FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Artikel / Jahrgang 2002

 

Effekte in der Therapeutischen Übergangshilfe

Zusammenfassung der Forschungsergebnisse
Konzeption - Wertung

Institut für Kinder- und Jugendhilfe Mainz
zur Therapeutischen Übergangshilfe
des Caritas Kinder- und Jugendheims Rheine

 

Laudatio zum Förderpreis der Stiftung Zum Wohl des Pflegekindes:
Das Konzept der zeitlich begrenzten Heimunterbringung mit besonderen therapeutischen Übergangshilfen zwecks Diagnose und Klärung der angemessenen Form von erzieherischen Hilfen für Kinder, die vorübergehend oder auf Dauer nicht in ihren Herkunftsfamilien leben können, ist ein wegweisender nachahmenswerter Arbeitsansatz für die Praxis der Jugendhilfe und des Pflegekinderwesens. Das besondere Augenmerk der Therapeutischen Übergangshilfe auf die besonderen Bedürfnisse traumatisierter Kinder, die hervorgehobene Berücksichtigung ihrer Bindungserfahrungen und die explizite Berücksichtigung des kindlichen Zeitempfindens machen die Konzeption besonders wertvoll. Auch ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Fachkräften verschiedener Professionen lobend hervorzuheben.
Zwar stehen nicht primär Pflegekinder im Mittelpunkt dieses Konzeptes. Für das Pflegekinderwesen ist es dennoch von großem Interesse, da fast die Hälfte der in der Therapeutischen Übergangshilfe vorgestellten Kinder bei Pflegeeltern ein Zuhause finden.
Von besonderer Bedeutung für das Pflegekinderwesen ist ein Ergebnis der beim Institut für Kinder- und Jugendhilfe Mainz in Auftrag gegebenen wissenschaftlichen Praxisstudie: Die Verweildauer dieser Kinder in ihren Pflegefamilien - ein in der Praxis des Pflegekinderwesens besonders hervorzuhebendes Erfolgskriterium - ist verglichen mit Zahlen im Bundesdurchschnitt enorm hoch. Die Studie belegt, dass eine sorgfältige diagnostisch-prognostische Vorabklärung vor der Integration eines Kindes in eine Pflegefamilie die Erfolgschancen eines Pflegeverhältnisses wesentlich erhöht, übrigens ein Ergebnis, zu dem auch die Hertener Studie gekommen ist.
Das Konzept zeigt wichtige und entscheidende Qualitätsstandards für eine effiziente Vorbereitung von Pflegeverhältnissen auf. Es ist deshalb sehr wertvoll und nachahmenswert für die Praxis des Pflegekinderwesens. Die Förderpreissumme beträgt 1.000,00 Euro.
Stiftung Zum Wohl des Pflegekindes, den 29. April 2002


Die Intention des Forschungsprojektes

von Norbert Dörnhoff, Caritas-Kinder- und Jugendheim Rheine

Die Wahrnehmung von Effekten ersetzt nicht den wissenschaftlichen Beleg. In Zeiten der Qualitätsentwicklung und vermehrter Diskussionen um die Notwendigkeit aufwendiger und intensiver erzieherischer Hilfen wagte das Caritas-Kinder- und Jugendheim in Rheine den Schritt hin zur wissenschaftlichen Erforschung von Effekten. Dabei wurde die im Caritas-Kinder- und Jugendheim entwickelte Therapeutischen Übergangshilfe ausgewählt. Diese erfasst Kinder im Vorschul- und Grundschulalter.

Eine Gesamtschau auf die Heimerziehung verdeutlicht, dass im wesentlichen Jugendliche im Heim leben, während Kinder in der stationären erzieherischen Hilfe zahlenmäßig nur eine untergeordnete Bedeutung finden. Dieses verwundert nicht, wenn die Entwicklung der Heimerziehung in den 70er und 80er Jahren rekapituliert wird. Die jugendhilfeplanerischen Bemühungen richteten sich zu dieser Zeit auf die Verringerung der Anzahl der durch Heimerziehung betreuten Kinder. Erst Ende der 80er Jahre wurde wieder ein vermehrter Bedarf an Heimplätzen für Kinder bekannt. Unter Bezug auf die Diskussion zum rechtzeitigen und möglichst vorbeugenden Einsatz von Hilfen stellt sich die Frage, warum nicht zu einem früheren Lebenszeitpunkt erzieherische Hilfen mit richtungsweisendem Charakter für Kinder und Familien Anwendung finden.

Das Caritas-Kinder- und Jugendheim engagiert sich mit den Jugendämtern aus gutem Grund für diese Kinder, aber auch für Jugendliche,  junge Erwachsene und Familien. In der Betreuung von Jugendlichen ergibt sich im diagnostischen Prozess und in der Auseinandersetzung mit der Biographie häufiger die Frage, ob die vorgefundene Problemlage nicht mit rechtzeitigem und energischem Einsatz von Hilfen vermeidbar gewesen wäre. Wesentliche Entwicklungskorrekturen lassen sich vor allem im Kindesalter erzielen.

Die Therapeutische Übergangshilfe des Caritas-Kinder- und Jugendheimes versucht seit 1989 hierzu ihren Beitrag zu leisten. Die damals konzipierten Elemente dieser Übergangshilfe gelten heute nach wie vor. Es erfolgten im Laufe der Jahre verschiedene Weiterentwicklungen in der Angebotsstruktur. Heute werden 25 Kinder in vier Gruppen mit fünf bis sieben Plätzen nach dem Konzept der Therapeutischen Übergangshilfe betreut. Für Kinder von 0 bis 2 Jahren stehen Plätze in qualifizierten Pädagogischen Lebensgemeinschaften zur Verfügung.

Im Jahr 1999 erfolgte die Weiterentwicklung zur Intensivhilfe im Zuge des in Nordrhein-Westfalen geschlossenen Rahmenvertrages. Dadurch war es möglich, die regelmäßigen diagnostischen und therapeutischen Leistungen weiterhin in das Leistungsangebot zu integrieren.

Mit dem Forschungsprojekt wurde das Institut für Kinder- und Jugendhilfe aus Mainz beauftragt. Träger dieses Institutes ist der Bundesverband katholischer Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfen e. V. in Freiburg. Erfreulicherweise unterstützt die Stiftung Deutsche Jugendmarke e. V. in Bonn das Forschungsprojekt. Ohne diesen Zuschuss wäre diese Effektestudie wohl nicht entstanden.

Nach Abschluss dieser retrospektiven Längsschnittstudie, mit der 127 Kinder untersucht wurden, stehen differenzierte Ergebnisdaten zur Verfügung. Die Fachkräfte des Caritas-Kinder- und Jugendheimes, der Jugendämter und weiterer Fachdienste sind nunmehr nicht nur auf die fallbezogene Wahrnehmung angewiesen, wenn es um Diskussionen und Wertungen bezüglich des pädagogischen und ökonomischen Erfolges geht. Die vorliegende Studie bestätigt im wesentlichen die Sinnhaftigkeit und Notwendigkeit einer intensiven erzieherischen Hilfe für traumatisierte Kinder unter stationären Bedingungen.

Diese Ergebnisse sind für die Jugendhilfeplanung und die individuelle Hilfeplanung von Bedeutung. Des weiteren dienen sie der Qualitätsentwicklung des Caritas-Kinder- und Jugendheimes.

Das Konzept der Therapeutischen Übergangshilfe

von Norbert Dörnhoff, Caritas-Kinder- und Jugendheim Rheine

Wenn für ein junges Kind Heimerziehung in Erwägung gezogen wird und nicht die Betreuung in einer Familie, so ist dieses oftmals schwer vorstellbar.

Dem Abwägungsprozess im Zuge der Hilfeplanung geht regelmäßig eine erhebliche Konfliktlage voraus, die den Verbleib oft hilfloser und ungeschützter Kinder in der Familie nicht weiter zulässt, zumindest aber äußerst erschwert.

Es stellt sich somit die Frage nach der angemessenen Form und Dauer der erzieherischen Hilfe für traumatisierte Kinder.

