FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Artikel / Jahrgang 2004

 

Zur Situation von Pflegekindern und Konsequenzen
für die Praxis der Jugendhilfe

von Christoph Malter
(Mai 2004)

 

Viele Pflegekinder sind aufgrund von Misshandlung, Vernachlässigung und sexuellem Missbrauch dauerhaft in ihrer Entwicklung beeinträchtigt. Oft ist die Unterbringung außerhalb der eigenen Familie das letzte Mittel der Hilfe für ein Kind in akuten oder dauerhaften Gefährdungs- und Krisensituationen. Nicht selten sind ambulante Hilfen vorausgegangen und gescheitert. Betroffen ist eine kleine Gruppe von Kindern, denn weniger als 1% aller Kinder und Jugendlichen befinden sich in Pflegefamilien. Die relativ kleine Gruppe der Fremduntergebrachten (Heim und Pflegefamilie) bereitet den Kommunen hingegen erhebliche finanzielle Probleme (vgl. Schilling, 2003 zu BT-Drs. 15/114 u. 15/1406).

Die Bedeutung der ersten Lebensjahre für eine gelingende Entwicklung und die spätere Integration in die Gesellschaft ist hinreichend bekannt und wissenschaftlich ausreichend belegt. Die psychoanalytische Ich-Psychologie (insbes. Spitz, 1967) und die Bindungslehre (insbes. Bowlby, 1975, 1976) besagen, dass fehlende emotionale Zuwendung und Bezugspersonenwechsel im Säuglings- und Kleinkindalter, extreme Vernachlässigung oder gar Misshandlungen zu dauerhaften und schwer heilbaren psychischen Schädigungen beim Kind führen, häufig verbunden mit Dissozialität im Erwachsenenalter (vgl. Hartmann, 1996). Die jüngere Traumaforschung (insbes. Kolk, 2000, ein Überblick in Bezug auf Umgang/Pflegekinder bei Diouani, 2003) untermauert diese entwicklungspsychologischen Erkenntnisse und belegt darüber hinaus tiefgreifende physiologische Schädigungen des Gehirns.

Die effizienteste Hilfe für so gefährdete Kinder ist die möglichst frühe Adoption.
„Bei frühadoptierten Kindern kommt es genau so häufig zur Bindungssicherheit wie bei Kindern, die mit ihren leiblichen Eltern aufwachsen“ (Schleiffer, 2001, S.90). Dennoch kompensiert diese Hilfe nicht immer den Verlust der leiblichen Eltern. Selbst Frühadoptierte werden später vermehrt psychiatrisch auffällig (ebd.). Für die Praxis kommt erschwerend hinzu, dass die frühe Adoption in vielen Fällen an der fehlenden Einwilligung der Eltern und dem verfassungsrechtlich stark abgesicherten Elternrecht scheitert. Für eine große Zahl der herausnahmebedürftigen Kinder ist deshalb die Alternative das Heim oder die Pflegefamilie.

Hier lässt sich grundsätzlich sagen, dass die Erziehung in einer Pflegefamilie die prognostisch deutlich bessere Alternative gegenüber der Heimerziehung darstellt (vgl. z.B. Goldfarb, 1943; Bowlby 1951; Hodges u. Tizard, 1989; Vorria et. al. 1998; Roy et. al. 2000). Seit dem Beginn der Bindungsforschung hat sich daran kaum etwas geändert. Detaillierte Angaben zum Erfolg von Pflegefamilienerziehung gibt es wenig. Die Abbruchquote beträgt, je nach Alter des Kindes bei der Aufnahme, zwischen 25%–40% (vgl. z.B. Jordan, 1996). Bedingt durch das gegenüber Adoptierten höhere Aufnahmealter beim Einsetzen der Hilfe und dem zusätzlichen Risikofaktor ‚häufiger Beziehungswechsel’ verwundert es nicht, dass bei Pflegekindern im Vergleich zu ‚Familienkindern’ vermehrt pädiatrische und kinderpsychiatrische Probleme auftreten (vgl. z.B. Rosenfeld, 1997). Anhaltende Kontakte mit den leiblichen Eltern gehen mit einem zusätzlichen Abbruchsrisiko einher (vgl. z.B. Scholte, 1997; Kötter, 1997).

