FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Diskussion / Jahrgang 2002

 

Ausführungsvorschriften
über Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege
AV-Vollzeitpflege

Entwurf vom 22. 10. 2002
SenSchulJugSport -V D 11
Tel. 9026-5572 intern (926) 5572
 

Vorbemerkung: Den hier zur Diskussion gestellten Entwurf der neuen Berliner Pflegekinder-Vorschriften verdanken wir einer Indiskretion. Es wird höchste Zeit, daß er den Pflegeeltern und der am Pfegekinderwesen interessierten Fachwelt bekannt wird, denn er ist eine gefährliche Attacke auf das vielgerühmte Berliner Modell der heilpädagogischen Pflegefamilie.
K.E. (Dez. 2002)


Auf Grund von § 56 des Gesetzes zur Ausführung des Kinder- und Jugendhilfe-gesetzes (AG KJHG) in der Fassung vom 27. April 2001 (GVBl. S. 134) wird nach Anhörung des Landesjugendhilfeausschusses bestimmt:

1. Rechtsgrundlage

(1) Diese Ausführungsvorschriften regeln die Vermittlung, Unterbringung und  Erziehung von Kindern und Jugendlichen sowie die materiellen Leistungen für den Unterhalt und die Erziehung des Kindes oder Jugendlichen bei Hilfen zur Erziehung in Vollzeitpflege auf Grund von § 33 SGB VIII.

(2) Vollzeitpflege umfasst die Unterbringung, Erziehung und Betreuung eines Kindes oder Jugendlichen in einem familiären Lebenszusammenhang außerhalb der Herkunftsfamilie.

(3) Anspruchsberechtigte sind bei dieser Hilfe die Sorgeberechtigten, wenn der erzieherische Bedarf gegeben und Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege geeignet und notwendig ist.

2. Grundsätze zu Hilfen in Vollzeitpflege

(1) Nach § 79 SGB VIII haben die Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Gesamtverantwortung für die Verfügbarkeit dieser Hilfe einschließlich  Planungsverantwortung und Gewährleistungsverpflichtung. Der öffentliche Träger kann Träger der freien Jugendhilfe an der Durchführung der Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege beteiligen. Zur Wahrnehmung von Aufgaben durch einen Träger der freien Jugendhilfe wird ein Vertrag geschlossen.

(2) Für diese Form der Hilfe zur Erziehung kommen Kinder und Jugendliche in Betracht, deren Verbleib in der Herkunftsfamilie vorübergehend oder auf Dauer nicht angezeigt ist und für deren Entwicklung das Leben in einem familiären Lebenszusammenhang notwendig und förderlich ist. Dieses Leistungsangebot richtet sich insbesondere an jüngere Kinder. Besondere Merkmale sind verlässliche Bezugspersonen in einem überschaubaren und kontinuierlichen Familienverband. Die enge personale elternähnliche Beziehung zwischen Kind und Erziehungsperson und die daraus resultierende Bindungsdynamik unterscheidet die Vollzeitpflege von anderen Formen der Fremdunterbringung. 

(3) Das Ziel dieser Hilfe zur Erziehung wird im Einzelfall durch die Hilfeplanung (§ 36 SGB VIII) festgelegt. Danach kann es sich um eine vorübergehende oder auf Dauer angelegte Hilfeleistung handeln. Die Rückkehrmöglichkeit zu den Herkunftseltern ist vorrangig zu prüfen. Die konstruktive Zusammenarbeit zwischen Herkunftsfamilie und Pflegefamilie ist anzustreben und stellt hohe Anforderungen an die Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft von Erziehungsperson und Herkunftseltern. Die Förderung des Kontaktes zu den Herkunftseltern ist Bestandteil der Hilfe unabhängig davon, ob die Hilfe in Vollzeitpflege auf eine Rückkehr des Kindes oder einen Verbleib in der Pflegefamilie zielt. Die Herkunftseltern sind, soweit es das Kindeswohl zuläßt, in den Entwicklungsprozess einzubinden.

(4) In einer Vollzeitpflegefamilie leben in der Regel nicht mehr als drei Pflegekinder. Die Hilfeplanung hat ggf. den Zusammenhalt von Geschwisterkindern zu berücksichtigen. Mischformen mit Erziehungsstellen nach § 34 SGB VIII sind nicht möglich.

(5) Zur Regelleistung können erweiterte Anforderungen an die Erziehungsleistung auch kurzfristig hinzutreten. Diese sind durch einen - ggf. zeitlich begrenzten - erweiterten Förderbedarf des Kindes auf Basis der Diagnostik im Rahmen der Hilfeplanung begründet (auch i.V.m. § 35a SGB VIII oder § 39 BSHG).

