texten, die von den Pflegeeltern auf offene Fragen formuliert wurden, hinzugezogen: Wo liegen die im Alltag der Pflegeeltern dominanten Belastungs- und Streßfaktoren, die durch ein Pflegekind in die Familie getragen werden? Aus den Antworten der Pflegeeltern ist zu schließen, daß bei den Kindern, die eine Einstufung über das Schwerbehindertengesetz erhalten haben, die Frage der Zuständigkeit für die Bezahlung entsprechender Hilfen mit jedem Antrag neu geklärt werden muß. Erst dann wird der Antrag bearbeitet.

Dazu ein Zitat aus einem Fragebogen: "Die Tatsache, ein Pflegekind und gleichzeitig ein behindertes Kind zu haben, führt zu einem Status für das Kind, den es bei den Behörden nicht gibt. So werden wir immer hin- und hergeschoben zwischen Jugendamt, Sozialamt und Gesundheitsamt." Die vielen einzelnen Hilfeleistungen provozieren demzufolge eine Antrags- und Prüfungsflut, die den Alltag der betroffenen Pflegeeltern so dominieren, daß es die Pflegeeltern einen erheblichen Teil ihrer Kraft kostet.

Die Belastung liegt hier eher im organisatorischen Bereich. Zieht man solche Belastungsfaktoren auch als Ursache für eine mögliche "Überforderung" der Familien in Betracht, die enorme Kraft- und Zeitverluste, aber auch Resignation und Demotivation mit sich bringen, so ist bei einer entsprechenden Betreuung dieser Familien darauf zu achten, daß bei der Gestaltung der Hilfeplanung die Vereinfachung der Beantragungsvorgänge Vorrang hat, bzw. daß Streitigkeiten zwischen den Ämtern nicht auf Kosten der Pflegeeltern und Pflegekinder ausgetragen werden.

Im Gegensatz dazu scheinen für die Pflegeeltern, die Kinder ohne behindertenspezifische Einstufung haben, hauptsächlich Beziehungs- und Verhaltensprobleme den Alltag zu dominieren. Sie nennen insbesondere solche Schwierigkeiten, die die Beziehung zum Pflegekind und das soziale und familiäre Zusammenleben betreffen. Die Persönlichkeit des Pflegekindes mit seinen individuellen Eigenarten und die Beziehungen der Kinder in der Familie untereinander machen den Familien bei diesen Pflegekindern am meisten zu schaffen.

Die Frage nach der Zuständigkeit für wirtschaftliche Hilfen und deren Beantragung ist hier wahrscheinlich nicht ganz so kompliziert, da Hilfen hauptsächlich über das KJHG geregelt werden müssen. Die Belastung liegt eher im sozial-emotionalen Bereich. Werden diese Pflegefamilien mit solchen Schwierigkeiten nicht ausreichend betreut, so muß bei einer Überforderung des familiären Beziehungsgefüges mit einer Gefährdung der psychischen Gesundheit der Pflegeeltern (Burn Out, Gegenübertragungsphänomene u.a.), aber auch der Pflegekinder gerechnet werden. Um den Willen der Pflegeeltern zu unterstützen, die Kinder mit emotionaler Stabilität durchs Leben zu begleiten, müssen in diesen Fällen dringend Hilfemaßnahmen in betracht gezogen werden, die es den Pflegeeltern erlauben, über emotionale und erzieherische Probleme offen sprechen zu können (z.B. in Aktionsforschungsgruppen, jugendamtsunabhängigen Erziehungsberatungsstellen, durch Supervision, Selbsthilfegruppen u.a.).

Hier gilt jedenfalls nicht das Motto "viel Liebe und emotionale Nähe hilft automatisch viel", sondern es müssen Bedingungen geschaffen werden, die es den Pflegeeltern ermöglichen, eine wirkliche Entlastung bei der Bewältigung von Problemen zu erfahren, damit die alleinige Verantwortung für dysfunktionale Strukturen nicht bei ihnen gelassen wird.

Die Ergebnisse machen deutlich, daß in Abhängigkeit von den Besonderheiten des Pflegekindes - hier nur grob danach klassifiziert ob eine Schwerbehinderung vorliegt oder nicht - bei den Familien sehr unterschiedlicher Unterstützungsbedarf vorliegt. Das würde bedeuten, daß die Jugendämter eine Differenziertheit in Bezug auf die notwendigen Hilfemaßnahmen akzeptieren und dementsprechend den Hilfeplan gestalten sollen.