Die Notwendigkeit von Heimerziehung soll nicht in Frage gestellt werden. Das pädagogische Handeln in der Heimerziehung muss sich aber noch viel mehr mit den Themen Bindung und Beziehung auseinandersetzen. Leider stellen die Professionalisierungs- und Qualitätssicherungsdebatten genau dies in Frage (Graßl, 2000, S.57), aber das ist ein weitreichendes Thema, auf das hier nicht eingegangen werden soll.

Für die Praxis der Jugendhilfe lassen sich als wichtigste Zusammenhänge für die möglichst positive Entwicklung deprivationsgefährdeter Kinder benennen:

  • Kinder dauerhaft erziehungsunfähiger Eltern müssen möglichst früh fremdplatziert werden, damit sie den schädigenden Einflüssen der Eltern nicht unnötig lange ausgesetzt sind. Die Chance auf eine familiäre Ersatzerziehung  steigt damit, und bei sorgfältiger Planung kann nachhaltig viel Geld gespart werden.
  • Bereits durch Misshandlung hirnorganisch und emotional beschädigte Kinder benötigen für ihre weitere Entwicklung einen sicheren Ort, sowie liebevolle und zuverlässige Bezugspersonen, die bereit sind, Bindungen mit ihnen einzugehen. Auf diese Weise erhalten sie eine Chance auf korrigierende Erfahrungen und Ausheilung der erlebten Traumata.

Betrachten wir die Praxis der Jugendhilfe, so müssen wir folgendes feststellen:

    1. Der Schutzauftrag des Staates ist im KJHG (Kinder- und Jugendhilfegesetz) sehr undeutlich formuliert. Die Eingriffsbereitschaft in die Elternrechte ist bei Jugendämtern und Familiengerichten  zurückgegangen. Die Toleranz selbst gegenüber schwerwiegenden Misshandlungen hat zugenommen (vgl. z.B. Wiesner , 2002; Eberhard et al., 2001).

Dies ist ein wesentlicher Faktor, der zu Verschiebungen bei der Altersstruktur  zu Beginn der Hilfe in Vollzeitpflege beigetragen hat. Wir registrieren einen Rückgang der Hilfen im Säuglings- und Kleinkindalter sowie eine Zunahme bei Kindern und Jugendlichen im Alter von 6-15 Jahren. Die vorangegangenen,  problematischen Sozialisationserfahrungen und damit einhergehende emotionale und psychische Entwicklungsstörungen der Kinder belasten den Alltag in der  Pflegefamilie zusätzlich und stellen hohe Anforderungen an häufig unzureichend auf diese Problematik vorbereitete ‚normale’ Familien (vgl. z.B. Janze, 1998).

Konsequenz für die Praxis:  Die anbietende Jugendhilfe muss durch eine engagierte aufsuchende Familien- und Säuglingsfürsorge ergänzt werden. Die Empfehlung des Ausschusses Soziales, Familie und Jugend des Deutschen Städtetages zur Festlegung fachlicher Verfahrensstandards in Jugendämtern bei akut schwerwiegender Gefährdung des Kindeswohls (Das Jugendamt 5/2003) muss den Sachbearbeitern der Allgemeinen Sozialdienste als Instrument zur Verfügung gestellt werden und in der Praxis zur Anwendung kommen.

    2. Die Vorgabe des § 33 / § 37 KJHG verleitet viele Jugendämter dazu, die Rückkehroption des Pflegekindes zu seinen leiblichen Eltern offen zu halten, anstatt diese von Anfang an anzustreben oder auszuschließen. Diese grundsätzliche Vorentscheidung ist von enormer Bedeutung für die Zielsetzung im Hilfeplanverfahren. Konfliktfälle, die von Pflegeeltern den Familiengerichten vorgetragen werden, sind häufig auf dieses Planungsdefizit der Jugendbehörde zurückzuführen (vgl. a. Maywald, 2001).

Faktisch entstehen vermehrt Pflegeverhältnisse mit einer Dauer von 1-5 Jahren, also jenseits von Kurz- und Dauerpflege (vgl. Janze, 1998). In ihrer Bindungsentwicklung beeinträchtigte Kinder über derart lange Zeiträume in der Schwebe zu halten, ist aus entwicklungspsychologischer Sicht nicht zu vertreten.

Konsequenz für die Praxis: Eine am kindlichen Zeitempfinden orientierte Hilfeplanung und die Umsetzung des Konzeptes der zeit- und zielgerichteten Intervention (vgl. Salgo, 1987, S. 347f.; Heilmann, 1998) mit vorangehender gründlicher Diagnostik trägt dazu bei, dass Kinder die passende Hilfe zu einem früheren Zeitpunkt erhalten, stärkt die Vollzeitpflege und dezimiert die an Familiengerichte herangetragenen Konfliktfälle.