3. Vollzeitpflege

(1) Vollzeitpflege ist bestimmt für Kinder und Jugendliche, bei denen die Erziehung in ihrer Herkunftsfamilie nicht ausreichend gewährleistet ist und andere Hilfen zur Erziehung nicht geeignet sind. Ziel ist die soziale Integration des in seiner Entwicklung beeinträchtigten Pflegekindes in einen familiären Rahmen, die Förderung der kindlichen Entwicklung sowie die Sicherung der Beziehungskontinuität zu seiner Herkunftsfamilie unter Berücksichtigung seines individuellen Hilfebedarfs. Der Erziehungshilfebedarf des Kindes oder Jugendlichen ist oftmals verbunden mit einer Entwicklungsverzögerung/-störung, mit der Erfahrung von Trennung und/oder Traumatisierung.

(2) Die Hilfe zur Erziehung in einer Vollzeitpflegefamilie soll das Aufwachsen in einer familialen Lebensform bei befristetem oder langfristigem Ausfall der Herkunftsfamilie gewährleisten. Sie wird beendet bei Rückkehr in die Herkunftsfamilie, bei Einsetzen einer anderen Jugendhilfeleistung bzw. bei Verselbständigung des jungen Menschen.

(3) Die Fortsetzung der Hilfe bei Eintritt der Volljährigkeit. bedarf der besonderen Prüfung und Hilfeplanung.

(4) Grundlegende Anforderungen an die Erziehungsperson zur Bewältigung der Erziehungsleistung umfassen:

  • erzieherische Kompetenz und Erfahrung (Grundwissen zu kindlichen Entwicklungsprozessen, Ressourcenorientierung, Gewährleistung der Versorgung),
  • Beziehungs- und Bindungsfähigkeit (Wahrnehmung der Bedürfnisse im Beziehungsdreieck Kind-Herkunftsfamilie-Erziehungsperson, auch der eigenen Bedürfnisse),
  • Reflexionsfähigkeit,
  • Kooperationsfähigkeit im Rahmen des öffentlichen Erziehungsauftrages
  • stabile familiäre und wirtschaftliche Verhältnisse.

(5) Voraussetzung für die Aufnahme eines Pflegekindes ist eine Qualifikation, die in einem Lehrgang an der Berliner Pflegeelternschule erworben wird. Darüber hinaus nimmt die Erziehungsperson regelmäßig an Supervision, Fortbildung und Beratung teil.

(6) Die Erziehungsperson versorgt das Kind oder den Jugendlichen in seinen Grundbedürfnissen unter Berücksichtigung des individuellen Entwicklungsbedarfs. Sie unterstützt und fördert die Entwicklung des Pflegekindes. Sie stabilisiert und fördert das Selbsthilfepotenzial des Kindes oder Jugendlichen sowie seine psychosoziale Kompetenz, seine geistige und körperliche Entwicklung. Sie fördert das schulische Lernen und seine schulische Integration. Im Rahmen ihrer Betreuung sichert die Erziehungsperson die entwicklungsfördernde Beziehungskontinuität zwischen Kind und Herkunftsfamilie.

(7) Die Erziehungsperson/Pflegefamilie muss über ausreichenden Wohnraum mit einer kindgerechten, altersgemäßen Ausstattung verfügen. Sie stellt einen ausreichenden Zeitrahmen für die Grundversorgung und Betreuung des Kindes/Jugendlichen zur Verfügung. Mit Erbringung dieser Leistung sollte keine finanzielle Abhängigkeit entstehen.

4. Vollzeitpflege mit erweitertem Förderbedarf des Kindes/Jugendlichen

(1) Vollzeitpflege mit erweitertem Förderbedarf des Kindes/Jugendlichen ist dann gegeben, wenn über den regulären Erziehungshilfebedarf hinaus Erziehungsschwierigkeiten und Entwicklungsstörungen ggf. in Zusammenhang mit einer Behinderung vorliegen. Die Feststellung oder der Nachweis einer (drohenden) Behinderung gemäß § 35 a SGB VIII oder § 39 BSHG begründet nicht allein einen erweiterten Förderbedarf.