3. Selbstverständnis

Die Ergebnisse zur Bedeutung unterschiedlicher Problembelastungen zeigen somit, daß nicht von einem einheitlichen Typus einer Pflegefamilie ausgegangen werden kann. Die Unterschiedlichkeiten können dabei äußere Familienstrukturen betreffen, wie z.B. ob es Pflegekinder mit / ohne Schwerbehinderung gibt, die Familie groß oder klein ist usw. Zu vermuten ist darüber hinaus, daß Verschiedenheiten im Selbstverständnis der Pflegeeltern bestehen.

Die Frage, wie sich Pflegeeltern selbst sehen, wurde bisher eher selten gestellt, was auch damit zusammenhängt, daß sich Fragen zum Selbstverständnis auf einer sehr subjektiven Ebene der Bewertung und des Empfindens bewegen. Dennoch ist gerade das Selbstverständnis eines der wichtigen Faktoren in der Gestaltung eines Pflegeverhältnisses.

Nach § 33 KJHG gelten Pflegeverhältnisse als „Erziehungshilfen“ außerhalb des Elternhauses. Es handelt sich um eine Begrifflichkeit, die bezogen auf das Selbstverständnis von Pflegefamilien nicht frei von Widersprüchen ist: Einerseits soll die Pflegefamilie dem Kind, das für längere oder kürzere Zeit nicht bei seinen leiblichen Eltern leben kann, eine ‘richtige’ Familie sein - was immer unter einer ‘richtigen/normalen’ Familie zu verstehen ist. Andererseits wird eine Öffnung der familiären Struktur gefordert, die eine Akzeptanz und Kooperation mit dem Jugendamt, der Herkunftsfamilie und anderen Insitutionen ermöglicht. Pflegeltern sollen stabile Bezugspersonen sein und gleichzeitig jederzeit bereit zur Trennung.

Werden die Pflegefamilien ganz allgemein zu ihrer persönlichen Einschätzung gefragt, ob sie sich als eine solche „Erziehungshilfe außerhalb des Elternhauses“ fühlen, antworten nur 10% mit einem ‘ja, voll und ganz’. Ein ‘nein, gar nicht’ wird dagegen von 29% als Antwort gegeben. Die übrigen Antworten verteilen sich auf die Zwischenkategorien ‘tendenziell ja’ (40%) bzw. ‘tendenziell nein’ (21%), so daß zusammengenommen sowohl für die zustimmende wie auch für die ablehnende Position je 50% zusammen kommen.

Neben dieser allgemeinen Frage wurde im Fragebogen versucht, das Selbstverständnis der Pflegefamilien auf zweierlei Weisen abzubilden: einerseits durch eine Liste von Statements, denen zugestimmt oder die abgelehnt werden konnten und andererseits durch offene Fragen, bei denen die Eltern ihre Antwort in eigenen Worten formulieren konnten.

Auf der Basis der vorgegebenen Statements zum Selbstverständnis ergaben sich die in Abbildung 4 gezeigten Häufigkeiten. Am meisten genannt werden kindbezogene Motive und Aufgabenstellungen, auf die sich die Pflegeeltern in ihrem Selbstverständnis beziehen. Dies sind: der Wunsch, einem Kind den Heimaufenthalt oder eine schwierige Familiensituation zu ersparen (91%) und die Aufgabe, Hilfen für das Kind durchzusetzen (90%). Dabei fühlt sich die überwiegende Mehrheit der Pflegeeltern (88%) als ‘echte Mutter’ bzw. ‘echter Vater’. Deutlich weniger Pflegeeltern (39%) verstehen sich als eine Familie auf Zeit und nur 20% sehen ihre Aufgabe darin, die Herkunftsfamilie zu unterstützen. Das eigene Selbstverständnis als ‘echte/r Vater/Mutter’ und eine Vorstellung von Familie, die sich als Kooperationspartner und Ergänzung zur Herkunftsfamilie versteht, schließen sich dabei nicht immer gegenseitig aus. Auch in Familien auf Zeit versteht man sich zum überwiegenden Teil als ‘echte/r Vater/Mutter’ und umgekehrt fühlen sich ‘echte Mütter/Väter’ zum Teil als Unterstützung der Herkunftsfamilie.

Abbildung 4

Für diejenigen Pflegefamilien, die sich positiv mit dem Begriff der ‘Erziehungshilfe’ identifizieren können, zeigt sich (siehe schwarzer Balken in Abbildung 4), daß sie ...

