Zuständigkeiten und daraus resultierendes Konfliktpotential Die Tatsache, dass die Jugendämter auf dem Gebiet der Abwehr von „familienspezifischen“ Gefahren für Kinder und Jugendliche die vorrangig - originär - zuständige Ordnungsbehörde sind, mag fälschlich zu der Annahme führen, dass die Polizei eben nur hilfsweise – subsidiär – für unaufschiebbare Gefahren abwehrende Maßnahmen und ggf. strafverfolgende Maßnahmen zuständig ist.
Dies stimmt jedoch nur teilweise, denn alle Polizeigesetze Deutschlands beinhalten unter anderem, dass die Polizei und keine andere Ordnungsbehörde die originär zuständige Behörde zur Verhütung von Straftaten ist (Vgl. u. a. § 7(1) Nr. 4 SOG M-V, § 1(4) HSOG, § 1(1) PolG NRW, Art. 2 (1) Bay. PAG, § 1(3) ASOG Bln).
Die Vernachlässigung von Kindern ist als Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht – auch vielen Polizeibeamten nicht geläufig – ein so genanntes Offizialdelikt gemäß § 171 StGB und daher von Amts wegen zu verfolgen.
Seit dem Jahr 2000 regelt darüber hinaus § 1631 BGB, dass es keine so genanntes Züchtigungsrecht der Eltern mehr gibt, und seit diesem Zeitpunkt ist das Schlagen eines Kindes zunächst einmal eine Körperverletzung gemäß § 223 StGB und unter Umständen eine gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 StGB.
Erfolgt dies besonders nachhaltig oder quälend, geht es um § 225 StGB, eine Misshandlung von Schutzbefohlenen. Gelegentlich wird eine Zurückhaltung der Polizei angemahnt, um die Versuche von Sachbearbeitern des Jugendamtes, mit den Erziehungsberechtigten in eine konstruktive Beziehung zur Aufbereitung ihrer Probleme aufzubauen, nicht zu beinträchtigen.
Dies könnte in der Tat geboten erscheinen, denn auf Grund des Legalitätsprinzips sind die Polizeibeamten anders als die Sachbearbeiter des Jugendamtes verpflichtet, allen Hinweisen auf strafbare Handlungen ausnahmslos nachzugehen. Und es kann dazu beitragen, dass sich Erziehungsberechtigte, um sich nicht selber zu belasten, verschließen.
Gleichzeitig ist hingegen zu berücksichtigen, dass es sich bei vernachlässigten oder misshandelten Kindern um Menschen handelt, die sich nicht selber schützen können und die daher von allen, die für die Gefahrenabwehr verantwortlich sind, vor Straftaten konsequent zu schützen sind und nicht um „Hilfsmittel“, die zur Lösung der persönlichen und sozialen Probleme ihrer Erziehungsberechtigten mit herangezogen werden können.
Eine Behörde, die ein Kind auch nur teilweise benutzt, um einen Schlüssel zu den gestörten Emotionen der Erziehungsberechtigten zu haben, macht dieses Kind zum bloßen Objekt staatlichen Handelns und verstößt damit, wie das Bundesverfassungsgericht schon vor Jahren festgelegt hat, gegen die Menschenwürde gemäß Artikel 1 GG, die eben dies verbietet.
Obige Ausführungen müssen auch für ein eventuelles Belassen des Kindes bei seinen Erziehungsberechtigten gelten. Auch hier darf es nur um das Kindswohl gehen, und die für das Kind angestrebten Vorteile hätten eventuelle (Rest-)Risiken bei weitem zu überwiegen. Zweifelsfälle wären daher immer zu Lasten des Erziehungsrechts der Erziehungsberechtigten zu entscheiden.
An dieser Stelle sei ausdrücklich hervorgehoben, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendämter in der großen Mehrzahl aller Fälle, die leider nicht so öffentlichkeitswirksam sind, wie sehr selten gemachte Fehleinschätzungen, vorbildlich mit ihrer diesbezüglichen Verantwortung umgegangen sind und umgehen.