(2) Durch besondere Beeinträchtigungen/Erziehungsschwierigkeiten beim Kind sind erweiterte Anforderungen an die Erziehungsleistung gestellt. Daher sind ausgeprägte persönliche und soziale Kompetenzen der Erziehungsperson erforderlich. Die erweiterten Anforderungen an die Erziehungsperson über die beschriebenen Kompetenzen hinaus umfassen zur Bewältigung dieser Erziehungsleistung:

  • Empathiefähigkeit (das Kind so zu akzeptieren, wie es ist; Vertrauen ermöglichen),
  • besondere Belastbarkeit (emotionale und psychische Stabilität, Ausgeglichenheit, Sicherheit im Umgang mit Nähe und Distanz, Bindungsaufbau und Trennungsbewältigung),
  • erhöhte Reflexionsfähigkeit
  • Erkennen eigener Leistungsgrenzen (Hilfe/Entlastung annehmen können),
  • Kooperations- und Lernbereitschaft (Kommunikations-, Kritikfähigkeit, Flexibilität),
  • Strukturiertheit (innere und äußere Arbeitsorganisation, Integrationsfähigkeit, Fähigkeit zu Vorsorge).

(3) Die Anforderungen an die Erziehungsleistung sind dem "Leitfaden zur Ermittlung des erweiterten Förderbedarfs bei Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII)" (s. Anlage 1) zu entnehmen. Er ist Grundlage für Hilfeplanung und Diagnostik. Ein weiterer Leitfaden dient der Feststellung der Eignung und Auswahl (Anforderungsprofil) von Pflegeeltern (s. Anlage 2).

(4) Die Erziehungsperson unterstützt und fördert die Entwicklung des Pflegekindes und gewährleistet im Rahmen der Hilfeplanung ggf. die Einleitung und Unterstützung notwendiger besonderer pädagogischer und ggf. psychologischer/therapeutischer Hilfen für das Kind.

(5) Es dürfen ein Pflegekind, in Ausnahmefällen maximal zwei Pflegekinder mit erweitertem Förderbedarf in einer entsprechend qualifizierten Pflegefamilie aufgenommen werden. Geschwister von Pflegekindern sind vorrangig in die Hilfeplanung einzubeziehen. .

5. Befristete Vollzeitpflege

(1) Die befristete Vollzeitpflegestelle ist für Pflegekinder vorgesehen, deren Erziehung und Betreuung für einen überschaubaren Zeitraum von der Herkunftsfamilie nicht sichergestellt werden kann, deren Rückkehr aber aufgrund der vorliegenden familiären Situation wahrscheinlich ist. Ziel ist die Sicherung der Erziehung und Versorgung des Kindes bei gleichzeitigem Erhalt des sozialen Umfeldes und des Kontaktes zur Herkunftsfamilie.

(2) Vor der Unterbringung eines Kindes in einer befristeten Vollzeitpflegestelle ist zu prüfen, ob nicht vorrangig eine Hilfe nach § 38 SGB V oder nach § 20 SGB VIII in Betracht kommt. 

(3) Die befristete Vollzeitpflege ist auf 3 Monate zu begrenzen. Eine Verlängerung ist nur im begründeten Ausnahmefall zulässig. Die zeitliche Befristung setzt rasche Perspektivklärung bei sorgfältiger Hilfeplanung voraus. Die Hilfeplanung erfolgt für jeweils max. 6 Wochen.

(4) Die befristete Vollzeitpflegestelle umfasst grundsätzlich nur ein entsprechendes Pflegekind. Es ist zu prüfen, ob in der Pflegestelle mehr als zwei Pflegekinder insgesamt betreut werden können. Ausnahmen, auch unter Berücksichtigung von Geschwistern, sind im Rahmen der Hilfeplanung zu entscheiden.

(5) Die Erziehungsperson muss in der Lage sein, Kinder in dieser belastenden Lebenssituation im Spannungsfeld zwischen Bindung und Trennung stützend zu begleiten. Die zu klärende Rückkehroption erfordert in der Regel engen Kontakt zur Herkunftsfamilie, ggf. Begleitung des Kindes bei der Wiedereingliederung in seine Familie oder die Unterstützung bei einem Wechsel in eine dauerhafte Unterbringungsform. Ein ausreichender Zeitrahmen für die Grundversorgung und Betreuung des Kindes/Jugendlichen zur Verfügung ist zu gewährleisten.

(6) Die Erziehungsperson gewährleistet den Kontakt zur Herkunftsfamilie, soweit dies nicht dem Kindeswohl widerspricht, und unterstützt den Erhalt des sozialen Umfeldes. Auch Übernachtungen bei den Herkunftseltern bleiben in Abstimmung mit dem Jugendamt möglich.

6. Örtliche Zuständigkeit (Berlin und außerhalb)

(1) Bei Aufnahme eines Pflegekindes aus einem anderen Bundesland oder bei Unterbringung in einem anderen Bundesland sind die Regelungen der §§ 86 (1) bis (6) und 89 a SGB VIII zu berücksichtigen.