  • sich häufiger als Unterstützung der Herkunftsfamilie verstehen,
  • sich eher als Familie auf Zeit fühlen,
  • sich eher als Kooperationspartner des Jugendamtes empfinden,
  • häufiger der Auffassung sind, professionelle Hilfe zu leisten,
  • und öfter ihre Aufgabe darin sehen, erzieherisch tätig zu sein.

Bei den Familien, die einer Bezeichnung als ‘Erziehungshilfe’ ablehnend gegenüberstehen, gibt es dagegen kaum ein ‘hervorstechendes’ Antwortmuster in Form von besonders häufig (zustimmend) angekreuzten Statements. Lediglich bei den Vorgaben „Fühle mich als echte/r Mutter/Vater“ und „Habe viel Verantwortung aber wenig Rechte“ gibt es etwas mehr Zustimmung.

Eine mögliche Interpretationsweise der Ergebnisse wäre, daß es im Selbstverständnis fast aller Pflegeeltern eine relativ starke und durchgängige Orientierung am Modell einer ‘ganz normalen Familie’ gibt. Dem Pflegekind soll das Aufwachsen in einer - intakten - Familie ermöglicht werden, in Abgrenzung zu einem Heimaufenthalt und in Abgrenzung zu problematischen Gegebenheiten in der Herkunftsfamilie.

Bei diesen o.g. beiden Positionen handelt es sich jedoch nicht um klar abgrenzbare Typen von Pflegefamilien (und manche/r wird u.U. darin die beiden z.T. sehr kontrovers diskutierten Konzepte der Ersatz- und Ergänzungsfamilie wiederentdecken wollen, vgl. z. B. Müller-Schlotmann, 1997). Sehr viel besser erscheint es, von einer Art Spannweite im Selbstverständnis der Aufgabenstellungen auszugehen, in dem allerdings auch Überschneidungen und Widersprüchlichkeiten vorkommen. Das Schema in Abbildung 5 soll unseren Ansatz verdeutlichen.

Abbildung 5

Selbstsicht: "ganz normale Familie"-Vater / Mutter sein
Aufgabe: Aufwachsen in einer intakten Familie (familienähnlichen Beziehung) ermöglichen
dazu werden die folgenden Aufgaben genannt, aber verschieden interpretiert:

<<<<<<<<<<<<<<Spannweite im Aufgabenverständnis>>>>>>>>>>>>>>>

1. Pflegeeltern wollen ein stabiles Beziehungsnetz schaffen

adoptionsähnliches Beziehungsnetz

 

eng familienorientiertes Beziehungsnetz
 

Mischung aus engem Familienbezug und offenem Beziehungsnetz

mit offenem Beziehungsnetz Familienorientierung
 

geschlossen
dauerhaft
klein

 

geschlossen
dauerhaft
klein

 

offener
dauerhaft
Kooperation

 

öffentlicher / größer
zeitliche Begrenzung
möglich, Kooperation mit Jugendamt, Herkunftsfamilie, Institution

dabei soll eine gute Unterstützung der Kinder ermöglicht werden durch:

 

Abgrenzung gegenüber der Herkunftsfamilie
- keine Kontakte gewünscht
- Pflegschaft teilw. dem Kind nicht bekannt

Abgrenzung gegenüber der Herkunftsfamilie
- keine/wenige Kontakte gewünscht
- Herkunft wird respektiert
 

Respektierung der Herkunftsfamilie
- Kontakte aber kritisch gesehen (am Wohl des Kindes orientiert)

 

Zusammenarbeit mit
der Herkunftsfamilie
- Kontakte akzeptiert und regelmäßiger Teil der Integration


 

2. Pflegeeltern wollen eine gute Förderung / Erziehung des Kindes

<<<<<<<<<<<<<<<Lebenswegbegleitung>>>>>>>>>>>>>>>

- wie leibliche Kinder (professionelles Erziehungsverständnis eher ablehnend)
- keine Sonderstellung des Pflegekindes
- vorrangig: Integration in die Familie
wichtig dafür sind primär:
Liebe und Geduld,
Sicherheit, Geborgenheit, Vertrauen

-eher professionelles Erziehungsverständnis
- Pflegekind erhält eigenen Status (Beachtung der Herkunft)
- vorrangig gesell.- soziale Integration
wichtig dafür sind primär:
professionelle Unterstützung,
Sicherheit, Geborgenheit, Vertrauen