Die Therapeutische Übergangshilfe des Caritas-Kinder- und Jugendheimes – eine Intensivhilfe in vier Gruppen – greift als komplexes therapeutisches Angebot die umfassende Bedürftigkeit traumatisierter Kinder auf und sieht sich im besonderen Maße den zeitlichen Anforderungen des § 37 Abs. 1 SGB VIII verpflichtet. Hiernach findet der für die Entwicklung des Kindes vertretbare Zeitraum besondere Beachtung. Entsprechend verfährt das Caritas-Kinder- und Jugendheim in der Betreuung der Kinder nach dem Grundsatz:

So kurz wie möglich – so lange wie nötig

In der Therapeutischen Übergangshilfe werden Kinder mit schwerwiegenden Bindungs- und Entwicklungsstörungen erfasst, welche mit belastenden und beeinträchtigenden psychischen Traumata einhergehen. Diesen Auffälligkeiten liegen in der Regel mangelnde Zuwendung, Aufsicht und Pflege, Vernachlässigung, körperliche und seelische Misshandlung sowie sexuelle Überwältigung zu Grunde. Im Hintergrund finden sich vorwiegend gravierende Beziehungskrisen, psychosoziale und psychiatrische Konfliktlagen aller Art in Multi-Problem-Familien.

Ziel ist es, eine langfristig abgesicherte Lebensperspektive für das Kind zu entwickeln und zu realisieren. Dieses ist in der Regel möglich, wenn nachfolgende Konzeptbestandteile verwirklicht werden.

Kinder im Alter bis zu zwei Jahren sind auf prompte Bedürfnisbefriedigung angewiesen, sie werden daher vorrangig in Pädagogischen Lebensgemeinschaften betreut.

Die vier Gruppen der Therapeutischen Übergangshilfe stehen Kindern im Alter von zwei bis zehn Jahren zur Verfügung. Der unmittelbare Wechsel eines beziehungsgekränkten und traumatisierten Kindes in eine Pflegefamilie löst Übertragungsreaktionen aus, die das Kind und die Pflegefamilie überfordern und in dieser familiären Situation nicht angemessen bearbeitet werden können. Zu viele Pflegeverhältnisse sind in früheren Jahren an den damit verbundenen Konflikten und Enttäuschungen gescheitert. Die Gruppe als nicht familiales Setting ermöglicht die Reduzierung von Übertragungssituationen, zudem korrigierende Erfahrungen mit Erwachsenen, die Bearbeitung des Verhältnisses zur Herkunftsfamilie und die Begleitung neu entstehender Beziehungswünsche.

Korrigierende Erfahrungen mit Erwachsenen macht das Kind, indem sich die Fachkräfte in der Gruppe als absichernd,  verlässlich und einfühlsam erweisen. Dieses heilpädagogisch gestaltete Lebensfeld ermöglicht es dem Kind, die nötige Ruhe zu finden und sich mit der Beziehung zu seinen Eltern auseinanderzusetzen. Die Beziehung von Kindern zu ihren Eltern sind oftmals durch die typischen Abwehrmechanismen wie Verleugnung, Identifikation mit dem Aggressor oder Idealisierung gekennzeichnet. So braucht es auch einen angemessenen Zeitraum zur Bearbeitung von Gefühlen und Einstellungen, bis sich das Kind den Wunsch nach erneuter Bindung zu Eltern erlauben kann.

Besonders erfolgreich wirkt nach den Erfahrungen des Caritas-Kinder- und Jugendheimes das unmittelbare Zusammenspiel pädagogischer und therapeutischer Verfahrensweisen und der damit befassten Fachkräfte. Die in der Gruppe und in der therapeutischen Situation initiierten Entwicklungsprozesse werden koordiniert und bieten gleichzeitig wertvolle Hinweise für die Klärung der weiteren Perspektive.

In den Gruppen sind weibliche und männliche Fachkräfte aus den Bereichen der Sozialpädagogik, Sozialarbeit und Heilpädagogik tätig. Im therapeutischen Dienst arbeiten Diplom-Psychologen, zum Teil mit der Anerkennung als Psychologischer Psychotherapeut und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut, außerdem Diplom-Heilpädagogen und Diplom-Sozialpädagogen mit entsprechenden Zusatzqualifikationen. Weitere psychomotorische und schulische Förderungen werden durch eine Heilpädagogin und eine Lehrerin durchgeführt.

Wesentliche Leistungen der Therapeutischen Übergangshilfe bestehen zunächst in der Absicherung der Grundbedürfnisse. Außerdem gehört die sozialpädagogische und psychologische Diagnostik für die Behandlungs- und Hilfeplanung sowie ggf. für die Einleitung und Durchsetzung familiengerichtlicher Schritte zum Angebot dieser Intensivhilfe. Parallel zum diagnostischen Prozess und aufbauend auf diesem werden entwicklungsfördernde Maßnahmen gezielt durchgeführt. Eine angemessene Form der Psychotherapie für Kinder ist die Spieltherapie. Diese dient der Aufarbeitung der Traumata, der Bearbeitung von Bindungsenttäuschung sowie dem Aufbau von Entwicklungsressourcen. Psychologische Diagnostik und Psychotherapie sind integrierte Bestandteile der stationären Intensivhilfe und gelten als notwendige Voraussetzung für die langjährige Absicherung einer Lebensperspektive.

Die Arbeit mit der Herkunftsfamilie spielt in allen Phasen der Therapeutischen Übergangshilfe eine hervorgehobene Rolle. Wesentliche anamnestische und diagnostische Daten werden hier gewonnen. Die Beziehungsqualität, die Veränderungsbereitschaft und die Prognose der zukünftigen Leistungsfähigkeit sind Gegenstand der Familienarbeit. Soweit psychologisch vertretbar und sinnvoll und den Bestimmungen des Kindschaftsrechtes entsprechend, werden Kontakte zwischen Herkunftsfamilie und dem Kind gestaltet. Sollte die Prüfung der Bedingungen in der Herkunftsfamilie eine Reintegration des Kindes ermöglichen, sind u. U. besondere über die Beratung hinausgehende systemische Hilfen erforderlich. Diese Maßnahmen werden angeregt und ggf. als Zusatzleistung durchgeführt.

Ist die Reintegration des Kindes in seine Familie ausgeschlossen, steht die Klärung der Beziehungsgestaltung und/oder die möglichst einvernehmliche Ablösung im Mittelpunkt der Familienarbeit, um dem Kind ein ruhiges und förderliches Aufwachsen in einer neuen Umgebung zu ermöglichen.

Die Perspektiventwicklung für das Kind umfasst die Abgabe entsprechender Empfehlungen gegenüber dem Jugendamt, die Mithilfe bei der Suche und der Umsetzung.

Erstes Ziel ist immer die Reintegration in die Herkunftsfamilie, evtl. mit weiteren nachfolgenden unterstützenden Maßnahmen (ambulante oder stationäre Familienarbeit, Tagesgruppe, Beratungsangebote etc.). Sollte dieses nicht möglich sein, erfolgt die Vermittlung des Kindes in eine familienorientierte Betreuungsform (Pflegefamilie, Sozialpädagogische Pflegestelle, Westfälische Erziehungsstelle, Pädagogische Lebensgemeinschaft) oder in eine andere angemessene Form der Heimerziehung (Kleinsteinrichtung, Wohngruppe, familienanaloge Gruppe).

Die Studie

von Nicolai Klessinger & Michael Macsenaere, Institut für Kinder- und Jugendhilfe

Zielsetzung und Zeitrahmen
Das Forschungsprojekt „Effekte in der Therapeutischen Übergangshilfe“ wurde vom Institut für Kinder- und Jugendhilfe (IKJ) in Mainz im Auftrag und in Zusammenarbeit mit dem Caritas-Kinder- und Jugendheim Rheine durchgeführt.

Zielsetzung des Projektes ist vor allem die Erfassung und Dokumentation von Effekten und Wirkfaktoren der Therapeutischen Übergangshilfe (TÜ). Dabei werden vor allem Aspekte von Prozess- und Ergebnisqualität berücksichtigt. So soll ein Beitrag zur Qualitätsentwicklung sowohl in der Einrichtung selbst als auch im Bereich stationärer Hilfe geleistet werden.

Der Projektverlauf ist in unterschiedliche Phasen gegliedert. Projektbeginn war der 01. Februar 1999. Um den Projektablauf begleitend zu optimieren, wurden regelmäßige Arbeitsgruppensitzungen durchgeführt, an denen Mitarbeiter des Heimes und Mitarbeiter des Instituts für Kinder- und Jugendhilfe teilnahmen.