Zusammenfassend ist festzustellen, dass sowohl die Jugendämter als auch die Polizei auf dem Gebiet der Abwehr von Gefahren für vernachlässigte und misshandelte Kinder originär zuständig sind, die Jugendämter eher bezüglich der Abwehr familienspezifischer Gefahren und die Polizei eher bezüglich der Verhütung von Straftaten.
Oft wird von Außenstehenden verkannt und gelegentlich von der Polizei selber vergessen, dass die Polizei zunächst einmal Gefahrenabwehrbehörde und dann erst Strafverfolgungsbehörde ist.
Die Gefahren abwehrende Verhütung von Straftaten hat Vorrang vor deren Verfolgung, zu der die Polizei dann allerdings gemäß § 163 StPO im Rahmen des so genannten Legalitätsprinzips ohne Ausnahmen verpflichtet ist, wenn sie sich nicht selber strafbar machen will.
Dies mag der Grund dafür sein, dass sowohl Bürgerinnen und Bürger als auch Behörden oft Zweifel hegen, ob sie die Polizei rufen sollen oder nicht. Und dies führt wiederum oft zu dem Dilemma, dass zwar keine Gefahrenabwehrbehörde so schnell erreichbar ist und unverzüglich Krisenintervention betreiben kann, wie die Polizei, aber gleichzeitig versucht wird die Einleitung strafverfolgender Maßnahmen aus welchen Gründen auch immer lieber zu vermeiden.
Fakt bleibt jedoch, dass bei Vorliegen einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit eines Kindes in den nächsten 10 Minuten jemand vor der Wohnungstür zu stehen hat, der berechtigt ist, die Wohnung zur Not auch mit Zwang zu betreten.
Die Tatsache, dass die Polizei bei Vorliegen eines Anfangsverdachts auf Straftaten diesbezüglich parallel zu den Gefahren abwehrenden Sofortmaßnahmen von Amts wegen zu ermitteln hat, kann und darf kein Kriterium sein, zu warten, bis andere Behörden ohne Strafverfolgungszwang den Ort des Geschehens erreichen können.
Zusammenarbeit ist mehr als bloßes Berichten Der § 11 des Sicherheits- und Ordnungsgesetzes (SOG) M-V legt fest, dass die Ordnungsbehörden – also auch die Jugendämter – und die Polizei im Rahmen ihrer sachlichen Zuständigkeit zusammen arbeiten und sich gegenseitig über Vorkommnisse und Maßnahmen von Bedeutung unterrichten (Vgl. u. a. § 1(6) HSOG, § 1(1) PolG NRW, Art. 3 Bay. PAG, § 4 ASOG Bln).
Hieraus darf gerade von Seiten der Polizei nicht fälschlich abgeleitet werden, dass das bloße Melden an das Jugendamt von einer Prüfung des jeweiligen Einzelfalles auf das Vorliegen einer gegenwärtigen Gefahr und das Erfordernis Gefahren abwehrender Sofortmaßnahmen befreit.
Gefahrenbegriffe und daraus resultierende Handlungspflichten Gemäß § 3 SOG M-V, der sowohl für die Ordnungsbehörden, zu denen auch die Jugendämter zählen, als auch die Polizei gilt, ist eine gegenwärtige Gefahr eine Sachlage, bei der das … schädigende Ereignis bereits eingetreten ist (Störung) oder unmittelbar oder in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht (Vgl. u.a. Meixner/Fredrich, HSOG, 10.Aufl. Stuttgart 2005, zu § 1 HSOG, RDN 14, S. 55, Tegtmeier/Vahle, PolG NRW, 9. Aufl., Stuttgart 2004, zu § 8, RDN 12-14, S. 85, Honnacker/Beinhofer, (bay.) PAG, 18. Aufl., Stuttgart 2004, zu Art. 2, S. 22, Knape/Kiworr, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht Berlin, 9. Auflage, Hilden/Rhld. 2006, zu § 17, S. 204,205). Beim misshandelten Kind, aber z. B. auch beim eingesperrten oder hungernden KInd ist das schädigende Ereignis bereits eingetreten, so dass von Gesetzes wegen definiert, eine gegenwärtige Gefahr für das Kind vorliegt.