(2) Bei Unterbringung eines Berliner Pflegekindes in Vollzeitpflege (§ 33 SGB VIII) in einem der Berliner Bezirke findet der § 86 Abs. 6 SGB VIII keine Anwendung. Das nach § 86 (1) bis (5) zuständige Jugendamt (im folgenden Herkunftselternjugendamt genannt) hat die Zuständigkeit für den gesamten Zeitraum der Unterbringung.
Übernimmt das Jugendamt in dessen Einzugsbereich sich die Pflegefamilie befindet (im folgenden Pflegestellenjugendamt genannt), die Prüfung und Betreuung der Pflegestelle, so erfolgt hierfür keine Kostenerstattung. Die Betreuung einer Pflege-familie durch das Herkunftselternjugendamt in einem anderen Berliner Bezirk ist nicht möglich.

(3) Die Unterbringung in einer Pflegestelle eines anderen Bezirks erfolgt in Absprache mit dem dortigen Jugendamt.

(4) Übernimmt ein Träger der freien Jugendhilfe die Vermittlung und Betreuung einer Pflegestelle, so bleibt das Herkunftselternjugendamt für den gesamten Zeitraum der Betreuung zuständig. In diesem Fall schließt das für die Hilfeplanung zuständige Herkunftselternjugendamt mit dem Träger der freien Jugendhilfe einen Vertrag über die Betreuung des Pflegekindes, einschließlich der hiermit verbundenen Kosten.

(5) Die Auswahl, Aufsicht und Qualitätssicherung des freien Trägers obliegt dem Pflegestellenjugendamt.

(6) Ziehen die Herkunftseltern in einen anderen Bezirk, so tritt dieser Bezirk in den bestehenden Pflegevertrag ein, es sei denn, dass mit dem Umzug die Voraussetzungen für eine andere Hilfe gegeben sind.

(7) Das Jugendamt, in dessen Einzugsbereich sich eine freie Vollzeitpflegestelle befindet, hat nach Mitteilung durch einen freien Träger ein auf einen Monat befristetes Erstbelegungsrecht. Diese Regelung dient der Gewährleistung der eigenen Bedarfsdeckung für freie Pflegestellen. Die Frist beginnt mit schriftlicher Bekanntgabe des Belegungswunsches durch das Herkunftselternjugendamt gegenüber dem Jugendamt des  Pflegestellenbezirkes. Das Jugendamt des Pflegestellenbezirks muss innerhalb dieser Frist seinen eigenen Bedarf schriftlich gegenüber dem Herkunftselternjugendamt geltend machen.

(8) Das Landesjugendamt erarbeitet allgemeine, verbindliche Vorgaben für den Inhalt des Abschlusses von Verträgen über die Betreuung und Werbung von Pflegestellen, die durch Rundschreiben bekannt gegeben werden.

7. Hilfeplanung

(1) Die Prüfung der Notwendigkeit und Geeignetheit der Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege trifft das Herkunftselternjugendamt. Es ist federführend verantwortlich für:

  • Abschluss der Pflegeverträge,
  • Beratung der Personensorgeberechtigten und des Kindes/Jugendlichen,
  • Entscheidung über die geeignete und notwendige Hilfe einschließlich    Prognoseentscheidung über die Hilfeperspektive,
  • Prüfung des Förderbedarfs des Kindes oder Jugendlichen,
  • Feststellung des erweiterten Förderbedarfs in Verbindung mit dem Fachdiagnostischen Dienst (entsprechend des Leitfadens "Standards für Diagnostik und Indikation zur Ermittlung des erweiterten Förderbedarfs bei Vollzeitpflege § 33 SGB VIII"),
  • Prüfung der Passfähigkeit von Kind/Jugendlichem und Erziehungsperson/Pflege- familie (s. Leitfaden zur Feststellung der Eignung und Auswahl von Pflegeeltern) in Kooperation mit dem Pflegestellenjugendamt,
  • fachliche Begleitung des Hilfeprozesses in Abstimmung mit dem Pflegestellenbezirk,
  • Fortschreibung des Hilfeplans und seine regelmäßige Überprüfung,
  • Beendigung der Hilfe.

(2) Das Pflegestellenjugendamt ist zuständig für die:

  • Prüfung der Pflegestelle,
  • Beteiligung an der Hilfeplanung des unterbringenden Jugendamtes,
  • Beratung und Begleitung der Pflegefamilie auf der Grundlage der Hilfeplanung, ggf. unter Mitwirkung eines freien Trägers.