    3. Der Anstieg bei den Hilfen der Fremderziehung wird oftmals mit soziologischen Theorien wie z.B. der zunehmenden Belastung in den sozioökonomischen Lebenslagen der Familien begründet. Der Kausalzusammenhang ist nicht grundsätzlich falsch, wird aber häufig überbewertet. Für die jugendamtliche Praxis ist er von geringer Bedeutung, weil Jugendhilfe die ‚gesellschaftlichen Verhältnisse’ (1) für notleidende Kinder nicht in einer angemessenen Zeit positiv beeinflussen kann und (2) der Erfolg grundsätzlich fragwürdig wäre, weil es sich um einen isolierten ‚Risikofaktor’ neben vielen anderen handelt. Kindesmisshandlung und Vernachlässigung jedenfalls findet in Mittelschichtfamilien mindestens ebenso häufig statt, wie bei Klienten aus der Unterschicht (vgl. z. B. Kohlmetz, Eberhard, 1973) und bedarf der sofortigen Hilfe für das Kind. Die folgende Tabelle zeigt einen Vergleich von stationären und ambulanten Maßnahmen:

Der stetige Zuwachs bei den ambulanten Hilfen beträgt im Zeitraum von 1991 bis 1999 mehr als 120%. Der größte Zuwachs bei den stationären Hilfen beträgt dagegen 24,3% (1991; 1999). Steigend sind die ‚Fallzahlen’ bei den stationären Maßnahmen und den ambulanten Hilfen. Die Hoffnung, Fremdplatzierung durch vermehrte ambulante Hilfen vermeiden zu können, kann als widerlegt betrachtet werden (vgl. Malter, Eberhard, 2003).

Vielmehr führt das durch ausgedehnte ambulante Maßnahmen erhöhte Aufnahmealter zur Erhöhung der Heimquote auf Kosten der effizienteren und kostengünstigeren Familienpflege.

Konsequenz für die Praxis: Nur wenn begründete Hoffnung besteht, dass sich misshandelnde Eltern mit Aussicht auf Erfolg helfen lassen, sollten ambulante Hilfen genutzt werden, verbunden mit der expliziten Option, dass bei Ausbleiben des Erfolges Fremdunterbringung eingeleitet werden muss (vgl. Eberhard et al., 2001).

    4. Ein häufig praktizierter Fehler in der Vollzeitpflege zeigt sich bei Umgangsregelungen. Mit der Kindschaftsrechtsreform von 1998 wurde das Recht von Eltern und Kindern auf Umgang miteinander gesetzlich verankert. Dies ist grundsätzlich zu begrüßen, bei traumatisierten Pflegekindern aber häufig contraindiziert. Besuchskontakte sind deshalb zu begrenzen oder auszuschließen, wenn sie dem Kindeswohl widersprechen. Die Kindschaftsrechtsreform zielte auf Scheidungskinder (vgl. Salgo, 2003). Pflegekinder sind aber keine Scheidungskinder und bedürfen in der Regel mehr als diese einer ungestörten Bindungsentwicklung in der Pflegefamilie. Man stelle sich vor, dass Folteropfer zur Behandlung ihrer psychischen Traumata dem Einfluss der ehemaligen Täter ausgesetzt würden. Genau diese paradoxe Situation wird aber vielen Pflegekindern zugemutet.

Konsequenz für die Praxis: Eine sorgfältige Diagnostik ggf. mit Einschränkung oder Ausschluss von Besuchsregelungen in Fällen vorangegangener Kindesmisshandlung sowie Abbruch pathogener Bindungsmuster zu den Tätern muss zu den fachlichen Standards jugendamtlichen Handelns gehören. Therapeutische Hilfen für Herkunftseltern, verbunden mit dem Ziel, liebevolle Bindungen zu ihrem Kind zu ermöglichen, stehen dem nicht entgegen und sind ebenfalls sinnvoll.