Die Gefahr wird darüber hinaus als erheblich definiert, wenn sie einem bedeutsamen Rechtsgut wie Leib, Leben oder Freiheit … droht ( Vgl. die o. a. Quellen zu § 3). Auch dies ist in derartigen Fällen zu bejahen, so dass grundsätzlich sofort zu handeln ist, um dem Kind zu helfen.
Ein „sofortiges“ Vorbereiten von Maßnahmen bei Vorliegen einer so genannten akuten Gefährdung eines Kindes , wie gelegentlich internen Dienstanweisungen der Jugendämter zu entnehmen, beinhaltet den logischen Widerspruch, dass das „Vorbereiten“ allein sprachlich ein sofortiges Handeln ausschließt.
Aus diesem Grunde ist bei festgestellter so genannter akuter Gefahr zunächst einmal das betroffene Kind in Obhut zu nehmen und alle erforderlichen richterlichen Anordnungen sind nachträglich einzuholen.
In zurückliegenden oft spektakulären Fällen fällt immer wieder eine besondere Schwachstelle bei der Beurteilung der Gefahrenlage auf: In Fällen so genannter häuslicher Gewalt, bei der in aller Regel eine erwachsene Frau misshandelt wurde, wird im Rahmen obiger Gefahrendefinition stets und von der Rechtsprechung bestätigt, von einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr für das Opfer ausgegangen, so dass die einschreitenden Polizeibeamten in aller Regel sofort eine räumliche Trennung vom Täter in Form einer Wohnungswegweisung vornehmen.
Handelt es sich bei der „Frau“ jedoch um ein Kleinkind, beginnt man in aller Regel, ganz andere Dinge „mit“ zu beurteilen, sei es die Bindung des Kindes an die Mutter, den Wunsch des Gesetzgebers, der Unterstützung der Familie grundsätzlich den Vorrang zu geben, die Probleme eine sofortige Kurzzeitpflege oder Heimunterbringung zu organisieren, die Belastung von Personal und Haushalt usw..
Dies alles hat jedoch nichts mit der Beurteilung der Gefahrenlage zu tun, und mit dem grundsätzlichen Erfordernis, bei Vorliegen einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr zunächst einmal eine sofortige räumliche Trennung des Kindes vom Täter herbeizuführen.
In Fällen, wo es erstmalig zu einem geringen Übergriff gekommen ist, z. B. bei Finger- oder Handspuren nach einem heftigeren „Klaps“ auf den Po, Rötungen an den Oberarmen wegen eines zu starken Festhaltens oder auch bei geringer wiegenden Hinweisen auf eine Vernachlässigung wie falsch ausgewählte Kleidung im Winter, fehlende Schulbrote o. ä., mag es angehen, das Kind in der Obhut der/des Erziehungsberechtigten zu belassen und den Bedarf einer Hilfe zu erörtern.
In Fällen jedoch, wo es zu Schlägen in das Gesicht gekommen ist, Tritten, Hämatomen, Würgemalen, Frakturen, „Werkzeugspuren“, Verbrennungen, Verbrühungen, Verätzungen, Vergiftungen ist das Kind ist das Kind wegen Vorliegen einer gegenwärtigen erheblichen (Dauer-)Gefahr sofort aus dem Einwirkungsbereich des Täters herauszunehmen.