Design
Die retrospektiv angelegte Längsschnittstudie umfasst je Kind die drei folgenden Erhebungszeitpunkte:

  • retrospektive Erhebung zum Aufnahmezeitpunkt ins Caritas-Kinder- und Jugendheim Rheine (Zeitpunkt 1: Beginn der Therapeutischen Übergangshilfe)
  • retrospektive Erhebung zum Entlassungszeitpunkt (Zeitpunkt 2: Ende der Therapeutischen Übergangshilfe)
  • aktuelle katamnestische Erhebung (Zeitpunkt 3: Katamnese)

Nach Durchführung eines Interratertrainings wurden die Erhebungen im Caritas-Kinder- und Jugendheim Rheine durch die im Bereich der TÜ tätigen pädagogischen und psychologischen Mitarbeiter durchgeführt. Dabei wurden vorhandene Akten und Dokumentationen als Grundlagen zur Beantwortung der Fragen genutzt.

Die katamnestische Befragung konnte nur durch die Zusammenarbeit mit den zuständigen Jugendämtern und nach Einwilligung der zuständigen Sorgeberechtigten erfolgen und wurden vorrangig telefonisch durch Mitarbeiter des Heims durchgeführt.

Die Weitergabe der Daten zur Auswertung an das Institut für Kinder- und Jugendhilfe erfolgte in anonymisierter Form.

Wie in der angewandten Sozialforschung häufig vorkommend konnten aus ethischen Gründen auch in der vorliegenden Untersuchung keine Kontrollgruppen gebildet werden, die den empirischen Vergleich von Effekten ermöglichen. Falls es möglich und inhaltlich sinnvoll ist, werden daher Auswertungsergebnisse in Bezug zu Zahlen aus anderen Untersuchungen gesetzt.

Erhebungsinstrumente
Um Effekte und Wirkfaktoren adäquat zu erfassen, wurde zu den drei Zeitpunkten ein umfangreiches Erhebungsinstrumentarium in Form eines Leitfadens eingesetzt, das im Caritas-Kinder- und Jugendheim Rheine durch die pädagogischen Mitarbeiter ausgefüllt wurde.

Die einzelnen Instrumente zu den verschiedenen Zeitpunkten erfassen verschiedene Aspekte von Prozess- und Ergebnisqualität.

Ein großer Teil der Instrumente ist an die Erhebungsinstrumente der Jugendhilfe-Effekte-Studie (JES) angelehnt, die in einem zweijährigen Zeitraum in mehreren Probeläufen entwickelt wurden (vgl. Knab & Macsenaere, 1997). Diese umfassen vor allem Items und Skalen zur Erfassung von Störungsbildern, Funktionsniveau und psychosozialer Anpassung, die z.T. an internationale Klassifikationssysteme (nach WHO) angelehnt und entsprechend wissenschaftlich abgesichert sind, sowie Items zur Erfassung von Ressourcen und Schutzfaktoren.

Diese Items wurden um einige für die Therapeutische Übergangshilfe relevanten Bereiche erweitert. Dies betrifft vor allem Items zu Bindungsverhalten und Beziehungsfähigkeit des Kindes. Dabei ist insbesondere ein eigens im Rahmen der Therapeutischen Übergangshilfe entwickelter Fragebogen zum Bindungsverhalten zu nennen, mit dem auf der Basis spezifischer beobachtbarer Verhaltensweisen versucht wird, die vier in der Literatur genannten Bindungsstile, die von Ainsworth oder Maine als sicher, unsicher-vermeidend, unsicher-ambivalent, desorganisiert, beschrieben wurden (vgl. Minde, 1997, S.365), zu erfassen.

Stichprobe
Untersucht wurden insgesamt 127 Kinder, die im Zeitraum von 1989 bis 1999 therapeutische Übergangshilfe erhalten haben. Dabei konnten zu den Erhebungszeitpunkten 1 und 2 Daten zu allen Kindern ausgewertet werden; der Rücklauf zum Katamnesezeitpunkt beträgt 72,4% (N=92). Von zusätzlich 17,3% (N=22) Kindern und Jugendlichen der Ausgangsstichprobe konnte in Erfahrung gebracht werden, in welcher Betreuungssituation sie heute leben, so dass nur bei insgesamt 10,2% (N=15) der Verbleib unbekannt ist. Diese Zahlen sind im Vergleich zu anderen Studie als recht hoch einzuschätzen.

Insgesamt ist die Datenlage zu den einzelnen Erhebungszeitpunkten recht zufriedenstellend, nur in wenigen Fällen konnten Informationen zu einzelnen Aspekten in der retrospektiven Betrachtung nicht mehr beschafft oder eingeordnet werden.

Auswertung
Die Eingabe und statistische Auswertung der erhobenen Daten erfolgte am Institut für Kinder- und Jugendhilfe. Nach der Eingabe der Daten wurde der Datensatz einer umfassenden Plausibilitätsprüfung unterzogen. Durch Rückmeldung verschiedener Unstimmigkeiten an die Einrichtung war es möglich, die meisten Implausibilitäten zu klären.

Zur anschließenden Datenanalyse wurden verschiedene statistische Methoden und Verfahren angewandt. Überwiegend werden bei den nachfolgend beschriebenen Ergebnissen Verfahren der deskriptiven Statistik eingesetzt. In Abhängigkeit vom jeweiligen Skalenniveau werden die Daten in absoluten oder relativen Häufigkeiten (in Prozent) bzw. Mittelwerten, Standardabweichungen, Minimum und Maximum beschrieben.

Zur Prüfung statistisch bedeutsamer Unterschiede werden die Verfahren Varianzanalyse und Chi-Quadrat-Test angewendet. Für die Varianzanalyse als Prüfverfahren gegenüber dem T-Test sprechen die weniger restriktiven Voraussetzungen. Sie ist u.a. weniger anfällig gegenüber Verletzungen der Normalverteilungsannahme (vgl. Bortz, 1993), auf deren Überprüfung im Rahmen der folgenden Datenauswertungen verzichtet wurde. Stärke und Richtung von Zusammenhängen zwischen zwei oder drei Variablen werden mit Korrelationskoeffizienten dargestellt.

Forschungsergebnisse

von Nicolai Klessinger & Andreas Woll, Institut für Kinder- und Jugendhilfe

Nachfolgend werden zentrale und aus unserer Sicht für die Fachöffentlichkeit wesentliche Ergebnisse der umfangreichen Datenauswertungen zusammenfassend dargestellt. Detailliertere Auswertungen des Datenmaterials (z.B. die Darstellung des Verlaufs spezifischer Symptome), die über die dargestellten Ergebnisse hinaus für eine einrichtungsinterne Qualitätssicherung und -entwicklung geeignet sind, werden dem Kinder- und Jugendheim Rheine nach Abschluss des Projektes in Form eines umfangreichen Datenberichts zur Verfügung gestellt. 

Klientelbeschreibung

Soziografische Merkmale
Insgesamt konnte zu Beginn der Therapeutischen Übergangshilfe (TÜ) ein differenziertes Bild der Kinder und ihres sozialen Umfeldes gewonnen werden. 

Von den 127 untersuchten Kindern sind 59 Mädchen (46,5%) und 68 Jungen (53,5%). Damit ist der Mädchenanteil etwas höher als der durchschnittliche  Mädchenanteil bei Kindern im Alter von bis zu 12 Jahren in der stationären Jugendhilfe (Heim). Dieser lag 1997 bei 42% (Statistisches Bundesamt, 2000).

Die Kinder sind bei Aufnahme im Durchschnitt 5,47 Jahre alt, dabei sind 28% der Kinder unter drei Jahre und 22% älter als sieben Jahre.  Die Kinder, die in der ersten Hälfte des Untersuchungszeitraumes aufgenommen wurden (1989 bis 1993) , sind im Vergleich zu den zwischen 1994 und 1999 aufgenommenen durchschnittlich jünger (4,8 Jahre zu 6,0 Jahren, Unterschied signifikant).  Dieser Altersanstieg in der Stichprobe wird erklärt durch eine strukturelle Veränderung in der Einrichtung: 1994 wurde eine neue Gruppe für 10 Kinder im Grundschulalter eröffnet.