3. Was wollen Pflegeeltern bei ihren Pflegekindern erreichen?

- als stabile Bezugspersonen von den Kindern angenommen werden - Wiedergutmachung / "Heilung der Wunden ermöglichen" - Förderung zur Selbständigkeit (so weit möglich) - Stabilisierung der Persönlichkeit - Bindungsfähigkeit fördern - Freude am Leben

Die Selbstsicht als ‘ganz normale’ Familie kann von einem unterschiedlichen Verständnis der Aufgabenstellungen in Bezug auf das Pflegeverhältnis begleitet sein. Kooperation mit dem Jugendamt und der Herkunftsfamilie - bei eventueller zeitlicher Begrenztheit des Pflegeverhältnisses - sind Aufgaben, mit denen die einen ihre Pflegekinder unterstützen wollen. Sie tragen damit zu einer Verknüpfung der engen familiären Beziehungen mit dem anderen Familienteil (der Herkunftsfamilie) und anderen Personen und Institutionen bei.

Bei den anderen Familien liegt dagegen Skepsis gegenüber diesem Konzept und der Gestaltung eines Pflegeverhältnisses vor. Sie stehen einer derartigen Öffnung und Veröffentlichung von Familie tendenziell ablehnend gegenüber. Diese Pflegeeltern sehen ihre Aufgabe überwiegend darin, dem Pflegekind die Geschlossenheit und Dauerhaftigkeit der Beziehung in der Familie zu geben und sie z.B. vor eventuellen Wirrnissen zur Herkunftsfamilie zu bewahren.

Trotz der verschiedenen Interpretationsweisen der Aufgaben ist zu vermerken, daß alle Pflegeeltern durch ihre Antworten die Vorteile von Pflegefamilien im allgemeinen widerspiegeln, wenn sie wichtige zwischenmenschliche Aspekte bei der Erziehung ihrer Kinder in den Vordergrund stellen.

Für die befragten Familien scheinen weniger von außen herangetragene Muster, wie eine Pflegefamilie auszusehen hätte, als vielmehr die besonderen Eigenheiten des jeweiligen Pflegekindes und seiner Biographie auf der einer Seite und die der Pflegefamilie auf der anderen Seite von Bedeutung zu sein. Bereits oben wurde auf die unterschiedlichen Schwerpunkte bei den Problemlagen von Pflegekindern mit Schwerstbehinderung im Vergleich zu solchen mit seelischer Behinderung eingegangen. Ebenso ist es z.B. mit den Kontakten zur Herkunftsfamilie. Beispielsweise wird bei einem Kind, das im Säuglingsalter in die Pflegefamilie kam (das ist bei 43% der Kinder der Fall) und das bereits 5 oder mehr Jahre in der Familie lebt, die Beziehung zur Herkunftsfamilie - soweit sie überhaupt besteht oder jemals bestand - eine völlig andere sein, als bei einem seelisch behinderten Kind, das für 1-2 Jahre untergebracht werden muß und bei dem Konflikte mit der Herkunftsfamilie unmittelbar präsent sind.

Vor diesem Hintergrund wurde versucht in einem weiteren Schritt der statistischen Auswertung, Aspekte, die sich auf das Selbstverständnis beziehen, mit Aspekten, die das Pflegekind und die äußere Familiensituation betreffen, in Verbindung zu bringen. Mit Hilfe der Clusteranalyse sollte der Frage nachgegangen werden, ob und wie sich Pflegefamilien vor dem Hintergrund einer Spannweite im Selbstverständnis gruppieren lassen.

Die Clusteranalyse kann als ein Verfahren beschrieben werden, bei dem Personen mit ähnlichen Antwortmustern zu sogenannten ‘Clustern’ (Klumpen) zusammengefaßt werden. Die Ähnlichkeit der Personen untereinander bezieht sich auf eine bestimmte Auswahl von Fragen. Diese Analyseweise gilt in der Statistik als exploratives (entdeckendes) Verfahren, bei dem sich Tendenzen für mehr oder weniger gute Ähnlichkeitsmuster (Cluster) zeigen, das jedoch keine ‘einzig richtige’ Typologie liefern kann und will.

Bei der hier durchgeführten Clusteranalyse wurden in Tabelle 4 neun Merkmale aufgenommen. Eine Beschreibung in Form von drei Clustern (Gruppen von Pflegefamilien) erwies sich hinsichtlich statistischer Kriterien als gutes Modell. Tabelle 4 zeigt, wie die Pflegeeltern auf die einbezogenen Fragen geantwortet haben.