Dies muss nicht obligatorisch längerfristig sein, aber solange nicht nach besten Wissen und Gewissen die Prognose gestellt werden kann, dass dem Kind nach eingeleiteten Hilfsmaßnahmen gefahrlos in seine Familie zurück kann, darf es nicht erneut in Gefahr gebracht werden.
Dies mag zu einer deutlichen Erhöhung der Zahl vorläufiger Schutzmaßnahmen führen, dies mag zu einer erhöhten Personalbelastung, Mehrdienststunden und mehr Personalbedarf führen, doch geht es hier um von Gesetzes wegen einzuleitende Gefahren abwehrende Maßnahmen aufgrund des Vorliegens einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr für Leben, Gesundheit und Freiheit eines Kindes und nicht um organisatorische oder haushaltstechnische Bedarfe der zuständigen Kommunen.
Spätestens, wenn ein Kind zu Schaden gekommen ist und geprüft wird, ob die Gefahrenlage korrekt beurteilt worden ist, wird sich die Justiz ausschließlich am gesetzlich definierten Gefahrenbegriff zu orientieren haben.
Mittelbare Anzeigepflicht zur Wahrung eventueller Versorgungsansprüche Ein weiteres Problemfeld, in dem sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendämter oder von Gerichts wegen eingeteilte Betreuer gelegentlich befinden, ist, dass sie an Stelle der Eltern, die in aller Regel die Tat zum Nachteil ihres Kindes begangen haben, für Anträge auf eine Versorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) zuständig sind.
Denn gelegentlich kommt es auf Grund der körperlichen und seelischen Folgen der Tat zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit der Opfer. Die Mitwirkungspflichten des Opfers beinhalten gemäß § 2 (2) OEG generell eine „unverzügliche Anzeige bei einer für die Strafverfolgung zuständigen Behörde“, also der Polizei oder der Staatsanwaltschaft. Erfolgt die Anzeige nicht, so liegt ein Versagungsgrund durch die Versorgungsbehörde vor.
Stellt sich unter Umständen erst nach Jahren heraus, dass der Betreuer, der vielleicht nur versuchen wollte, einen Rest an Kontakten zu den leiblichen Eltern aufrecht zu erhalten und nicht zu gefährden, keine Anzeige erstattet hat und deswegen die Tat nicht mehr aufgeklärt werden kann, könnte das Opfer einen (Amts-)Haftungsanspruch wegen des indirekt verursachten wirtschaftlichen Schadens gegen den Betreuer geltend machen.
Keine Weisungsbefugnisse gegenüber benachbarten Behörden Eine Weisungsbefugnis des Jugendamtes gegenüber der Polizei oder umgekehrt ist auf dem Gebiet der Gefahrenabwehr ausgeschlossen. In Betracht käme allenfalls ein so genanntes „Erinnern an eigene Aufgaben“, und wenn eventuelle Differenzen sich dann noch immer nicht haben klären lassen, könnte allenfalls auf dem Dienstweg an den Dienstvorgesetzten der anderen Behörde herangetreten werden. Dies könnte im Extremfall bedeuten, dass eine Einigung auf Ministerebene zu erfolgen hätte.
In Betracht kommende Maßnahmen
Einrichten und Betreiben einer Telefonhotline Im Vorfeld konkreter Maßnahmen könnte und sollte die Gefahrenermittlung erheblich verbessert werden, wenn Hinweise auf die Vernachlässigung oder Misshandlung von Kindern im Rahmen eines Sondernotrufes wie z. B. einer Telefonhotline entgegengenommen, bewertet und weitergeleitet würden.
Erfahrungen der Landespolizei Berlin seit dem Jahr 2004 belegen, dass sich seit Einrichten einer diesbezüglichen Telefonhotline die Häufigkeitszahl bei der Vernachlässigung oder Misshandlung von Kindern im Verhältnis zu anderen Bundesländern rund verzehnfacht hat, wobei hier ausdrücklich darauf hingewiesen sei, dass es in diesen Fällen um eine Aufhellung des bekanntermaßen sehr hohen Dunkelfeldes geht.