    5. Im Pflegekinderwesen gibt es einen Widerstreit zwischen den fachlichen Konzepten von ‚Ersatzfamilie’ versus ‚Ergänzungsfamilie’. Viele Jugendämter neigen dazu, eines der beiden Konzepte einseitig zu favorisieren. Während das Ersatzfamilienkonzept bei traumatisierten Kindern das erfolgreichere ist, und dies mittlerweile empirisch belegt wurde (vgl. z.B. Nowacki, Ertmer, 2002; Malter, Eberhard, 2001), hat das Ergänzungsfamilienprinzip Vorteile bei der Unterbringung von Kindern in Bereitschaftspflege, da diese sonst in Clearingstellen der Heimträger untergebracht werden müssten. Ebenfalls hat das Ergänzungsfamilienprinzip eine Berechtigung bei Fremdplatzierung in Dauerpflegefamilien, wenn keine pathogenen Bindungen zur Herkunftsfamilie vorhanden sind und die Pflegefamilienerziehung von den Eltern akzeptiert wird. Im KJHG wird keines der beiden Konzepte bevorzugt.

In der Praxis erleben wir derzeit eine Übergewichtung des Ergänzungsfamilienprinzips. Das geht soweit, dass diese Präjudizierung sogar in Ausführungsvorschriften fixiert werden soll (vgl. z.B. die Berliner Entwürfe). Sozialarbeiter sind nicht selten dazu geneigt, das Ergänzungsfamilienprinzip auch dann zu bevorzugen, wenn das dem Kindeswohl eindeutig widerspricht, u.a. weil sie damit Konflikte mit der Herkunftsfamilie vermeiden können (vgl. Eichhorn, 2004).

Konsequenz für die Praxis: „Pflegefamilien sind kein Dienstleistungsunternehmen, weil es um etwas anderes als Dienstleistungen geht, nämlich um die Herstellung von menschlichen Beziehungen. Folglich gibt es auch keine Pflegestellen, die, wie andere Einrichtungen, der Jugendhilfe zur Verfügung stehen. Weder der Gesetzgeber, noch ein Richter oder eine Behörde kann durchsetzen, dass ein Kind in einer Pflegefamilie untergebracht wird, weil kein Mensch verpflichtet ist, ein fremdes Kind aufzunehmen. Ein Jugendamt kann nur Menschen werben, eine solche gesellschaftliche Aufgabe freiwillig zu übernehmen. Das geht aber nur dann, wenn ihnen nicht unzumutbare Bedingungen diktiert werden, sondern auf die Wünsche und Bedürfnisse der Pflegeeltern Rücksicht genommen wird.“ (Westermann, 2003) Einengende Vorschriften machen wenig Sinn. Interventionsmöglichkeiten bieten sich dem Jugendamt über die individuelle Hilfeplanung.

    6. Die Vorbereitung auf Pflegeelternschaft sowie die kontinuierliche fachliche und praktische Unterstützung werden vielfach vernachlässigt.

Mit den Empfehlungen des Deutschen Vereins wurde die Pflegeelternschaft in den letzten Jahren materiell deutlich aufgewertet. Viele Jugendämter setzen diese verlässlich um. Dies betrifft die ‚normale’ Vollzeitpflege für relativ normal entwickelte Kinder. Eine Vielzahl von Kindern benötigt jedoch heilpädagogische Pflegefamilien. Immer wieder werden Kinder mit heilpädagogischem Förderbedarf naiven und unvorbereiteten Pflegeelternbewerben anvertraut, anstatt diese in Kursen vorzubereiten und begleitend kontinuierlich zu qualifizieren. Die heilpädagogische Pflegefamilie ist zwar teurer als die normale Vollzeitpflege, aber dennoch wesentlich günstiger als die Erziehungsstellen der Heimträger. Die Integrationserfolge sind mittlerweile empirisch belegt (Nowacki, Ertmer, 2002).

Konsequenz für die Praxis: Der Ausbau der heilpädagogischen Pflege ist aus fachlichen und ökonomischen Gründen sinnvoll. Er wertet die Arbeit von Pflegefamilien materiell auf. Bei kontinuierlichem Ausbau sind erhebliche Sparpotenziale nutzbar, wie die folgende Grafik zeigt. Geringe Verschiebungen von der Heimpflege zur Pflegefamilie setzen beträchtliche Summen öffentlicher Gelder frei (vgl. a. Geisler, 2002).

Maßnahmen im Jahr 2000 - absolut

Ausgaben in 2000 in 1000 Euro

    7. In vielen Jugendämtern wird die Auflösung der Spezialdienste für Pflegekinder geplant oder ist sogar schon vollzogen worden. Aufgaben der Pflegeelternbetreuung werden vermehrt auf Freie Träger überantwortet.