Tabelle 4

 

Gruppe A
48 Familien

Gruppe B
43 Familien

Gruppe C
41 Familien

Selbstverständnis:

 

 

 

- Ich fühle mich als echte Mutter / echter Vater.

100%

100%

73%

- Ich verstehe mich als Ersatzelternteil auf Zeit.

23%

28%

76%

- Ich verstehe mich als Unterstützung für die Herkunftsfamilie.

24%

46%

68%

Merkmale des /der Pflegekindes/r:

 

 

 

- Das Pflegekind* war jünger als 3 Jahre, als es in die Familie kam.

92%

51%

19%

- Das Pflegekind* ist länger als 5 Jahre in der Familie.

60%

14%

12%

- Das Pflegekind* ist schwerbehindert.

92%

86%

41%

- Das Kind hat keinen Kontakt zur Herkunftsfamilie.

65%

24%

10%

Merkmale der Familie

 

 

 

- Es gibt mehr als ein schwerbe- hindertes Pflegekind in der Familie.

15%

92%

45%

- Anzahl aller Pflegekinder in der Familie (Durchschnitt)

1,0

3,3

1,5

Aufgeführt ist der Prozentanteil der zustimmenden Anworten pro Teilgruppe. 55 Familien konnten keiner Gruppe zugeordnet werden, da sie auf einige Fragen nicht geantwortet haben.
* bzw. bezogen auf alle Pflegekinder der Familie, soweit es mehrere Pflegekinder gibt.

In Gruppe A sind diejenigen Pflegeeltern zusammengefaßt, die sich zu 100% „als echte Väter/Mütter“ betrachten. In Gruppe C ist diese Ansicht auch häufig verbreitet, aber nur zu 73%; hier stimmen dagegen sehr viel mehr (76%) dem Statement zu, Familie auf Zeit und Unterstützung für die Herkunftsfamilie zu sein (68%).

Interessant ist, wie sehr Unterschiede im Selbstverständnis mit Besonderheiten des Pflegekindes und der Pflegefamilie zusammenhängen. In Gruppe A wurden beispielsweise 92% der Pflegekinder als Kleinkinder oder Säuglinge aufgenommen und sehr viele von ihnen (92%) haben eine Schwerstbehinderung. Die Kinder leben in diesen Familien (A) bereits sehr lange, wobei der Kontakt zur Herkunftsfamilie i.d.R. abgebrochen ist oder auch nie bestand.

Die Pflegefamilien der Gruppe A repräsentieren damit - im Vergleich zu den anderen Gruppen - am ehesten den Typus einer ‘normalen Durchschnittsfamilie’. Dies betrifft zum einen die Familiengröße und zum anderen die Tatsache, daß die Pflegekinder und -familien ohne Beziehung zu den Herkunftseltern einen sehr großen Teil ihres gemeinsamen Lebensweges miteinander verbracht haben.

Gruppe B ist dagegen meist eine Art Großfamilie und hat dementsprechend viele, i.d.R. schwerbehinderte Pflegekinder. Anders als in Gruppe A gibt es relativ viele Kinder, die in einem höheren Alter (älter als 3 Jahre) in die Familien kamen und nur wenige Pflegekinder leben dort (bisher) länger als 5 Jahre. Hinsichtlich ihres Selbstverständnisses ähneln die Pflegeeltern bei zwei Merkmalen sehr stark der Gruppe A - auch sie verstehen sich alle als ‘echte Mütter/Väter‘ - jedoch ist ihr Verhältnis zur Herkunftsfamilie enger. Die Pflegefamilien, die in Gruppe B zusammengefaßt sind, sehen sich als ‘normale Familie’, sie leben jedoch das Modell der Großfamilie mit einem „gemischten Publikum“ schwerbehinderter Kinder.

Während Gruppe A und B sich zum Teil durchaus ähneln, gibt es bei Gruppe C größere Abweichungen. Obwohl auch bei ihnen die Orientierung am „Echte/r Vater/Mutter - sein“ stark vertreten ist (jedoch weniger als in den Gruppen A und B), verstehen sie sich deutlich häufiger als Familie auf Zeit und haben dementsprechend mehr Kontakte zu den Herkunftsfamilien. Ihre Pflegekinder waren meist älter, als sie in die Familien kamen, sie sind verhaltensauffällig, haben seelische Behinderungen o. ä. und verfügen seltener über einen Schwerbehindertenausweis. Diese Pflegefamilien nähern sich in ihrem Selbstverständnis und in ihrer Konstellation am meisten der Vorstellung einer „Erziehungshilfe außerhalb des Elternhauses“ und 68 % von ihnen sehen sich als eine solchen Hilfe.

