FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Diskussion / Jahrgang 2004

 

Stellungnahme zur beabsichtigten Abschaffung des § 86.6 SGB VIII

von Angelika Eichhorn
Sozialarbeiterin in einem Berliner Plegekinderdienst

 

13.06.04

 

Welches Problem soll eigentlich mit der Abschaffung des § 86.6 SGB VIII gelöst werden?

Von einigen Fachvorgesetzten höre ich folgende Argumente:

  • Die Vollzeitpflege müsse endlich einen gleichberechtigten Platz in der Systematik der anderen Hilfen zur Erziehung einnehmen.
  • Hilfeempfänger im SGB VIII sind die Eltern, nicht die Kinder. Deshalb müsse in der logischen Konsequenz immer das Jugendamt zuständig sein, in dessen Zuständigkeitsbereich die Eltern leben.
  • Es müsse sichergestellt werden, dass die Eltern nicht mehr Angst vor dem dauerhaften Verlust ihres Kindes zu haben brauchten, wenn sie ihr Kind einer Pflegefamilie anvertrauen.
  • Die Gemeinden, in denen traditionell mehr Pflegefamilien als unterzubringende Kinder vorhanden sind, müssten unverhältnismäßig hohe Kosten für die Vollzeitpflege aufbringen, wenn die Zuständigkeit an die Gemeinde übergeht, in der die Pflegefamilie lebt. Es entstünden hier nicht nur Unterbringungskosten, sondern auch Personalkosten.

Mit der Einführung des § 86.6 SGB VIII hat der Gesetzgeber die schutzwürdigen Interessen von Pflegekindern, die eine dauerhafte Lebensperspektive in der Pflegefamilie finden sollen, berücksichtigt. Unter dem Aspekt des sich immer mehr verschärfenden Kostendrucks, der auf den Jugendämtern lastet, gerät das Kindeswohl immer mehr in den Hintergrund der Überlegungen, die kurzzeitige Kosten-Nutzen-Rechnung statt dessen immer mehr in den (beabsichtigten) Vordergrund.

Warum werden überhaupt Kinder dauerhaft in Pflegefamilien untergebracht?

  • Es sind Kinder von Eltern, die die Grundbedürfnisse ihrer Kinder nicht kennen, einfühlend verstehen und im Mindestmaß befriedigen können. Oft handelt es sich um Kinder von Eltern, die selbst eine lange Karriere von Fremdunterbringungen, Beziehungsabbrüchen und die Erfahrung eigener Vernachlässigung, Misshandlung u.a.m. haben, die seit Jahren unter einer Suchterkrankung oder unter einer schweren psychischen Krankheit leiden. Bevor ein Kind in einer Dauerpflegefamilie untergebracht wird, werden die Eltern in aller Regel durch verschiedene ambulante Hilfen unterstützt, bis die permanente Gefährdung des Kindes durch die Eltern nicht mehr zu übersehen ist.

In meiner Berufspraxis habe ich des Öfteren erlebt, dass die Eltern aus falsch verstandener Rücksichtnahme nicht oder verschleiert über die Dauerhaftigkeit der Unterbringung aufgeklärt wurden. Mit dem sich ständig erhöhenden Kostendruck auf die SozialarbeiterInnen der Jugendämter kommt nun das sich bei ihnen immer mehr verbreitende subjektiv empfundene Gefühl von Schuld hinzu, wenn ein Kind langfristig untergebracht werden muss und dadurch hohe Kosten verursacht werden.

Welche Folgen hat die Abschaffung des § 86,6 SGB VIII? Löst sie die Probleme?

  • Die zunächst auffälligste Folge ist die Zunahme von Zuständigkeitswechseln, weil die Eltern von untergebrachten Kindern auffällig oft umziehen.
  • Die Kontinuität der Hilfeplanung ist nicht gewährleistet. Mit jedem Zuständigkeitswechsel geht ein Informationsverlust einher. Es erfordert eine Menge Arbeit, bis der (die) neu zuständig gewordene Bearbeiter(in) sich in die Problematik des Kindes eingearbeitet hat.
  • Mit jedem Wechsel entsteht aber auch eine neue Unsicherheit. Schließt sich der (die) neue Bearbeiter(in) der Sichtweise des (der ) Vorgänger(s)(in) an? Trifft er (sie) eine ganz andere Entscheidung?
  • Es ist zu erwarten, dass nun auch noch die Befürchtung entstehen wird, dass das neu zuständig werdende Jugendamt sich die Dauerpflege des untergebrachten Kindes nicht mehr leisten kann, weil das Kontingent durch andere bedürftige Kinder schon ausgeschöpft wurde.
  • Die Folgen für die Landkreise hat Paula Zwernemann in ihrem Artikel dargestellt. Den Überlegungen kann ich mich nur anschließen.

Die Probleme werden nicht gelöst. Durch die Möglichkeit der Kostenrückerstattung ist ein hinreichendes Instrument geschaffen worden, die Gemeinden zu entlasten, in deren Zuständigkeitsbereich Pflegekinder untergebracht werden. Wenn die Betreuung von Pflegekinderdiensten freier Träger geleistet wird, werden auch Personalkosten finanziert. Warum dann nicht auch die Personalkosten, die öffentlichen Trägern entstehen?

Es besteht ein ganz anderes Problem, dass aber die Abschaffung des § 86.6 SGB VIII nicht löst. Die Hilfeplanung muss weiter entwickelt werden. Die Jugendämter brauchen ausreichend Zeit, Personal, Qualifikation, um den Eltern effektiv und sinnvoll helfen zu können. Statt einer inhaltlichen Qualifizierung erlebe ich stattdessen eine unerträgliche Zunahme von Bürokratismus und Verunsicherung.

 

 

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