Weil das Pflegekinderwesen hochkompliziert und vielen Wechselwirkungen ausgesetzt ist, münden solche Strukturveränderungen häufig in kritische Entwicklungsprozesse. Die Hoffnung, öffentliche Gelder sparen zu können und gleichzeitig qualitative Verbesserungen zu erreichen, scheint sich nicht zu erfüllen. Einige Kommunen/Städte, die bereits vor mehreren Jahren eine Umstrukturierung vorgenommen hatten (z.B. die Hansestadt Hamburg), haben diese wieder rückgängig gemacht, weil die erwarteten Vorteile nicht eintraten (vgl. a. Hopp, 2001). Im Bereich der Heimerziehung hat sich gezeigt, dass die Abhängigkeit freier Träger von den Jugendämtern zu Dumping-Konkurrenzen um die betroffenen Kinder und Jugendlichen auf Kosten der Qualität führen kann.

Konsequenz für die Praxis: Die Auflösung von Pflegekinderdiensten birgt viele Risiken, und bei der Übertragung von Aufgaben auf freie Träger ist der Erfolg wesentlich von deren Kompetenz und den zur Verfügung gestellten Finanzmitteln abhängig. Für Pflegeeltern bleibt eine Wahlfreiheit zu wünschen.

Zur Situation in Schleswig Holstein

Im Vergleich mit den anderen westlichen Bundesländern liegt Schleswig-Holstein weit über dem Bundesdurchschnitt, wenn man die quantitative Verteilung von Pflegefamilienerziehung zu Heimerziehung betrachtet. Als Gründe können gesehen werden, dass die sozioökonomischen Belastungen in einem Flächenland vergleichsweise gering und Potenziale an Pflegefamilien in größerem Umfang vorhanden sind. Auf diese Situation hat die Jugendhilfe selbst wenig Einfluss. Man kann sich darüber glücklich schätzen und sie nutzen.

Das tun sogar auswärtige Träger, wenn man bedenkt, dass alleine im Kreis Rendsburg 1500 auswärtige Heimkinder aus Ballungszentren wie Hamburg und Berlin untergebracht sind. Zum Vergleich: Das gesamte Bundesland Schleswig-Holstein hat nur ca. 2000 eigene Heimunterbringungen und in den einzelnen Kreisen gibt es im Durchschnitt in etwa je 200 Pflegekinder. Es sei dahingestellt, ob auch dies positive Auswirkungen auf die Verteilung der eigenen Unterbringungen hat. In Großstädten werden oftmals Heimlobbyisten für den mangelhaften Ausbau des Pflegekinderwesens verantwortlich gemacht. Solche Konkurrenzen scheint es hier kaum zu geben.

Nichtsdestotrotz beklagen aber die Jugendhilfeplaner steigende Kosten, zu wenig zur Verfügung stehende Pflegeeltern und diese wiederum unzureichende Hilfen und mangelhafte Unterstützung. PFAD registriert zunehmend gegenteilige Trendentwicklungen zu den oben aufgezeigten Forderungen. Wir befürchten, dass die herausragende Stellung in den kommenden Jahren leichtfertig verspielt wird und das die ahnungslosen Steuerzahler teuer zu stehen kommt. Ganz zu schweigen von den Nachteilen für die betroffenen Kinder.

Bundesweit sind die Kosten in der Jugendhilfe gestiegen. Matthias Schilling bilanzierte am 10.12.2003 bei der Expertenanhörung im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend: „...es ist schon fast verwunderlich, dass die Leistungen zur Unterstützung, bzw. zur Ersetzung der Erziehung in den Familien bzw. bei allein Erziehenden nicht noch stärker gestiegen sind.“ (zu BT-Drs. 15/1114 und 15/1406)

Eine schwierige Konfliktsituation zwischen Pflegeelternverband und Jugendamt – ähnlich der, wie wir es in Kiel derzeit erleben – führte Siegburg zu einer Konzeption (http://www.pan-ev.de/web/62) des Kreisjugendamtes, die einen sensiblen Umgang mit traumatisierten Pflegekindern erhoffen lässt. Beispielhaft sind auch die Empfehlungen des LWV Württemberg-Hohenzollern (2004), die Pflegeverträge zwischen Jugendamt und Pflegeeltern vorsehen und klare Zeit- und Zielperspektiven schriftlich fixieren (http://www.lwv-wh.de/leistungen/jugendhilfe/vollzeitpflege.html). Dies sind nur zwei positive Beispiele, die man diskutieren kann. Es gibt sicher noch mehr.