Familiäre Situation
Schon durch die Zahlen zur familiären und sorgerechtlichen Situation wird die problembelastete Situation der meisten Kinder, die therapeutische Übergangshilfe erhalten, deutlich.

Vor Beginn der TÜ liegt die Personensorge in 27,6% (N=35) der Fälle bei den leiblichen Eltern, in 41,7% (N=53) bei einem leiblichen Elternteil, in 28,3% (N=36) bei einem Vormund.

In 40,9% (N=52) der Fälle liegt eine aktuelle (innerhalb der letzten drei Monate vor Beginn der TÜ) gerichtliche Auseinandersetzung um die Personensorge vor.

Kontaktfamilien während der TÜ sind in 26,8% (N=34) der Fälle die leiblichen Eltern, zu 20,5% (N=26) Patchworkfamilien mit einem leiblichen Elternteil und Partner oder Verwandten, zu 24,4% (N=31) alleinerziehende Eltern und zu 23,6% (N=30) besteht kein Familienkontakt.

Der Anteil an alleinerziehenden Eltern liegt bei Aufnahme der Kinder ins Caritas-Kinder- und Jugendheim bei 44,1% (N=56). Sehr hoch ist auch der Anteil an Familien bzw. Fällen, in denen in der Vorgeschichte eine Trennung oder Scheidung der Eltern stattgefunden hat oder gerade stattfindet. Er liegt bei 64,6% (N=82). Damit liegt der Anteil an Scheidungs-/Trennungsfamilien noch höher als z.B. in der Stichprobe der vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unterstützten Studie über Leistungen und Grenzen von Heimerziehung (Forschungsprojekt JULE, BMFSFJ, 1998), wo der Anteil bei 55% (Scheidung vor oder während der erzieherischen Hilfe) liegt. Aktuell sind bei Beginn der Therapeutischen Übergangshilfe ein Drittel der Kinder von einer Trennung bzw. Scheidung der Eltern betroffen (33,1%, N=42).

Die Kinder kommen zum Großteil aus einem ökonomisch schwach abgesicherten Kontext. Nur in 20,5% der Fälle verfügen die Familien über ein regelmäßiges Arbeitseinkommen, über die Hälfte (55,2%) sind abhängig von öffentlichen und privaten Transferleistungen, 8% haben ein unregelmäßiges Einkommen und bei 16,5% ist die ökonomische Situation unbekannt.

Von länger als ein halbes Jahr andauernder Arbeitslosigkeit einer Bezugsperson sind bei Aufnahme 53,5 % der Kinder betroffen.

Die ausgeprägten, komplexen Problemlagen in den Familien bestehen häufig schon über einen längeren Zeitraum und gehen über die akute Belastung durch die hilfebedürftigen Kinder hinaus. 86% der Familien hatten schon vormals Kontakte zum Jugendamt, in 81% der Fälle gab es sogar schon in der Großelterngeneration Kontakte zum Jugendamt. Anlässe waren oftmals Partnerschaftskonflikte sowie innerfamiliäre Probleme.

Psychosoziale Belastung
Die teilweise massive dauerhafte psychosoziale Belastung, der die Kinder in ihrem familiären Umfeld längerfristig ausgesetzt sind (länger als 6 Monate andauernd), wird durch folgende Zahlen deutlich:

In 44 Fällen (34,6%) liegt bei Aufnahme des Kindes eine psychische Erkrankung eines Elternteils vor, in 69% (N=88) sind die Beziehungen zwischen Vater und Mutter sehr konfliktbelastet und dauerhaft disharmonisch. 62 (48,8%) der Kinder leben in beengten Wohnverhältnissen und 68 (53,5%) werden von ihren Sorgeberechtigten extrem vernachlässigt.

Die aktuelle psychosoziale Belastung wurde nach den Vorgaben der WHO zur Beschreibung der psychischen Störungen bei Kinder und Jugendlichen erhoben (Remschmidt & Schmidt, 1994, S.147ff.). Erfasst werden folgende in Tabelle 4 abgebildeten Bereiche, die mehrere (zwischen zwei und sechs) Einzelfaktoren zusammenfassen. In die in der Tabelle genannten Prozentzahlen fließen alle Fälle ein, in denen mindestens einer dieser Einzelfaktoren je Bereich vorliegt. Zur späteren Überprüfung der Effekte (Ergebnisqualität) wurden alle Faktoren in einem Summenwert zusammengefasst. Insgesamt liegen bei Aufnahme pro Kind durchschnittlich 10 dieser Faktoren vor.

Auffallend sind die hohen Prozentzahlen in den Bereichen intrafamiliäre Beziehungen, Erziehungsbedingungen und Umgebung – sie verweisen auf die schwierige Gesamtsituation in den Familien. Nicht nur das Kind, sondern in den meisten Fällen auch Eltern und Familien stehen unter teilweise extremer Belastung und sind mit der Situation überfordert.

Vergleicht man die psychosoziale Belastung der Kinder und ihres Umfeldes im Verlauf des untersuchten Zeitraumes (1989 bis 1999), so belegen die Zahlen eine Zunahme schwieriger, äußerst problembehafteter Klientel in der Therapeutischen Übergangshilfe in den letzten Jahren. In den aufgenommenen Fällen nach 1994 zeigt sich eine höhere Gesamtbelastung der betroffenen Klientel. Dabei zeigen sich keine Geschlechtsunterschiede.

Störungen und Symptome
Die Kinder in der Therapeutischen Übergangshilfe weisen eine hohe Störungs- und Symtombelastung bei ihrer Aufnahme auf. 

Nur 10,2 % der Kinder weisen keine Symptombelastung auf, die den Kriterien einer psychischen oder Entwicklungsstörung des Kinder- und Jugendalters nach WHO entsprechen und zur Diagnose einer solchen führen, d.h. allerdings nicht, dass diese Kinder völlig symptomfrei sind, sondern nur dass ihre Symptome einem leichteren Schweregrad entsprechen. 

Insgesamt weisen 76,6% psychische Störungen mit deutlichen und schwerwiegenden Symptomen auf. Die häufigsten Störungsbilder sind die komplexen Bindungs- und Sozialverhaltensstörungen. 56,8% der Kinder erfüllen die Kriterien einer Entwicklungsstörung, häufig als komplexe kombinierte Störung (31,5%) oder Sprachstörung (15%).

In Anlehnung an die Jugendhilfe-Effekte Studie wurde als globale Einschätzung für das Ausmaß des Störungsbildes der Schweregrad der psychischen Störung, bezogen auf den Interventionsbedarf, auf einer vierstufigen Skala eingeschätzt, die die Werte 0 (keine psych. Störung), 1 (leicht, Störung kann von Laien übersehen werden, Problemverhalten tritt nicht durchgängig auf), 2 (mittel, Vorliegen des Interventionsbedarfs wird auch von Nichtexperten erkannt, Problemverhalten deutlich, und 3 (schwer, massiv ausgeprägtes, durchgängig vorhandenes Problemverhalten) annehmen kann.

Der mittlere Schweregrad der psychischen Störungen bei den Kindern der Therapeutischen Übergangshilfe liegt bei der Aufnahme bei 1,93 und ist dabei im Vergleich der Zeiträume 1989 bis 1993 und 1994 bis 1999 deutlich von 1,6 auf 2,2 gestiegen. Im einzelnen weisen zu Beginn der TÜ 14% der Kinder (N=18) einen Schweregrad von 0 auf, 16% (N=20) einen leichten, 32,5% (N=41) einen mittleren und 37%  (N=47) einen schweren.

Damit liegt der Schweregrad in einem ähnlichen Bereich, wie in anderen Untersuchungen wie zum Beispiel der Evaluationsstudie erzieherischer Hilfen (Evas), wo er bei 849 untersuchten Hilfen bei Aufnahme bei 1,96 liegt (Institut für Kinder- und Jugendhilfe, in Vorb.). Allerdings liegt das Durchschnittalter der in die EVAS-Stichprobe einfließenden Kinder auch höher.