(3) Das Herkunftsjugendamt legt im Hilfeplan - zusammen mit allen Beteiligten - Inhalt, Umfang und Dauer der notwendigen Leistungen, sowie die Intervalle der Hilfeplanüberprüfung halbjährlich bis jährlich fest. Die mit der Hilfe kurz-, mittel- und langfristig angestrebten Ziele und die damit verbundene Zeitdauer werden im Hilfeplan aufgenommen.

(4) Die Begleitung des Hilfeprozesses durch Jugendamt und freien Träger erfolgt unter besonderer Berücksichtigung der Rückkehrmöglichkeit des Kindes oder Jugendlichen in seine Herkunftsfamilie innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens, bezogen auf den Entwicklungsstand des Kindes und die Entwicklungsmöglichkeit der Herkunftsfamilie.
Wird im Verlauf des Entscheidungsprozesses schon frühzeitig erkennbar, dass eine Rückkehr des Kindes auszuschließen ist, muss die Sicherung des dauerhaften Lebensortes im Vordergrund stehen.

(5) Die Beratung und Unterstützung der Herkunftsfamilie sowie die Begleitung und Beratung der Erziehungsperson wird im Hilfeplan ebenfalls sichergestellt. Vereinbarungen bezüglich der Zusammenarbeit zwischen Pflegeeltern und leiblichen Eltern/ Herkunftsfamilie sowie Absprachen zu Häufigkeit und Ausgestaltung von Besuchskontakten sind im Interesse einer positiven Entwicklung des Kindes zu treffen.

8. Verfahren zur Feststellung eines erweiterten Förderbedarfs in Vollzeitpflege

(1) Wird im Verlauf des Hilfeplanverfahrens ein erweiterter Förderbedarf des Kindes oder des Jugendlichen vermutet, ist zur Feststellung dieses Förderbedarfs immer eine diagnostische Stellungnahme des Pflegestellenjugendamtes einzuholen.

(2) In Abstimmung mit dem für die Hilfeplanung federführenden Herkunftsjugendamt beauftragt das Pflegestellenjugendamt seinen fachdiagnostischen Dienst (EFB, KJPD), gemäß dem vorliegenden Leitfaden eine Stellungnahme zur Ermittlung bzw. Prüfung des erweiterten Förderbedarfs zu erstellen.

(3) Die gutachterliche Stellungnahme wird innerhalb einer Frist von 4 Wochen gewährleistet. Wird dieser Auftrag an eine externe gutachterliche Stelle übergeben, wird das Gutachten im Rahmen von Vereinbarungen zu Standards definiert. Der bezirkliche Fachdienst bleibt für die Einhaltung der festgelegten Standards sowie des gesamten Verfahrens verantwortlich.

(4) Der ASD/Pflegekinderdienst legt zusammen mit allen Beteiligten im Hilfeplan Inhalt, Umfang und Dauer der notwendigen Leistungen sowie die Intervalle der Hilfeplanüberprüfung, ggf. mit Einbeziehung des fachdiagnostischen Dienstes fest. Besteht nach Ablauf des festgelegten Zeitrahmens der erweiterte Förderbedarf weiterhin oder ist dies zu vermuten, ist eine aktuelle fachdiagnostische Stellungnahme einzuholen. In begründeten Einzelfällen, wenn nach allen fachlichen Einschätzungen keine wesentlichen Änderungen in einem absehbaren Zeitraum zu erwarten sind, kann von der regelmäßigen gutachterlichen Überprüfung im Rahmen der Fortschreibung des Hilfeplans abgesehen werden. Diese Entscheidung wird im Hilfeplan dokumentiert

9. Eignung von Pflegestellen/Erziehungspersonen

(1) Als Pflegestellen kommen unterschiedliche Familienformen in Betracht. Dazu zählen auch unverheiratete Paare, gleichgeschlechtliche Paare, Alleinstehende. Im Einzelfall ist die Pflegestelle nach dem Alter, Entwicklungsstand, der aktuellen Lebenssituation, der emotional-sozialen Bindung des Kindes oder Jugendlichen und der voraussichtlichen Dauer der Unterbringung zu bewerten. Die Erziehungspersonen, die ein ausländisches Pflegekind aufnehmen will, muss der jeweiligen kulturellen Prägung gegenüber aufgeschlossen sein.

(2) Die Erziehungsperson muss eine Qualifikation durch die Teilnahme an einer Pflegeelternschule nachweisen.

(3) Die Teilzeitbeschäftigung der Erziehungsperson (max. 15-20 Wochenstunden) ist möglich. Der Umfang der Erwerbstätigkeit ist mit den Erziehungszielen des Hilfeplans abzustimmen.

