FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Artikel / Jahrgang 2007

 

Neue Rechtsprechung zu dem Problem
Verbleibensanordnung zu Gunsten eines Pflegekindes
in der Pflegefamilie und Einstellung
der Pflegegeldzahlungen durch das Jugendamt

 

von Peter Hoffmann

 

Ein häufiger Konfliktfall:
Die Herkunftseltern, der Vormund und/oder das Jugendamt wollen ein Pflegeverhältnis beenden und das Pflegekind zurückführen oder anderweitig platzieren. Die Pflegeeltern halten dies nicht für mit dem Kindeswohl vereinbar. Auf ihre Anregung hin ergeht eine Verbleibensanordnung durch das Familiengericht. Die Herkunftseltern, der Vormund und/oder das Jugendamt nehmen den Antrag auf Hilfe zur Erziehung zurück. Die Unterhaltszahlungen für das Kind und der kleine Beitrag für die Erziehungsleistung der Pflegeeltern werden eingestellt.

Wie kommt das Kind in dieser Situation zu seinem Unterhalt?

Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hatte bereits vor einigen Jahren (FamRZ 1998, 707 m. Anm. Hoffmann) eine solche Antragsrücknahme als rechtsmissbräuchlich bezeichnet, da hier absichtlich das Kindeswohl durch Entzug der Unterhaltszahlungen geschädigt würde.

Das Bundesverwaltungsgericht hatte in einem anderen Fall geklärt, dass eine familiengerichtliche Anordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB nicht zugleich zu einer begleitenden Jugendhilfeleistung verpflichte (Urteil vom 21. Juli 2001 - BVerwG 5 C 6.00 - Buchholz 436.511 § 39 KJHG/SGB VIII Nr. 2 = NJW 2002, 232 ), so dass eine solche gerichtliche Anordnung nicht geeignet sei, für den Träger der öffentlichen Jugendhilfe eine Pflicht zu begründen, deren Erfüllung im Sinne des § 683 Satz 2 , § 679 BGB "im öffentlichen Interesse" liege.

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist aber auch geklärt, (vgl. Urteile vom 9. Juni 1975 - BVerwG 6 C 163.73 - BVerwGE 48, 279 und vom 28. August 2003 - BVerwG 4 C 9.02 - NVwZ-RR 2004, 84 ), dass die Grundsätze über die Geschäftsführung ohne Auftrag auch im öffentlichen Recht anzuwenden sind, ein Aufwendungsersatzanspruch auf § 683 BGB gestützt werden kann und der Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag u.a. davon abhängt, dass der Geschäftsführer ein zumindest auch fremdes Geschäft wahrgenommen hat.

In einer ganz neuen Entscheidung hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG 3.11.2006 5 B 40/06, juris) die Frage, welche Bedeutung einer - vorläufigen oder nachträglich aufgehobenen - familiengerichtlichen Anordnung für die Gewährung von Leistungen der Jugendhilfe beizumessen ist bzw. ob durch eine infolge einer solchen familiengerichtlichen Anordnung erbrachten Betreuungstätigkeit eine Pflicht erfüllt wird, deren Erfüllung im Sinne des § 679 BGB "im öffentlichen Interesse" liegt.

Das BVerwG hat die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Bautzen vom 26.10.2005 - 5 B 926/04 - zurückgewiesen.

Die damit rechtskräftig gewordene Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts lautete im Kern:
Auch im Falle einer nachträglich wegen Rechtswidrigkeit aufgehobenen Verbleibensanordnung gem. § 1632 Abs. 4 BGB besteht ein Aufwendungsersatzanspruch in entsprechender Anwendung des § 683 BGB aus einer öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag im Zusammenhang mit der amts/familiengerichtlichen Anordnung.

Die dort maßgebliche Fragestellung lautete:
Besteht im Falle einer Verbleibensanordnung gem. § 1632 Abs. 4 BGB ein Anspruch auf Zahlung von Pflegegeld für die aufgrund der Verbleibensanordnung in der Pflegefamilie/Kleinstheim verbliebenen Kinder?

Die Frage wird bejaht, wobei es sich um eine »Einrichtung« (Kleinstheim) handelt, also nicht um eine Pflegefamilie im engeren Sinne und auch ungeachtet der Besonderheit, dass die Verbleibensanordnungen wegen Rechtswidrigkeit nachträglich vom Oberlandesgericht aufgehoben wurde.

Wenn dies aber für eine Einrichtung (Kleinstheim) gilt, dann gilt dies für eine Pflegefamilie erst recht.

Wenn sogar im Falle einer rechtswidrigen, nachträglich vom Oberlandesgericht aufgehobenen Verbleibensanordnung die Zahlung geleistet werden muss, so gilt dies für den Fall einer Verbleibensanordnung, die nicht rechtswidrig ist und nicht aufgehoben wird, erst recht.