PFAD Schleswig Holstein will einen Beitrag zur Verbesserung der Situation von Pflegekindern mit Qualifizierungsangeboten an einer landesweiten Pflegeelternschule im Herbst dieses Jahres beginnen und wird Anfang 2005 die ersten drei Wochenendkurse durchführen. Wir hoffen auf die Unterstützung der Verantwortlichen aus den Behörden, damit positive Veränderungen möglich sind. Dennoch werden wir dort, wo Kooperationen nicht möglich sind – und das ist kein Widerspruch – weiterhin die unzumutbaren Bedingungen benennen, weil wir es als unverantwortlich erachten, wenn Kinder in Pflegefamilien nicht den notwendigen Schutz bekommen.

Hierzu kann unsere Landesvorsitzende genauere Auskünfte geben. (s. www.pfad-sh.de)

Literatur

Bowlby, J.: Maternal care and mental health. Genf, 1951

Bowlby, J.: Bindung, München, 1975

Bowlby, J.: Trennung, München, 1976

Deutscher Städtetag: Empfehlung des Deutschen Städtetages zur Festlegung fachlicher Verfahrensstandards in den Jugendämtern bei akut schwerwiegender Gefährdung des Kindeswohls. In: Das Jugendamt 5/2003

Diouani, M.: Probleme des Umgangs zwischen Pflegekindern und ihren leiblichen Eltern. In: Paten, 2/2003

Eberhard, K.; Eberhard, I.; Malter, C.: Das Kindeswohl auf dem Altar des Elternrechts. In: Sozial- Extra, H. 2, 2001

Eichhorn, A.: Thesen zur Konkurrenz Ersatzfamilie contra Ergänzungsfamilie im Pflegekinderwesen. In: www.agsp.de/FORUM, 2004

Eckert-Schirmer, J.: Einbahnstraße Pflegefamilie? Zur (Un)Bedeutung fachlicher Konzepte in der Pflegekinderarbeit. Arbeitspapier Nr. 25.1. Forschungsschwerpunkt Gesellschaft und Familie. Sozialwissenschaftliche Fakultät, Universität Konstanz, 1997.

Geisler, T.: Qualitätsverbesserung und Kostendämpfung durch mehr Vollzeitpflege. In: www.agsp.de/FORUM,2002

Goldfarb, W.: Infant rearing and problem behaviour. American Journal of Orthopsychiatry 13, 1943, S. 249-265

Graßl, E.; Romer, R.; Vierzigmann, G.: Mit Struktur und Geborgenheit - Kinderdorffamilien aus der Sicht der Kinder. In: Sozialpädagogisches Institut im SOS Kinderdorf e. V .: Heimerziehung aus Kindersicht, München, 2000, S. 40-61.

Hartmann, K.: Lebenswege nach Heimerziehung, Freiburg, 1996

Heilmann, S.: Kindliches Zeitempfinden und Verfahrensrecht. Neuwied, 1998.

Hodges, J.; Tizard, B.: IQ and behavioural adjustment of ex-institutional adolescents. In: Journal of Child Psychology and Psychiatry, 1989,30, S. 53-75

Hodges, J.; Tizard, B.: Social and family relationships of ex-institutional adolescents. In: Journal of Child Psychology and Psychiatry, 1989,30, S. 77-97

Hopp, H.: Unterschiede in der Qualität und Quantität der Begleitung von Pflegeverhältnissen durch einen Spezialdienst/durch den Allgemeinen Sozialdienst. In: In: 2. Jahrbuch des Pflegekinderwesens der Stiftung 'Zum Wohl des Pflegekindes', Idstein, 2001

Janze, N.: Vollzeitpflege im Wandel. Pflegeverhältnisse jenseits von Kurzzeit- und Dauerpflege. In: KOMDAT Jugendhilfe, H. 2, 1998

Jugendamt Siegburg: Konzeption zur Vollzeitpflege. www.pan-ev.de, 2002

Kötter, S.: Besuchskontakte in Pflegefamilien. Das Beziehungsdreieck Pflegeeltern-Pflegekind- Herkunftseltern. S. Roderer Verlag, Regensburg, 1997.