Natürlich gibt es den üblichen Polizeinotruf 110 und natürlich können und sollten ihn Bürgerinnen und Bürger bei Vorliegen einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr für ein Kind anrufen. Nur können sie hierzu nicht gezwungen werden, und die Berliner Zahlen belegen, dass die Hotline „Vernachlässigte/misshandelte Kinder“ - aus welchen nicht von der Polizei zu beeinflussenden Gründen auch immer - besser angenommen wird als der Polizeinotruf.
Eine derartige Hotline muss nicht obligatorisch von der Polizei eingerichtet und betrieben werden, wenngleich vieles dafür spräche ( Vgl. hierzu Becker in Deutsche Polizei 8/07 Landesjournal M-V, S. 5-7), sie zumindest hierbei einzubinden, und sei es nur, um hervorzuheben, dass die Verhütung von Straftaten zum Nachteil von Kindern und die Abwehr von Gefahren gemeinsame Aufgabe von Jugendämtern und Polizei sind, und dass die Jugendämter mit ihrer verantwortungsvollen Tätigkeit nicht alleine gelassen werden, um sie dann, wenn einmal etwas schief gegangen zu sein scheint, zu kritisieren und gegen die Verantwortlichen zu ermitteln.
Zu beachten ist hierbei, dass die eine derartige Hotline wiederholend durch eine allgemeine und zielgruppenorientierte Öffentlichkeitsarbeit zu „begleiten“ ist, wenn sie „am Leben gehalten“ werden soll.
Nutzung anderer Anlässe Ohne jede zusätzliche Belastung der Streifen- oder Ermittlungstätigkeit kann bei Gelegenheit der jeweiligen Tätigkeit einfach vermehrt auf Kinder Acht gegeben werden.
Bei einer Vielzahl von eigentlich anderen Anlässen von der Ruhestörung über den Streit bis hin zur Verkehrsunfallaufnahme und nicht zuletzt dem Aufsuchen von Beschuldigten und Zeugen in ihrer Wohnung, können Kinder in ihrem Umfeld und sozialen Beziehungen wahrgenommen werden. Und hier kann auch wahrgenommen werden, ob die Kinder unter Umständen vernachlässigt oder sogar misshandelt werden.
Nutzen der Streifentätigkeit Weiterhin ist festzustellen, dass mit Ausnahme gelegentlich in den Städten tätiger kommunaler Sicherheits- und Ordnungsdienste keine Ordnungsbehörde überhaupt bzw. über ein derartiges Potential für eine systematische Bestreifung bestimmter Regionen wie die Polizei verfügt.
So besteht losgelöst von allen Maßnahmen auf Grund von Bürgerhinweisen eine sehr gute Möglichkeit, ohne gezielte Suche im Rahmen der Streife auffällige Kinder festzustellen und ggf. Gefahren ermittelnd tätig zu werden. In Einzelfällen mag dies bereits erfolgreich der Fall gewesen sein.
Nach Ansicht des Verfassers ließen sich die Möglichkeiten, die sich hieraus ergeben, bei einer entsprechenden Sensibilisierung der Beamten und einem Umdenken, dass die Polizei – wie gesetzlich vorgesehen - selbst Gefahren ermittelnd tätig zu werden hat und nicht mehr auf die Zuständigkeit der Jugendämter schaut und Hinweise abwartet, erheblich erweitern.
Befragungen Sollte im Rahmen der Streife ein Kind angetroffen werden, bei dem der Anschein besteht, das es vernachlässigt oder misshandelt wurde, könnte dieses kindgemäß gemäß § 28 SOG M-V hierzu befragt werden (Vgl. u. a. § 12 HSOG, § 9 PolG NRW, Art. 12 Bay. PAG, § 18 ASOG Bln).