Es lag folgender Sachverhalt zu Grunde:
Der Kläger - ein eingetragener Verein - ist ein Freier Träger der Jugendhilfe und betreibt mit Betriebserlaubnis des Landesjugendamtes ein Kinderhaus mit sechs Plätzen (Kleinstheim mit innewohnenden Erziehern). Mit seiner Klage gegen das Jugendamt wendet er sich gegen die Versagung einer Kostenerstattung für die bei ihm erfolgte Unterbringung von vier Kindern einer Mutter.

Die Kindesmutter erhielt vom Jugendamt Hilfe zur Erziehung nach §§ 27, 34 KJHG/SGB VIII in der Weise, dass ihre vier Kinder in der Einrichtung des Klägers untergebracht wurden.

Das Jugendamt (der Beklagte) kam nach einer Überprüfung zu dem Ergebnis, dass eine Rückführung der Kinder zur Mutter dem Kindeswohl entspreche und teilte dies dem Kläger schriftlich mit. Der Kläger erhob dagegen Bedenken.

Der Beklagte hielt an der Absicht fest, die Rückführung zu veranlassen und stellte alle Zahlungen an den Kläger ein. Der Kläger regte daraufhin beim Amtsgericht - Familiengericht - unter Bezugnahme auf § 1632 Abs. 4 BGB den Erlass einer Anordnung zum vorläufigen Verbleib der Kinder in seiner Einrichtung an, die daraufhin erlassen wurde.

Mit Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts - Familiensenats - vom 12.2.1999 - 10 WF 144/98 wurde die vorläufige Verbleibensanordnung des Amtsgerichts mit der Begründung aufgehoben, dass ein Anwendungsfall nach § 1632 Abs. 4 BGB nicht gegeben sei, ein Kleinstheim sei keine Pflegefamilie.

Nach vergeblichem Widerspruchsverfahren gegen die Einstellung der Hilfen erhob der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht, welches die Zahlungsklage abwies.

Auf Antrag des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung zugelassen.

Auf die Berufung hin hat das Oberverwaltungsgericht den Beklagten verpflichtet, an den Kläger 33.034,40 Euro nebst 4% Zinsen zu zahlen.

Der Zahlungsanspruch des Klägers ergäbe sich als Aufwendungsersatzanspruch in entsprechender Anwendung des § 683 BGB aus einer öffentlich-rechtlichen Geschäftsführung ohne Auftrag im Zusammenhang mit der amts/familiengerichtlichen Anordnung.

Hier liege nun die Besonderheit vor, dass es sich bei dem Kläger nicht um eine Pflegefamilie im Sinne des § 1632 Abs. 4 BGB gehandelt habe.

Aufgrund der Anordnung des vorläufigen Verbleibes der Kinder in der Einrichtung des Klägers sei der Kläger aber verpflichtet gewesen, die Pflegeleistungen, so wie sie zuvor unter Geltung von Vereinbarungen mit dem Beklagten erbracht wurden, fortzuführen, auch ohne dass ein entsprechender Wille der Kindesmutter vorgelegen habe.

Während eine rechtmäßige Anordnung nach § 1632 Abs. 4 BGB nur in das Verhältnis der Pflegeperson zum sorgeberechtigten Eingreifen und das Jugendamt außen vorlassen, berühre die - rechtswidrige - Anordnung des Familiengerichts auch den Beklagten.

Der Kläger konnte aufgrund des Beschlusses auch nur in der Weise tätig werden, indem er aufgrund der zuvor geltenden Vereinbarungen nach § 78 b SGB VIII mit dem Beklagten tätig geworden sei. Denn für eine andere Tätigkeit besaß er schon keine Zulassung. Der Kläger musste auch weiter von einer Kostenerstattung durch den Beklagten ausgehen, da der Beschluss des Amtsgerichts ausdrücklich von einem Verbleiben der Kinder und Jugendlichen in der Einrichtung ausging und damit die Beibehaltung des bisherigen Zustandes anordnete.

Hierin sei eine Geschäftsführung ohne Auftrag des Beklagten zu sehen, deren Berechtigung (und Verpflichtung) der - wenn auch rechtswidrige - Beschluss des Amtsgerichts darstellt.

Der Betroffene sei an die vorläufige Anordnung des Familiengerichts bis zu ihrer Aufhebung gebunden sei. Denn dem Rechtsmittel der Beschwerde komme grundsätzlich keine aufschiebende Wirkung zu (§ 570 Abs. 1 ZPO).

Angesichts dessen, dass der Kläger die Leistungen nach § 34 SGB VIII im Rahmen seines Gewerbes erbracht habe, stehe ihm auch im Falle einer Geschäftsführung ohne Auftrag die übliche Vergütung zu (vgl. BGHZ 65, 384, 390).

Peter Hoffmann
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Familienrecht

 

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