(4) Pflegeverhältnisse sind in der Regel so zu vermitteln, dass sie zur Vollendung des 63. Lebensjahres der Erziehungsperson beendet sind.

10. Prüfung der Eignung

(1) Die Eignung der Erziehungsperson wird durch den ASD/Pflegekinderdienst festgestellt. Der zuständige Fachdienst berät die Bewerber/-innen, bespricht die Beweggründe, ein Kind oder einen Jugendlichen in Vollzeitpflege aufzunehmen, informiert über die grundlegenden Anforderungen, die an die Erziehungsleistung gestellt werden, und überprüft diese anhand des „Leitfadens zur Feststellung der Eignung und Auswahl von Erziehungspersonen/Pflegeeltern in Vollzeitpflege",

(2) Zur Vorbereitung, auch Auswahl und Überprüfung von Pflegeelternbewerbern/-innen kann das Jugendamt einen anerkannten Träger der freien Jugendhilfe beauftragen.

(3) Bereits erfolgte Prüfungen im Rahmen von Adoptionsvermittlung sind in die Prüfung der Eignung einzubeziehen.

(4) Für Pflegeverhältnisse unabdingbar sind ein Attest über die gesundheitliche Eignung der Erziehungsperson sowie ein aktuelles polizeiliches Führungszeugnis. In begründeten Fällen kann das Jugendamt ein polizeiliches Führungszeugnis bzw. ein Gesundheitsattest auch von Haushaltsangehörigen der Erziehungsperson verlangen.

(5) Die Haushalts- und Wirtschaftsführung der Erziehungsperson/Pflegeeltern soll gewährleisten, dass .diese für ihren Lebensunterhalt nicht auf Leistungen angewiesen sind, die für den Lebensbedarf des Kindes oder Jugendlichen bestimmt sind.

11. Fachliche Unterstützung der Pflegefamilie

(1) Das Pflegestellenjugendamt berät und unterstützt die Erziehungsperson/Pflegeeltern von der Vorbereitung bis zur Beendigung der Hilfe in Vollzeitpflege in Abstimmung mit dem für die Hilfeplanung zuständigen Jugendamt. Die Beratung und Betreuung der Pflegefamilie sowie die Fortbildung der  Erziehungsperson kann Trägem der freien Jugendhilfe übertragen werden. Die Unterstützung und Begleitung der Pflegefamilie umfasst:

  • Regelmäßige aufsuchende Kontakte, Begleitung und Beratung der Pflegefamilie zu allen das Pflegeverhältnis betreffenden Fragen,
  • Unterstützung und fachliche Begleitung in der Zusammenarbeit mit der Herkunftsfamilie, insbesondere bei der Gestaltung des Umgangs, in Konfliktsituationen und bei Gerichtsverfahren,
  • Begleitung und Beratung der Erziehungsperson im Hilfeplanprozess,
  • Unterstützung bei der Wahrnehmung regelmäßiger Fortbildungsangebote,
  • Initiierung und Unterstützung bzw. Moderation von Selbsthilfegruppen,
  • Klärung und Unterstützung in Krisensituationen in der Pflegefamilie,
  • Unterstützung bei der Überleitung des Pflegekindes in eine neue Pflegefamilie oder sonstige Vollzeitunterbringung bei kurzfristiger Beendigung des Pflegeverhältnisses.

12. Pflegevertrag

(1) Das Pflegestellenjugendamt entscheidet nach den Anforderungen über die Erfüllung der Voraussetzungen der Pflegestellenbewerber/-innen. Es schließt zum Zeitpunkt der Aufnahme eines Kindes in eine Pflegestelle den entsprechenden Pflegevertrag ab. Der Pflegevertrag ist zivilrechtlich.

(2) Im Pflegevertrag sind mindestens niederzulegen:

  • Dauer des Pflegeverhältnisses,
  • Mitwirkung bei der Hilfeplanung und seiner Fortschreibung,
  • der Umfang der Ausübung der Personensorge durch die Pflegeperson,
  • Entscheidungs- und Vertretungsbefugnisse der Erziehungsperson in Angelegenheiten des täglichen Lebens (§ 1688 BGB),
  • Vereinbarung zur Umgangsregelung mit den leiblichen Eltern/Herkunftsfamilie,
  • die Verpflichtungen,  dass das Pflegekind weder gezüchtigt noch anderen entwürdigenden Erziehungsmaßnahmen unterworfen wird und das Pflegekind an allen es berührenden Entscheidungen gemäß seinem Entwicklungsstand beteiligt wird, 
  • die Leistungen zum Unterhalt des Kindes oder Jugendlichen und die Leistungen für die Kosten der Erziehung (§ 39 SGB VIII),
  • die gegenseitigen Unterrichtungspflichten über das Wohl des Pflegekindes berührende besondere Ereignisse,
  • die Verpflichtung zum Schutz der personenbezogenen Daten,
  • Bestimmungen zur Kündigung oder sonstigen Beendigung des Pflegevertrags.