Sexueller Missbrauch und Misshandlung
Insgesamt wurden 20,5% der Kinder (N=26) innerhalb des letzten halben Jahres vor ihrer Aufnahme sexuell missbraucht. In 16 Fällen lag der Beginn des sexuellen Missbrauchs länger als ein halbes Jahr zurück. Bei 22 Kindern fand der sexuelle Missbrauch innerhalb der Familie statt (davon in 3 Fällen auch außerhalb). Diese Zahlen beziehen sich auf alle 127 Fälle und beinhalten nur die Fälle, bei denen gesicherte Informationen zu einem sexuellen Missbrauch nach Kriterien der WHO vorliegen. Die tatsächliche Anzahl sexuell missbrauchter Kinder könnte noch deutlich höher liegen, denn in weiteren 24,4% der Fälle lagen keine gesicherten Informationen vor, (die die Tatsache eines sexuellem Missbrauchs weder be- noch widerlegen).

Hoch ist auch der Anteil an Kindern, die in ihrem Umfeld Situationen mit körperlicher Gewalteinwirkung ausgesetzt waren: 48,8% (N=62) der Kinder wurden im Vorfeld der Hilfe körperlich misshandelt.

Sowohl Kinder, die sexuell missbraucht, als auch Kinder, die körperlich misshandelt oder vernachlässigt wurden, weisen einen deutlich höheren Schweregrad an psychischen Störungen als auch eine deutlich schlechtere psychosoziale Anpassung auf.

Bindung und Beziehungsfähigkeit
In engem Zusammenhang mit Erfahrungen von sexuellem Missbrauch und körperlicher Misshandlung stehen Auswirkungen auf Bindung und Beziehungsverhalten. Bindung ist für die kindliche Entwicklung im allgemeinen und gerade zum Aufbau sozialer Beziehungen bedeutsamer Faktor. Bei gesunder Entwicklung haben im Alter von 9 Monaten rund drei viertel aller Kinder eine deutliche Bindung (Herbert, 1999, S. 12), meist zur Mutter, entwickelt. Diese Bindung bildet die Grundlage zum Aufbau neuer Beziehungen in der Kindheit wie im Erwachsenenalter.  In der Bindungstheorie wird unterschieden zwischen sicheren und unsicheren Bindungsmustern (vg. z.B. Ainsworth, 1989). Im einzelnen werden folgende vier Bindungsmuster unterschieden:

  • A: unsicher-vermeidend
  • B: sicher
  • C: unsicher-ambivalent
  • D: desorganisiert

Zahlreiche Untersuchungen konnten zeigen, dass unsichere Bindungsmuster typisch sind bei Kindern, die sexuell missbraucht oder körperlich misshandelt wurden (vgl. dazu Kinzl, 1998).

Zu Beginn der Therapeutischen Übergangshilfe weisen nur 3 Kinder (2,4%) nach Einschätzung der pädagogischen Mitarbeiter ein sicheres Bindungsmuster auf, 45 (35,4%) zeigen typische Verhaltensweisen eines unsicher-vermeidenden Bindungsmusters, 38 (29,9%) Verhaltensweisen einer unsicher-ambivalenten und 27 (21,3%) eines desorganisierten Bindungsmusters.  Bei 14 Kindern (11%) lagen in der Retrospektive nicht ausreichend Informationen vor, um eine Zuordnung vorzunehmen.

Der hohe Anteil an unsicherem, ambivalentem und desorganisiertem Bindungsverhalten belegt die zu Beginn der Hilfe überwiegend mangelnden Beziehungsfähigkeiten der Kinder, deren Vertrauen besonders zu Erwachsenen durch Erfahrungen und Traumatisierungen von Misshandlung, Vernachlässigung und/oder sexuellem Missbrauch in der frühen Kindheit nachhaltig zerstört ist.

So haben nach Einschätzung der betreuenden Fachkräfte der TÜ 80% der Kinder kein Vertrauen gegenüber ihrer Bezugsperson und 60% deutlich erkennbare Ängste im Umgang mit Erwachsenen. 86% haben kein Verständnis  für „richtig und falsch“, 89% dulden keinen Bedürfnisaufschub und jeweils 83% können keine Grenzen akzeptieren bzw. sich nicht abgrenzen.

Vorinterventionen
Für viele Kinder ist die Therapeutische Übergangshilfe nicht die erste initiierte Hilfe. Am häufigsten, in 29% der Fälle ging der TÜ eine Sozialpädagogische Familienhilfe nach §31 KJHG voraus. Elf Prozent der Kinder waren vorher in Vollzeitpflege (§33), 10% in stationären Einrichtungen nach §34 und in 11% ist der TÜ eine Erziehungsberatung vorausgegangen. Zusätzlich waren acht Kinder (6,3%) vorher in vollstationärer psychiatrischer Behandlung, 12 (9,4%) in ambulanter psychotherapeutischer Behandlung.

Nur 22 Kinder (17,3 %) hatten vor der Aufnahme in die Therapeutische Übergangshilfe keine Vorinterventionen oder andere Hilfen. Insgesamt sprechen auch  diese Zahlen einerseits für die allgemeine Belastung der Klientel, andrerseits werfen sie auch die Frage auf, ob die vorausgegangenen Hilfen die jeweils ädaquate Hilfeform darstellten.

Schulische Situation
Auch die Zahlen zur (vor-)schulischen Situation spiegeln die Problemlagen der untersuchten Kinder und ihres sozio-ökonomischen Umfeldes wider. So besuchten lediglich nur knapp zwei Drittel (63,4%, N=33) der 52 Kinder, die bei Aufnahme noch nicht schulpflichtig und älter als 3 Jahre waren, einen Kindergarten oder eine andere vorschulische Einrichtung.

Von 43 Kindern im schulpflichtigen Alter  wurden 11,6% (N=5) wegen Entwicklungsrückstandes zurückgestellt, weitere 11 Kinder (25,6%) wiesen einen Schulrückstand von mindestens einem Jahr auf. Diese Zahlen sind als recht hoch einzuschätzen und verdeutlichen den Hilfebedarf der Kinder.

Zum Vergleich: In der Jugendhilfe-Effekte Studie, in der das Durchschnittsalter der Stichprobe je nach Hilfeart zwischen 7,8 und 10,2 Jahren schwankt, also deutlich höher ist, liegt der Anteil an Kinder mit Schulrückstand bei 44% (Schmidt et al., in Vorb.).

Ressourcen und Schutzfaktoren
Neben der eher defizitorientierten Erfassung der Störungen und Belastungen wurde in der vorliegenden Studie auch ressourcenorientiert erhoben. Dabei wurden sowohl umfangreich einzelne Ressourcen und Schutzfaktoren auf Seiten von Kind und Eltern erfasst, als auch Messskalen zur Beurteilung des psychosozialen Funktionsniveaus. Darunter wird die alterstypische Kompetenz bezüglich der Funktion des Kindes in den fünf Bereichen Familie, Schule, gegenüber Gleichaltrigen, bei Interessen und Freizeitbeschäftigungen sowie bezüglich der Selbständigkeit verstanden.

Das Funktionsniveau für die einzelnen Bereiche wurde jeweils auf einer Skala von 1 (extrem unterdurchschnittlicher Entwicklungsstand) über 4 (durchschnittlich) bis 7 (weit überdurchschnittlicher Entwicklungsstand) erfasst.

Wie in Abb. 3 zu erkennen ist, weisen die Kinder in der Therapeutischen Übergangshilfe durchschnittlich einen unterdurchschnittlichen Entwicklungsstand in den meisten Bereichen auf  (vgl. schwarze Linie in Abb. 3).

Zur Gesamteinschätzung der Ressourcen und des Funktionsniveaus der Kinder wurde die sogenannte Globalbeurteilung der psychosozialen Anpassung nach WHO-Kriterien (Remschmidt & Schmidt, 1994, S.159) eingesetzt. Sie erlaubt eine 9-stufige Einschätzung von 0 (hervorragende soziale Anpassung) bis 8 (ständige („rund um die Uhr“-) Betreuung nötig) und soll sich auf die folgenden Bereiche beziehen:

  • Beziehungen zu Familienangehörigen, Gleichaltrigen und Erwachsenen außerhalb der Familie
  • Bewältigung von sozialen Situationen (allg. Selbständigkeit, lebenspraktische Fähigkeiten, Hygiene und Ordnung
  • schulische Anpassung (in der vorliegenden Untersuchung wurde je nach Alter die vorschulische Anpassung eingeschätzt)
  • Interessen und Freizeitaktivitäten.