Hierbei ist wichtig, dass die §§ 52 bis 55 StPO zu beachten sind, so dass das betreffende Kind seine Eltern nicht zu belasten braucht und daher davon auszugehen wäre, dass die Erziehungsberechtigten bei der Befragung grundsätzlich hinzuzuziehen wären.
Wenn es jedoch um eine im einzelnen Falle bevorstehende Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person geht, gelten obige Beschränkungen wiederum nicht, und bei offenkundiger Unterernährung oder offen sichtbaren Spuren von Misshandlung könnte dies durchaus der Fall sein. So gewonnene Erkenntnisse dürfen dann allerdings ausschließlich zum Zweck der Gefahrenabwehr und damit nicht für die Strafverfolgung genutzt werden.
Dies dürfte für ein eventuelles Strafverfahren jedoch unerheblich sein, da in derartigen Fällen dann in aller Regel eine Vielzahl weiterer mittelbar und unmittelbar gewonnener Erkenntnisse wiederum verwertet werden dürfte – bis auf das Ergebnis der Befragung, und diese Beschränkung wäre mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren zum Tragen gekommen.
Körperliche Untersuchungen Schließlich käme noch eine körperliche Untersuchung eines Kindes, bei dem der Anschein der Vernachlässigung oder Misshandlung besteht, in Betracht. Gefahren abwehrend ist ein derartiger Eingriff expressis verbis nicht geregelt, so dass hierbei auf die so genannte Generalklausel des § 13 SOG M-V zurückgegriffen werden müsste (Vgl. u. a. § 11 HSOG, § 8 PolG NRW, Art. 11 Bay. PAG, § 17 ASOG Bln).
Hierbei gewonnene Gefahren abwehrend gewonnene Erkenntnisse könnten gemäß § 36 SOG M-V (Vgl. u. a. § 20 HSOG, § 23 PolG NRW, Art. 37 Bay. PAG, § 42 ASOG Bln) trotzdem im Strafverfahren genutzt werden, da sie mit einem vergleichbaren Mittel zum Zweck der Strafverfolgung hätten erhoben werden können, nämlich § 81c StPO, der körperlichen Untersuchung.
Alternativ könnte die Gefahren abwehrende körperliche Untersuchung zumindest in den Ländern, die über vergleichbare Regelungen verfügen, u. U. auf § 53 SOG M-V „Durchsuchung und Untersuchung von Personen“ gestützt werden. Wenngleich es bei der neu aufgenommenen Regelung um eine Ansteckungsgefahr für andere Personen geht, könnte im Schlussverfahren a fortiori (wenn, dann erst Recht …) gefolgert werden, dass eine derartige Regelung erst Recht gelten dürfte, wenn es um einem Kind selber drohende Gefahren ginge.
Zu beachten ist hier der Richtervorbehalt!
Dies ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass auch im Falle einer auf die polizeiliche Generalklausel gestützte körperliche Untersuchung von einem Richtervorbehalt ausgegangen werden sollte. Ausnahmen lägen bei Gefahr im Verzuge vor.
Beim Anfangsverdacht auf strafbare Handlungen könnte der Eingriff auf § 81 c StPO gestützt werden. Eine Verwendung der gewonnenen Erkenntnisse/Daten zu einem anderen Zweck wäre gemäß § 37 (1) SOG M-V möglich (Vgl. u. a. § 20 HSOG, § 24 PolG NRW, Art. 38 Bay. PAG, § 42 ASOG Bln).
Meldeauflagen in Form von Vorladungen zur Gefahrenabwehr Sowohl zur Verhütung von Straftaten als auch als Amtshilfe für personell oft überforderte Jugendämter bestünde die Möglichkeit, gemäß § 50 SOG M-V eine gefahrenabwehrende Vorladung zu verfügen (Vgl. u. a. § 11 HSOG, § 8 PolG NRW, Art. 11 Bay. PAG, § 17 ASOG Bln). Der Mutter oder dem Vater eines gefährdeten Kindes, das unter der Obhut des Jugendamtes bei seinen Eltern belassen wurde, könnte per Verfügung aufgegeben werden, sich einmal täglich zu einer bestimmten Uhrzeit mit dem betroffenen Kind an der örtlich zuständigen Polizeidienststelle zu melden.