(3) Dem Pflegevertrag ist der Teil Zielvereinbarung und Fortschreibung des Hilfeplans als Anlage beigefügt.

(4) Der Pflegevertrag endet bei fristgemäßer Kündigung zum Ablauf des auf die Kündigung folgenden Monats.

(5) Bei fristloser Kündigung endet der Pflegevertrag mit Zugang des Kündigungs-schreibens. Eine fristlose Kündigung ist dann angezeigt, wenn aus Gründen, die die Erziehungsperson zu vertreten hat,  eine sofortige anderweitige Unterbringung des Kindes oder Jugendlichen erforderlich ist bzw. die Erziehungsperson trotz entsprechender Hinweise des Jugendamtes wiederholt ihren eingegangenen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist.

(6) Die Kündigung bedarf der Schriftform.

(7) Der Pflegevertrag endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf,

  • wenn das Ziel der Hilfe erreicht ist,
  • wenn die Erziehungsperson ohne das Kind oder den Jugendlichen aus der gemeinsamen Wohnung auszieht,
  • nach Erklärung der Zuständigkeit durch ein Jugendamt in einem anderen      Bundesland,
  • wenn das Kind oder der Jugendliche adoptiert wird,
  • bei Tod des Pflegekindes oder der Erziehungsperson,
  • wenn die Erziehungsperson den Pflegevertrag nicht aufrechterhalten will.

(8) Auf Wunsch ist der Erziehungsperson ein Pflegestellenausweis auszuhändigen, der Angaben über ihre .Befugnisse enthält, die Sorgeberechtigten in der Ausübung der elterlichen Sorge zu vertreten.

13. Materielle Leistungen

(1) Die materiellen Leistungen für die Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege werden auf Grundlage des § 39 SGB VIII gewährt. Sie setzen sich zusammen aus der Pauschale für den Lebensunterhalt, Erziehungsgeld und Beihilfen.

(2) Die Höhe der Pauschalen für den laufenden Unterhalt, für einmalige Beihilfen und Zuschüsse sowie für die Erziehung bestimmt sich nach den Familienpflegegeldvor-schriften (AV-UE Vollzeitpflege) in der jeweils geltenden Fassung. Einmalige Beihilfen richten sich nach dem im Beschluss der Kostensatzkommission für den Jugendhilfebereich verabschiedeten Katalog der Nebenkosten (Teil A und Teil B) gemäß § 39 SGB VIII in der jeweils aktuellen Fassung.

(3) Durch das Erziehungsgeld werden die Kosten der Erziehung abgegolten. Es setzt sich zusammen aus monatlich 450 EURO und bei erweitertem Förderbedarf laut Hilfeplanung zusätzlich monatlich 250 EURO. Weitere Einzelheiten sind in den Ausführungsvorschriften über laufende Leistungen zum Unterhalt und zur Erziehung (AV-UE Vollzeltpflege) geregelt.

(4) Auf das Erziehungsgeld nicht anzurechnen sind Leistungen (z.B. nach dem Pflegegesetz - SGB IX). die die Erziehungsperson erlangt, weil der junge Mensch, den sie im Rahmen der Hilfe zur Erziehung betreut, behindert ist .

(5) Ändert sich die Pauschale für den Lebensunterhalt im Laufe eines Monats wegen Erreichens der Altersgrenze, so ist die veränderte Pauschale ab dem nachfolgenden Monat zu zahlen.

(6) Bei Unterbringungen im Laufe eines Monats sind die Leistungen zum Unterhalt und das Erziehungsgeld für den entsprechenden Teil des Monats zu zahlen.

(7) Endet ein Pflegeverhältnis im Laufe eines Monats, so ist die Zahlung der Pauschale für den Lebensunterhalt und des Erziehungsgeldes zum Ende des Monats einzustellen.

(8) Bei vorübergehender Abwesenheit des Kindes oder Jugendlichen von der Pflegestelle (z.B. aufgrund eines Krankenhausaufenthaltes, aber auch bei seinem vorübergehenden Fernbleiben) sind die Leistungen zum Unterhalt und das Erziehungsgeld für längstens sechs Wochen weiter zu gewähren.