Im Sinne der oben angesprochenen Vorstellung von einer Spannweite im Selbstverständnis bezogen auf die Aufgaben einer Pflegefamilie, kann Gruppe C als der am meisten auf ein Kooperationsmodell mit Herkunftseltern und Jugendamt ausgerichteter Familientypus gelten. In diesen Familien leben überwiegend seelisch behinderte Pflegekinder.

In der ‘Großfamilie’ (Gruppe B) liegt eine Art ‘Mischtyp’ vor. Möglicherweise bringt die Unterschiedlichkeit der vielen Pflegekinder (meist sind sie schwerbehindert), die in diesen Familien leben, diese Mischung zwischen einerseits einer starken Familienorientierung (als Daueraufenthalt für die Kinder) bei gleichzeitiger Unterstützung der Herkunftsfamilie hervor.

Gruppe A schließlich stellt den Gegenpol dar und repräsentiert ein Verhältnis zu den Pflegekindern, das sich aufgrund der ‘Abwesenheit’ von Herkunftseltern, fast wie eine (traditionell nicht offene) Adoption darstellt.

3. Abschließende Bemerkungen

Die Ergebnisse der Befragung machen in allen Punkten deutlich, daß es eine starke Unterschiedlichkeit bei den Familien und ihren Pflegekindern gibt. So haben Pflegeeltern mit schwerbehinderten Kindern anders gelagerte Probleme als solche mit seelisch behinderten Kindern. Von einem einheitlichen Familientypus der Pflegefamilie auszugehen, erweist sich als falsch. Dies ist zu begrüßen, denn unterschiedliche Pflegekinder brauchen unterschiedliche Familien, und es sollte für eine Umgebung gesorgt werden, in der Pflegekinder und Eltern am besten zusammen passen. Die gefundenen Gruppen von Pflegefamilien stehen dabei gleichberechtigt nebeneinander, und es ist anzunehmen, daß weitere Differenzierungen gefunden werden können (was allerdings größer angelegte Studien erfordern würde).

Die vorliegende Befragung ist ein kleiner Schritt in die Richtung, sich die existierenden Pflegeverhältnisse genau anzusehen. Sie will und kann dabei nicht beurteilen, welcher Familientypus besser oder schlechter, zu fördern oder zu vermeiden ist. Wir hoffen mit dieser Auswertung dazu beigetragen zu haben, daß sich die Diskussion um das Pflegekinderwesen nicht ausschließlich auf ein Nachdenken über den Idealtypus Pflegefamilie als Hilfe zur Erziehung beschränkt, sondern sich auch an den bestehenden Pflegeverhältnissen orientiert, und dabei mehr die Notwendigkeit differenzierter Hilfemaßnahmen für die Pflegfamilien selbst beachtet.

Literatur:
Statistisches Bundesamt (Hg.):Datenreport 1997. Zahlen und Fakten über die Bundesrepublik Deutschland, Bonn 1997a
Statistisches Bundesamt (Hg.): Im Blickpunkt: Familie heute, Stuttgart 1995
Statistisches Bundesamt (Hg.): Fachserie Sozialleistungen, Reihe: Erzieherische Hilfen außerhalb des Elternhauses am 1.1.1995 (FS 13, 6.1.4), Wiesbaden 1997b
Statistisches Bundesamt (Hg.): Fachserie Sozialleistungen, Reihe: Erzieherische Hilfen außerhalb des Elternhauses für das Jahr 1995 (FS 13, 6.1.2), Wiesbaden 1997c
Müller-Schlotmann, R.: Integration vernachlässigter und mißhandelter Kinder in Pflegefamilien. Eine Handreichung für Jugendämter, Beratungsstellen und Pflegeeltern, Regensburg 1997

Die Untersuchung wurde im Sommersemester 1997 und Wintersemester 1997/98 im Rahmen eines Lehr-/ Forschungsprojektes am Institut für Rehabilitationswissenschaften der Humboldt Universität Berlin durchgeführt. Allen beteiligten Studentinnen und Studenten sei für die engagierte Mitarbeit gedankt.

In: Forum Jugendhilfe, H. 1/99

 

 

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