Kohlmetz, G.; Eberhard, K.: Verwahrlosung und Gesellschaft. Göttingen, 1973 Landeswohlfahrtsverband Württemberg-Hohenzollern: Vorbereitung, Beratung und Unterstützung von Pflegepersonen und Herkunftsfamilien, Stuttgart, 2004

Malter, C.; Eberhard, K.: Entwicklungschancen für vernachlässigte und mißhandelte Kinder in sozialpädagogisch und psychotherapeutisch betreuten Pflegefamilien. In: 2. Jahrbuch des Pflegekinderwesens der Stiftung 'Zum Wohl des Pflegekindes', Idstein, 2001

Malter, C.; Eberhard, K.: Wechselwirkungen zwischen ambulanten Hilfen, Heimerziehung und Familienpflege. In: Textor, SGB V m Online-Handbuch, München, 2003

Maywald, J.: Konsequenzen der Bindungsforschung für die Arbeit mit Pflege- und Adoptivkindern. In Kindeswohl, H. 1, 2001

Nowacki, K; Ertmer, H.: 15 Jahre Vermittlung von Pflegekindern durch den Pflegekinderdienst der Stadt Herten - Studie zur Qualitätsentwicklung, Herten, 2002

Rosenfeld, A.; March, J.; Rickler, K.; Allen, A.: Foster care: an update. In: Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry, 1997,36, S. 448-457

Roy, P .; Rutter, M.; Pickles, A.: Institutional care: Risk from family background or pattern of rearing? In: Journal of Child Psychology and Psychiatry, 2000,41, S. 139-149

Salgo, L.: Pflegekindschaft und Staatsintervention. Darmstadt, 1987.

Salgo, L.: Zielorientierung und Hilfeplanung nach dem SGB VIII (KJHG). In: 2. Jahrbuch des Pflegekinderwesens der Stiftung "Zum Wohl des Pflegekindes" (Hg.), Idstein 2001

Salgo, L.: Gesetzliche Regelungen des Umgangs und deren kindgerechte Umsetzung in die Praxis des Pflegekinderwesens, Zentralblatt für Jugendrecht, 10/2003

Schilling, M.: Stellungnahme der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendhilfestatistik, BT -Drs. 15/1114 und 15/1406, 10.12.2003

Schleiffer, R.: Der heimliche Wunsch nach Nähe. Bindungstheorie und Heimerziehung. Weinheim, 2001.

Scholte, E.: Exploration of criteria for residential and foster care. In: Journal of Child Psychology and Psychiatry, 1997,38, S. 657-666

Spitz, R.: Vom Säugling zum Kleinkind, Stuttgart, 1967

Statistisches Bundesamt (Hg.): Fachserie 13, Reihe 6.1.1., Jugendhilfe - Institutionelle Beratung, Einzelbetreuung und sozialplidagogische Familienhilfe. Wiesbaden, verschiedene Jahrgänge

Statistisches Bundesamt (Hg.): Fachserie 13, Reihe 6.1.2., Jugendhilfe - Erzieherische Hilfen außerhalb des Elternhauses. Wiesbaden, verschiedene Jahrgänge

Statistisches Bundesamt (Hg.): Fachserie 13, Reihe 6.1.4., Jugendhilfe - Erzieherische Hilfen außerhalb des Elternhauses. Wiesbaden, verschiedene Jahrgänge

van der Kolk, B. A., McFarlane, A. C., Weisaeth, L.: Traumatic Stress - Grundlagen und Behandlungsansätze - Theorie, Praxis und Forschungen zu posttraumatischem Streß sowie Traumatherapie. Paderborn, 2000

Vorria, P.; Rutter, M.; Pickles, A.; Wolkind, S.; Hobsbaum, A.: A comparative study of greek children in long-term residential group care and in two-parent families. In: Journal of Child Psychology and Psychiatry, 1998,39, S. 225-236

Westermann, A.: Kommentar zu den Ausführungsvorschriften über Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege des Berliner Senats vom 22.10.2002. In: www.agsp.de/FORUM, 2003

Wiesner, R.: Der Schutzauftrag der Jugendhilfe und seine schwierige Umsetzung. In: Verein für Kommunalwissenschaften e. V. (Hg. ): Die Verantwortung der Jugendhilfe zur Sicherung des Kindeswohls. Berlin, 2002

veröffentlicht in PATEN, Heft 2/2004 (s. http://www.pan-ev.de/web/129)

 

 

 

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