Insgesamt weisen etwa drei viertel der Kinder deutliche bis schwerwiegendste soziale Beeinträchtigungen auf (vgl. schwarze Trennlinie in Abb.4). Von den 19 Fällen (15%), in denen  eine „rund-um-die-Uhr“-Betreuung nötig ist sind 14 Kinder unter 2 Jahre alt.

Prozessqualität

Ganz allgemein versteht man unter Prozessqualität das „Vorhandensein und die Beschaffenheit solcher Aktivitäten, die geeignet und notwendig sind, ein bestimmtes Ziel der Leistung zu erreichen.“ (Merchel, 1999, 29). Darunter fallen alle Handlungen zwischen Leistungserbringer (Einrichtung) und Leistungsempfänger (Kind), die zur Erreichung der Hilfeziele eingesetzt werden, wie ganz allgemein alle Formen therapeutisch-pädagogischer Interventionen, ihr Umfang und ihre Intensität.

Im folgenden sollen die wichtigsten Interventionen und Arbeitsschwerpunkte der Therapeutischen Übergangshilfe dargestellt und die Prozessqualität mit Hilfe geeigneter Merkmale beschrieben werden.

Unterbringungsdauer
Als ein wichtiges Qualitätsmerkmal wird gerade vor dem Hintergrund aktueller Spardiskussionen und der Forderung nach möglichst effektiven und effizienten Hilfemaßnahmen in der Jugendhilfe immer wieder die Unterbringungs- bzw. Verweildauer besonders bei kostenintensiven stationären Hilfen herangezogen.

Im Bereich der therapeutischen Übergangshilfe beträgt die durchschnittliche Verweildauer im untersuchten Aufnahmezeitraum (1989 bis 1999) 1,2 Jahre.

Damit liegt die Verweildauer in der Therapeutischen Übergangshilfe im Bereich des Bundesdurchschnitts von 14 Monaten Dauer bei 3- bis 6-jährigen bzw. von 18 Monaten bei den 6- bis 9-jährigen in der Heimerziehung (Statistisches Bundesamt, 2000).

Ein Vergleich mit der Altersverteilung zeigt einen statistisch signifikanten U-förmigen Zusammenhang. Insbesondere die sechs- und siebenjährigen Kinder bleiben am längsten in der Einrichtung (Durchschnitt 1,6 Jahre). Sowohl die jüngsten Kinder (bis drei Jahre) als auch die ältesten (über 10 Jahre) weisen eine Verweildauer von unter einem Jahr auf.

Die Länge der Verweildauer hängt in der Regel auch davon ab, wie schnell eine adäquate Anschlussperspektive für die entsprechenden Kinder gefunden werden kann. Gerade bei älteren Kindern ist es mitunter schwierig, eine geeignete Pflegefamilie zu finden, so dass diese Kinder teilweise länger bleiben, als sie eigentlich müssten.

Durchgeführte Interventionen
Innerhalb der Therapeutischen Übergangshilfe erhalten die Kinder entsprechend ihrer jeweiligen Gesamtsituation verschiedene spezielle Förderungen im pädagogischen, heilpädagogischen und psychotherapeutischen Bereich. Die häufigste Förderung ist die psychotherapeutische Spieltherapie (insgesamt 79 Fälle), in der die Verarbeitung von Traumatisierung, Missbrauch und Misshandlung im Mittelpunkt steht. In der Regel ist eine spieltherapeutische Behandlung erst ab einem Alter von 4 Jahren geeignet, daher sind von den 79 Kindern auch nur 3 jünger gewesen.

Betrachtet man alle Kinder über 4 Jahre, also die potentielle Klientel für eine spieltherapeutische Behandlung, und vergleicht die prozentuale Verteilung über die letzten 10 Jahre, so kommt man auf eine „Spieltherapiequote“ von 74,4% im Zeitraum von 1989 bis 1993 und auf eine von 88,7% von 1994 bis 1999.

Die meisten Kinder erhalten während ihres Aufenthaltes im Durchschnitt drei spezifische Interventionen aus einem breiten, differenzierten Angebot, die neben der alltäglichen pädagogisch-therapeutischen Förderung in den Gruppen, in denen der Aufbau von Bindungs- und Beziehungsfähigkeit die Hauptzielsetzung darstellt, stattfinden. Der Umfang der Interventionen variiert natürlich mit der Unterbringungsdauer. Insgesamt erhielten 25% der Kinder bis zu 52 Stunden Förderung, 50% zwischen 52 und 235 Stunden spezifischer Interventionen und 25% mehr als 235 Stunden im Hilfezeitraum.

Hilfeplanung und interne Interventionsplanung
Weitere Kriterien für die Prozessqualität sind die Revision, d.h. die Fortschreibung der Hilfepläne und interne Interventionsplanungen. Im Rahmen der therapeutischen Übergangshilfe fanden in 82% der Fälle eine 1. Revision, in 65% eine 2., in 42% eine dritte und in 27% eine vierte Revision des Hilfeplans statt. 

Die interne Interventions-/ Erziehungs- und Behandlungsplanung wurde in 65,5% (N=83) der Fälle schriftlich dokumentiert und in 23% (N=29) aufgestellt, aber nicht schriftlich dokumentiert. In 15 Fällen (11%) ist zusätzlich zum Hilfeplan keine interne Interventionsplanung aufgestellt worden.

Bei diesen einrichtungsinternen Planungen waren zu 57% Sachbearbeiter des Jugendamtes und zu 57% die Eltern (leibl. oder Pflegeeltern) beteiligt. An 26% der Interventionsplanungen war die Einrichtungsleitung beteiligt, in 74% waren Psychologen bzw. Kindertherapeuten, in 87% Sozialpädagogen, in 49% Heilpädagogen und in 71% ErzieherInnen beteiligt. Besonders der hohe Anteil von Beteiligung von Jugendamtsmitarbeitern weist auf eine gute Kooperation hin, der hohe Anteil an Fachkräften spricht für eine hohe Fachlichkeit der Interventionsplanungen.

Zufriedenheit und Zustimmung der Beteiligten
Als ein weiteres Merkmal zur Beurteilung der Prozessqualität kann die Zufriedenheit und Zustimmung der Beteiligten zur gewählten Hilfe herangezogen werden.

Zu Beginn der TÜ ist die Zustimmung bei pädagogischen, psychologischen und medizinischen Fachkräften sowie bei Amtsvormunden maximal auf einer Skala von eins bis fünf. Die Zustimmung der Eltern ist dagegen verhaltener, insgesamt  aber überdurchschnittlich.

Hinsichtlich des gesamten Hilfeverlaufs sind die Helfenden im Caritas-Kinder- und Jugendheim Rheine (befragt wurde jeweils die Hauptbezugsperson) in insgesamt 87% der Fälle in unterschiedlichem Ausmaß zufrieden (in 29% der Fälle sehr zufrieden, in 38% weitgehend zufrieden und in 20% mäßig zufrieden). Eingeschätzt werden sollte der Hilfeprozess, die Rahmenbedingungen und Zusammenarbeit mit Familien und Jugendamt. Unzufriedenheit wurde in 13% der Fälle geäußert (6% eher unzufrieden, 3% bzw. 4% weitgehend bzw. extrem unzufrieden).

Ähnlich hoch wird die Zufriedenheit der beteiligten Mitarbeiter beim Jugendamt eingeschätzt: im Durchschnitt liegt sie bei ca. 1,8 auf der beschriebenen Skala, in 9% gab es Unzufriedenheit.