(9) Für Kinder und Jugendliche, die sich länger als sechs Wochen mit dem Ziel der Rückkehr in die Pflegestelle anderweitig aufhalten, wird die Hälfte der maßgeblichen Pauschale für den Lebensunterhalt gezahlt.

(10) Die Erziehungsperson hat Anspruch auf Übernahme der Kosten für Supervision. Die Höhe der Kosten richtet sich nach den jeweils geltenden Festsetzungen für die Leistungen nach §§ 27 ff SGB VIII im Rahmen des § 78 a SGB VIII. Umfang und Dauer werden im Rahmen der Hilfeplanung festgelegt und fortgeschrieben. Der Umfang beträgt maximal 2 Stunden monatlich. Dies gilt insbesondere für Pflegeeltern von Kindern mit erweitertem Förderbedarf.

14. Übergangsregelung

(1) Die Umstellung der Finanzierung erfolgt zeitgleich mit Inkraftsetzen der neuen Ausführungsvorschriften über laufende Leistungen zum Unterhalt und zur Erziehung in Vollzeitpflege (AV- UE Vollzeitpflege).

(2) Im Rahmen der Fortschreibung der Hilfeplanung sind alle bestehenden Pflegeverhältnisse hinsichtlich des erzieherischen Bedarfs nach Art, Dauer und ggf. erweitertem Förderbedarf zu überprüfen.

(3) Für Erziehungspersonen mit mehrjähriger Tätigkeit (mind. 2 Jahre) im Bereich der Vollzeitpflege gelten die neuen Regelungen ab sofort. Die Erziehungsperson erhält sofort das Erziehungsgeld (neu) in Höhe von 450 EURO monatlich. Erziehungspersonen ohne mehrjährige Erziehungserfahrung in der Vollzeitpflege   müssen vor Umstellung auf das Erziehungsgeld (neu) an einem Lehrgang der  Pflegeelternschule teilnehmen.

(4) Pflegeverhältnisse mit einem erweiterten Förderbedarf in Verbindung mit sog. Heilpädagogischer Vollzeitpflege (alt) werden innerhalb einer Frist von einem Jahr nach Maßgabe des Hilfeplanes entweder in die Vollzeitpflege oder in die Vollzeitpflege mit erweitertem Förderbedarf (neu) überführt. Grundlage bildet die gutachterliche Stellungnahme eines fachdiagnostischen Dienstes des Bezirks gemäß den Standards für Diagnostik und Indikation (s. Anlage 1).

(5)Pflegeverhältnisse ohne erweiterten Förderbedarf in Verbindung mit sog. Großpflegestellen(alt) sind nach Maßgabe der Hilfeplanung, längstens innerhalb eines Jahres zu beenden oder umzuwandeln. Dabei hat die Wahrung von Beziehungskontinuität zum Wohl des Pflegekindes Vorrang.

(6) Pflegeverhältnisse ohne erweiterten Förderbedarf in Verbindung mit sog. Kurzpflegestellen (alt) sind im Rahmen der Hilfeplanung zu beenden oder in geeignete Formen der Vollzeitpflege bzw. in andere Hilfen zu überführen.

(7) Heilpädagogische Tagespflege (alt nach § 32 Satz 2 SGB VIII) ist keine Leistung der Hilfe zur Erziehung. Sie ist mit der Überprüfung des Hilfeplans in die Tagespflege nach § 23 SGB VIII (i.V. mit § 17 Abs. 1 Nr. 3 KitaG) zu überführen. Dem behinderungsbedingten besonderen individuellen Betreuungsbedarf wird durch Gewährung eines erhöhten Erziehungsgeldes Rechnung getragen. Näheres regelt die neue Ausführungsvorschrift zu laufenden Leistungen zum Unterhalt und zur Erziehung in Tagespflege (AV - UE Tagespflege, § 23 SGB VIII i.V.m. § 17 KitaG)

15. Heranziehung zu den Kosten der Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege

Die Heranziehung zu den Kosten bestimmt sich nach den maßgeblichen . Regelungen des SGB VIII i.V. m. dazu erlassenen Ausführungsvorschriften in der jeweils geltenden Fassung.

16. Inkrafttreten

Diese Ausführungsvorschriften treten am ... 2003 zeitgleich mit den Ausführungsvorschriften über laufende Leistungen  zum Unterhalt und zur Erziehung in Vollzeitpflege (AV - UE Vollzeitpflege) in Kraft. Sie ersetzen die Ausführungsvorschriften über die Unterbringung von Minderjährigen in Pflegestellen (Pflegekindervorschriften AV-PKV) vom 13. November 1984 (DBI. IV S. 101). 

 

 

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