Bei dieser Vorladung würde es sich um einen Verwaltungsakt gemäß dem jeweiligen Verwaltungsverfahrensgesetz handeln, dessen sofortiger Vollzug im Interesse des Kindes gemäß § 80 (2) Verwaltungsgerichtsordnung anzuordnen wäre.
Ein „Nichterscheinen“ könnte in Verbindung mit der „Vorgeschichte“ auf eine gegenwärtig gewordene erhebliche Gefahr für die Gesundheit und das Leben des Kindes, zumindest aber tatsächliche Anhaltspunkte für das Verüben von Straftaten zum Nachteil des Kindes hindeuten, was wiederum eine Durchsuchung der Wohnung der betroffenen Familie gemäß § 59 SOG M-V zuließe (Vgl. u. a. § 38 HSOG, § 41 PolG NRW, Art 23 Bay PAG, § 36 ASOG Bln).
Je nach Lage könnte das Kind dann zu seinem Schutz gemäß § 55 SOG M-V in Gewahrsam genommen werden (Vgl. u. a. § 32 HSOG, § 35 PolG NRW, Art. 17 Bay. PAG, § 30 ASOG Bln). Beim Bejahen einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr wären gleichzeitig die Voraussetzungen einer Gefahr im Verzuge gegeben.
Bei den erwähnten tatsächlichen Anhaltspunkten sollte im Rahmen der weiteren Gefahrenermittlung gemäß § 7 (1) Nr. 1 SOG M-V (Vgl. u. a. § 1 HSOG, § 8 PolG NRW, Art. 2 Bay. PAG, § 1 ASOG Bln) vor Ort geprüft werden, inwieweit ein richterlicher Beschluss für die Durchsuchung der Wohnung erforderlich ist oder inwieweit die Voraussetzungen der Gefahr im Verzuge gegeben sind.
Anordnung von Schutzmaßnahmen Weiterhin könnte - in Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein sogar expressis verbis in § 29 (1) S. 2 Nr. 3 SOG M-V bzw. § 181 (1) S. 2 Nr. 3 LVwG S-H geregelt – der Leiter der zuständigen Polizeibehörde nach Feststellen einer Gefährdungslage eine Schutzmaßnahme für das betroffene Kind anordnen, was regelmäßige Kontrollen einschließlich einer Inaugenscheinnahme des Kindes vor Ort nach sich ziehen könnte. Beim Anschein weiterer Gefahren könnte w. o. verfahren werden.
Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit könnte und sollte mit den Betroffenen abgestimmt werden, welche Maßnahme für sie den geringer belastenden Eingriff darstellen würde. Auf Grund der Öffentlichkeitswirksamkeit von Kontrollen, die allerdings unter Umständen in Zivil erfolgen könnten, dürfte eine Gefahren abwehrende Vorladung grundsätzlich den milderen und für die Polizei weniger aufwändigen Eingriff beinhalten.
Schutzmaßnahmen könnten und sollten wegen ihrer präventiven Dominanz am besten durch so genannte Kontaktbereichbeamte wahrgenommen werden, so dass der Streifendienst hierdurch nicht zusätzlich belastet werden müsste.
Ingewahrsamnahmen Einen schwerwiegenderen Eingriff würde eine Ingewahrsamnahme des betroffenen Kindes zu seinem Schutz und der Verhütung von Straftaten darstellen.