Während der Therapeutischen Übergangshilfe fanden in 70 der 127 Fälle regelmäßig Kontakt zu den sozialen Eltern statt. Die Zusammenarbeit mit ihnen wird von den Helfenden folgendermaßen eingeschätzt: Als konstruktiv und mitwirkend wird die Zusammenarbeit in 21% (von 70) erlebt; in 19% finden Absprachen statt, die aber nicht hinreichend umgesetzt werden; in weiteren 21,4% gibt es geringe Ansätze zur Mitwirkung. In 20% der Fälle wird die Mitwirkung der Eltern von den Mitarbeitern eher als Behinderung erlebt, 6% der Eltern entziehen sich der Zusammenarbeit und 13% zeigen oppositionelles Verhalten. Dementsprechend sehen auch die Einschätzungen zur Zufriedenheit der sozialen Eltern mit der Hilfe aus: Sehr wohl fühlen sich 10%, überwiegend zufrieden sind 28%, ambivalente äußerten sich 24%, 11% beklagten sich häufig und 27% würden die Hilfe gerne abbrechen. Diese Zahlen sollten natürlich immer vor dem Hintergrund der familiären Situation interpretiert werden.

Zusammenfassend belegen die Zahlen eine gute Prozessqualität im Rahmen der Therapeutischen Übergangshilfe. Hervorzuheben ist dabei besonders die hohe Fachlichkeit der aufgestellten internen Interventionsplanungen sowie die gute Kooperation mit dem Jugendamt.

Die Kooperation mit den Eltern und Erziehungsberechtigten der betroffenen Kinder gestaltet sich dagegen oft als schwierig und als für die Mitarbeiter unbefriedigend.

Ergebnisqualität – Effekte der Therapeutischen Übergangshilfe

Nach der Konzeption der TÜ ist die Reintegration in die Herkunftsfamilie, falls möglich, erstes Ziel. An zweiter Stelle steht die Vermittlung in eine familienorientierte Betreuungsform (Pflegefamilie) oder in eine angemessene Form der Heimerziehung. Dabei sollen die Kinder nach Möglichkeit in ein möglichst stabiles Umfeld zurückgeführt werden, das ihnen eine kontinuierliche Entwicklungschance bietet.

Vermittelte Perspektive im Anschluss an die Therapeutische Übergangshilfe
Im Rahmen der untersuchten 127 Hilfeverläufe konnten 35 Kinder (28%) nach Beendigung der Therapeutischen Übergangshilfe in ihr Herkunftssystem (Familien, Verwandtschaft)  59 Kinder in eine Pflegefamilie (46%) und 33 Kinder (26%) in eine stationäre Einrichtung (Heim und in einem Fall Psychiatrie) entlassen werden.

Betrachtete man die Integration in Herkunftsfamilie oder Pflegefamilie als Erfolgskriterium und eine Vermittlung in eine stationäre Einrichtung als Misserfolg, dann könnte man vereinfacht von 74% erfolgreichen Hilfeverläufen sprechen. Doch je nach Problemkonstellation, Traumatisierungsgrad und Alter der jeweils betroffenen Kinder kann natürlich auch die anschließende Vermittlung in eine stationäre Einrichtung einen Erfolg darstellen.

Zu erkennen ist, dass mit zunehmendem Alter der prozentuale Anteil der Vermittlungen in die Herkunftssysteme zunimmt (von 19% bei unter 2-jährigen auf 37% bei Kindern über 8 Jahre) und die Vermittlung in Pflegefamilien abnimmt (von 81% bei unter 2-jährigen auf 11% bei über 8-jährigen). Vermittlungen in stationäre Einrichtungen finden erst ab dem 4. Lebensjahr statt und nehmen mit zunehmendem Alter der Kinder zu (von 22% auf 52% bei über 8-jahrigen). Diese Zahlen decken sich mit den Beobachtungen aus der Praxis, wo die Vermittlung in Pflegefamilien ab dem Grundschulalter deutlich seltener gelingt (u.a. weil es schwierig ist, geeignete Pflegefamilien zu finden).

Vergleicht man die Kinder, die in unterschiedliche Perspektiven vermittelt wurden, hinsichtlich der Verweildauer in der Therapeutischen Übergangshilfe, so finden sich deutliche, signifikante Unterschiede. Bei Kindern, die in ihr Herkunftssystem zurückgeführt werden konnten liegt die durchschnittliche Verweildauer bei 0,84 Jahren, bei Kindern in Pflegefamilien bei 1,2 Jahren und bei Kindern, die in stationäre Einrichtungen vermittelt wurden bei 1,6 Jahren, ist also deutlich höher.

Kontinuität der vermittelten Perspektive
In der katamnestischen Erhebung konnte der Verbleib von insgesamt 114 Kindern geklärt werden. Von diesen 114 Kindern befinden sich noch 78,9% (N=90) in der nach der Therapeutischen Übergangshilfe vermittelten Perspektive. Unter dem Kriterium der Kontinuität können diese 79% als erfolgreiche Vermittlungen betrachtet werden. 24 Kinder (22,1%) befinden sich nicht mehr in der vermittelten Perspektive.

Betrachtet man die Kontinuität unter dem Aspekt, wohin die Kinder nach der Therapeutischen Übergangshilfe vermittelt wurden, so ergeben sich signifikante Unterschiede in der Erfolgsquote:

  • Von den 26 Kindern, die nach der TÜ in ihr Herkunftssystem zurückgingen, leben 76,9%  N=20) aktuell auch noch dort.
  • Von 56 Vermittlungen in eine Pflegefamilie sind 89,3% (N=50) zum Katamnesezeitpunkt noch in der Perspektive.
  • Von den 32 in eine stationäre Einrichtung vermittelten Kinder leben heute noch 62,5% (N=20) dort.

Die Zahlen belegen insgesamt eine hohe Kontinuität in den im Anschluss an die  Therapeutische Übergangshilfe vermittelten Perspektiven. Die Therapeutische Übergangshilfe hat mit ihrer Arbeit dazu die Vorraussetzungen geschaffen und zu  dieser Kontinuität beigetragen.

Ihre Effekte in verschiedenen Teilbereichen (psychosoziale Belastung, Störungen, Bindung, Ressourcen) werden im folgenden dargestellt, unabhängig von der gewählten Anschlusshilfe.

Psychosoziale Belastung
Nach Einschätzung der Hilfeleistenden hat sich die psychosoziale Situation, d.h. die akute Belastung der Kinder, in insgesamt 78% der Fälle während der Therapeutischen Übergangshilfe verbessert. Im einzelnen hat sie sich in 25,2% (N=32) etwas gebessert, in 42,5% (N=54) deutlich und in 10,2% (N=13) bis zur kompletten Entlastung gebessert. Unverändert ist die Situation bei 11,8% (N=15), verschlechtert hat sich die Situation in einem Fall, in der Retrospektive nicht mehr beurteilbar waren 12 Fälle (9,4%).

Grundlage der Einschätzung zur Veränderung der psychosozialen Belastung waren die weiter oben beschriebenen Belastungsfaktoren. Während der TÜ ist die durchschnittliche Anzahl an Belastungsfaktoren von ca. 10 Faktoren zu Beginn auf 4 Belastungsfaktoren bei Entlassung gesunken. Bei der Katamnese waren durchschnittlich nur noch 2,5 Belastungsfaktoren pro Kind (N=92) vorhanden, d.h. die während der TÜ stattgefundene Entlastung konnte sich auch in den Anschlusshilfen bzw. den Herkunftsfamilien stabilisieren.

Störungen
Die Auswertungsergebnisse zu den Krankheitsbildern zeigen, dass Störungen und erfasste Symptome im Verlauf der Therapeutischen Übergangshilfe deutlich reduziert werden. Auch nach Beendigung der TÜ, im Katamnesezeitraum,   setzt sich dieser Verlauf häufig positiv fort. Sowohl der Anteil an psychischen Störungen als auch an Entwicklungsstörungen sinkt im Verlauf der Therapeutischen Übergangshilfe und im Anschluss an die Hilfe. So sinkt z.B. der Anteil an Anpassungsstörungen als Reaktion auf schwere Belastungen von 13% zu Beginn der TÜ über 5% am Ende der TÜ auf 2% zum Katamnesezeitpunkt.

Der durchschnittliche Verlauf von Störungen und Symptomen in der Gesamtstichprobe wird durch den Index (s.o.) Schweregrad psychischer Störungen adäquat wiedergegeben.

Der signifikant abfallende Verlauf ist in Abb. 9 dargestellt. Über alle drei Zeitpunkte konnten Daten von 91 Kindern ausgewertet werden. Das Absinken der Mittelwerte von 2,1 (mittlerer Schweregrad) zu Beginn der TÜ über 1,4 am Ende der TÜ auf 1,04 (leichter Schweregrad) bis zur Katamnese belegt den deutlichen Abbau an psychischen Störungen und Symptomen bei der untersuchten Klientel.

Zusätzlich zur Erfassung des Schweregrades wurde die Einschätzung zur Veränderung und der daraus abgeleitete Interventionsbedarf durch die Helfenden erfragt. Die Einschätzung erfolgte während der TÜ durch die pädagogischen Fachkräfte in den Gruppen, zur Katamnese für den Zeitraum nach der TÜ schätzten die jeweils interviewten Personen (Pflegeeltern, Eltern, Fachkräfte aus Einrichtungen und Jugendämtern) die Veränderung aus ihrer Sicht ein.

Am Ende der Therapeutischen Übergangshilfe wird bei 79,5% der Kinder der Interventionsbedarf als geringer eingeschätzt (32% etwas geringer, 36,5% deutlich geringer und 11% kein Interventionsbedarf mehr vorhanden). In 20,5% wird er als unverändert erlebt.

Zum aktuellen Zeitpunkt ist die Einschätzung ähnlich: Ein geringerer Interventionsbedarf besteht aus Sicht der jeweils Befragten in 86% der Fälle (27% sind völlig gebessert, 36% deutlich und 21% geringfügig) seit Ende der TÜ. Unverändert bleibt der Bedarf bei 14% der Kinder.

Bindung und Beziehungsfähigkeit
Zur Dokumentation der Entwicklung des Bindungsverhaltens wurde ein eigens im Caritas-Kinder- und Jugendheim Rheine entwickelter Fragebogen (Janning & Tippkötter, 1999) eingesetzt, der über insgesamt 28 Items versucht, die vier Bindungsmuster A, B, C und D (s.o.) auf vier Skalen zu erfassen. Der Fragebogen dient einrichtungsintern zur Beobachtung und Dokumentation des Bindungsverhaltens und wird zu diagnostischen und therapeutischen Zwecken verwendet. Im Rahmen der vorliegenden Studie war es nun das erste Mal möglich, die Reliabilität, d.h. die Zuverlässigkeit des Fragebogens zu erfassen. Dabei erreichten alle Skalen zufriedenstellende Werte.

Insgesamt zeigt sich im Verlauf der vier Skalen eine deutliche Abnahme unsicheren (unsicher-vermeidenden, unsicher-ambivalenten und desorganisierten) Bindungsverhaltens und eine Zunahme von sicherem Bindungsverhalten. Gerade desorganisiertes Bindungsverhalten, das u.a. durch einen Mangel an Strategien, Affekte zu regulieren und zu bewältigen, gekennzeichnet ist, steht in Zusammenhang mit posttraumatischer Belastungsstörung und sexuellem Missbrauch (vgl. Kinzl, 1998). In der vorliegenden Stichprobe weisen Jungen im Vergleich zu Mädchen ein durchgängig höheres Niveau an desorganisiertem Bindungsverhalten auf. Dieser Geschlechteffekt findet sich nicht bei den übrigen Bindungsmustern.

Die Mehrzahl der Kinder zeigen am Ende der Therapeutischen Übergangshilfe überwiegend Verhaltensweisen, die einem sicheren Bindungsmuster zuzuordnen sind. Damit ist die Grundlage für den Aufbau neuer Beziehungen bzw. die (Wieder)herstellung von Bindung an die Bezugspersonen geschaffen.

Ressourcen
Auch bei den Ressourcen zeigen sich im Verlauf über die drei Erhebungszeitpunkte positive Entwicklungen: Von Beginn bis zum Ende der TÜ nimmt die Anzahl beim Kind vorhandener Ressourcen deutlich zu. Auch hier setzt sich die positive Entwicklung während des Katamnesezeitraumes fort.

Während die Kinder bei Aufnahme nur über durchschnittlich ca. 5 Schutzfaktoren aus dem erfragten Ressourcenkatalog verfügen, sind es zum Zeitpunkt der Katamnese durchschnittlich 24 Schutzfaktoren aus den verschiedensten Bereichen. Dabei verfügen ältere Kinder über die höhere Anzahl von Ressourcen.

Auch die Globalbeurteilung der psychosozialen Anpassungsleistung nach WHO (vgl.. Remschmidt & Schmidt, 1994, S. 159) als ressourcenorientieres Maß für das Funktionsniveau zeigt im Verlauf der Hilfe(n) eine deutlich positive Entwicklung. Zu beachten ist dabei, dass vergleichbar mit Pflegestufen in der Altenhilfe, die niedrigeren Zahlen für eine gute Anpassungsleistung bzw. ein gutes Funktionsniveau des Kindes stehen (so steht „0“ für hervorragende Anpassung und „8“ für eine notwendige 24-Stunden-Betreuung).

Wie zu erkennen ist, fallen die Durchschnittswerte in beiden Geschlechtern während der TÜ von insgesamt 5,1 (durchgängige soziale Beeinträchtigung in allen Bereichen) auf 3,0 und bis zur Katamnese weiter auf 2,3 (leichte soziale Beeinträchtigung).

Dabei ist die Verbesserung während der TÜ größer als im Anschluss (steilerer Verlauf). Zu erkennen ist außerdem, das die Anpassungsleistung bei Jungen insgesamt etwas niedriger ist.

Die dargestellten positiven Veränderungen finden in allen Bereichen statt, auf die sich das Globalmaß bezieht (Beziehung zu Familie und Gleichaltrigen, Bewältigung sozialer Situationen, Autonomie, schulische Anpassung, Interessen). Die bedeutendsten Veränderungen während der TÜ finden nach Einschätzung der Mitarbeiter im Bereich Beziehung zu Familie und Gleichaltrigen statt. Dies ist ein weiterer Beleg für die positive Entwicklung der Kinder gerade im Bereich sozialer Beziehungen.

Zusammenfassung

von Nicolai Klessinger, Institut für Kinder- und Jugendhilfe

In der vorliegenden retrospektiven Längsschnittstudie werden Hilfeverläufe von 59 Mädchen und 68 Jungen im Alter zwischen 4 Monaten und 12 Jahren untersucht, die von 1989 bis 1999 Therapeutische Übergangshilfe im Caritas-Kinder- und Jugendheim Rheine erhalten haben. Ziel ist die Erfassung und Dokumentation von Prozess- und Ergebnisqualität (Effekte) der Therapeutischen Übergangshilfe.

Die 127 Kinder stammen zum überwiegenden Teil aus Familien mit einem stark belasteten sozio-ökonomischen Umfeld und bleiben durchschnittlich 1,2 Jahre in der Einrichtung. Insgesamt handelt es sich um eine durch Erfahrungen von Vernachlässigung, körperlicher und seelischer Misshandlung sowie sexuellem Missbrauch schwer belastete Klientel, die durch ein hohes Maß an unsicherem Bindungsverhalten und mangelnder Beziehungsfähigkeit gekennzeichnet ist.

Die Ergebnisse belegen deutlich positive Aspekte von Prozess- und Ergebnisqualität im Rahmen der Therapeutischen Übergangshilfe.

Hervorzuheben sind dabei besonders die hohe Fachlichkeit der aufgestellten internen Interventionsplanungen sowie die gute Kooperation mit dem Jugendamt (Prozessqualität).

In den betrachteten Hilfeverläufen zeigen sich Effekte, die in den Bereichen psychosoziale Belastung, Störungen und Symptome, Bindung und Ressourcen eine insgesamt deutliche positive Entwicklung während und nach der Therapeutischen Übergangshilfe dokumentieren (Ergebnisqualität).

Im Anschluss an die Therapeutische Übergangshilfe können 28% der Kinder in ihre Herkunftsfamilien zurückgeführt werden, 46% in eine Pflegefamilie und 26% in eine angemessene Form der Heimerziehung vermittelt werden.

Die positiven Hilfeverläufe werden am besten durch die Kontinuität der Anschlussperspektiven belegt: 79% der Kinder sind heute noch in der nach der Therapeutischen Übergangshilfe vermittelten Perspektive.

Forschungsliteratur
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Remschmidt, H. & Schmidt, M.H. (1994). Multiaxiales Klassifikationsschema für psychische Störungen des Kindes- und Jugendalters nach ICD-10 der WHO. Bern: Huber.
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