Auf Grund der oft falschen Einschätzung der Zuständigkeiten bleibt es zu oft bei einer bloßen Unterrichtung des ja scheinbar alleine originär zuständigen Jugendamtes gemäß § 7 (1) Nr. 2 SOG M-V (Vgl. u. a. § 1(6) HSOG, § 1(1) PolG NRW, Art. 3 Bay. PAG, § 4 ASOG Bln), um dem Sachbearbeiter allein die Verantwortung für alle Folgemaßnahmen zu überlassen.
Stattdessen wäre in der konkreten Situation vor Ort der Opferschutz in den Fokus zu rücken und die Gefahrenlage auf das sorgfältigste zu beurteilen. Man stelle sich nur die Ängste eines soeben misshandelten Kindes vor, das voller Hoffung auf Hilfe miterleben muss, dass die Polizei vor Ort erscheint und es dann unter Verweis auf das Jugendamt alleine mit seinem Peiniger/seiner Peinigerin zurücklässt.
In Fällen so genannter häuslicher Gewalt wird wie bereits ausgeführt stets und mittlerweile von der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte bestätigt, von einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr für das Opfer, in aller Regel eine erwachsene Frau, ausgegangen, so dass der Täter sofort der Wohnung verwiesen wird.
Bestand die häusliche Gewalt in der Misshandlung eines Kindes und kann der Täter nicht der Wohnung verwiesen werden, scheint oft und nicht nachvollziehbar eine gegenwärtige erhebliche Gefahr plötzlich nicht mehr zu bestehen, so dass bis zu Maßnahmen des Jugendamtes abgewartet wird.
Dies kann und darf nicht sein!
Was für die Schwachen gilt, muss erst Recht für die noch Schwächeren gelten, und was für einen Platzverweis gemäß § 52 SOG M-V (Vgl. u. a. § 31 HSOG, § 34 a PolG NRW, Art. 16 Bay. PAG, § 29 a ASOG Bln) gilt muss erst Recht für eine Ingewahrsamnahme gemäß § 55 (1) Nr. 3 SOG M-V gelten.
Wenn es zu einem polizeilichen Einschreiten gekommen ist, ist das Kind in Gewahrsam zu nehmen, und zwar sofort. Wenn nach Übernahme durch das Jugendamt das Kind wieder seinen Eltern übergeben werden sollte, hat die Polizei grundsätzlich nicht das Recht, diese Maßnahme einer in diesem Fall originärer zuständigen Behörde zu unterlaufen.
Darüber hinaus könnte sich die Sachlage nach Einschreiten des Jugendamtes auch dergestalt geändert haben, dass ein derartiger Versuch aus Sicht des Jugendamtes im Sinne des Kindswohls vertretbar erscheinen kann. W. o. bereits erläutert, können jedoch über die Maßnahme des Jugendamtes hinaus, aus polizeilicher Sicht im Rahmen der Verhütung von Straftaten ergänzend eigene Gefahren abwehrende Maßnahmen wie Gefahren abwehrende Vorladungen oder Schutzmaßnahmen verfügt werden, die wiederum das Jugendamt nicht unterlaufen darf.
Darüber hinaus erfordern neue Lagen neue Entschlüsse, und wenn es zu neuen Misshandlungen gekommen ist, könnte eine erneute Ingewahrsamnahme geboten sein und das Jugendamt könnte an seine eigenen Aufgaben – s. o. – erinnert werden. Ggf. wäre nachdrücklich auf dem Dienstweg zu intervenieren.
Und schließlich könnte in Ausnahmefällen – nicht als Mittel zum Zweck – zu prüfen sein, inwieweit hier nicht Straftatbestände als unechte Unterlassungsdelikte verwirklicht worden sind. Insbesondere für Polizeibeamte, aber als Orientierungsrahmen auch für andere Behörden, die Zutritt zur Wohnung eventuell betroffener Kinder haben, bieten sich nachstehende Checklisten zum Verifizieren oder Falsifizieren des Verdachts auf eine Verletzung der Fürsorge- oder Erziehungspflicht bzw. des Verdachts einer Misshandlung von Schutzbefohlenen an:
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