FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Diskussion / Jahrgang 2003

 

Stellungnahmen von PDS und Bündnis 90 / Die Grünen zu den Berliner Ausführungsvorschriften für Pflegekinder

 

Vorbemerkung: Auf den nachfolgend veröffentlichten Brief von Christine und Frank Freundt (Pflegeeltern von der AGSP) vom 15. Mai 2003 reagierten die Parteien PDS und Bündnis 90 die Grünen mit je einem Antwortschreiben. Anschließend folgt die Rede der Abgeordneten Ramona Pop (Grüne), vorgetragen am 10. April 2003 auf der 29. Plenumssitzung im Abgeordnetenhaus.
C.M. (Juni 2003)

 

Sehr geehrte ..

Vor kurzem ist uns vom Jugendamt Treptow-Köpenick von Berlin die bevorstehende Änderung im Pflegekinderbereich schriftlich mitgeteilt worden. Im Sinne unserer heilpädagogischen Vollzeitpflegekinder und für alle weiteren Pflegekinder haben wir maßgebliche Bedenken über die Einführung der Ausführungsvorschriften, da wir für den Heilungsprozess unserer Kinder erhebliche Nachteile erkennen.

Schon die Häufigkeit der Überprüfung des erweiterten Förderbedarfs ist untauglich, da die Kinder im Gegensatz zu anderen Kindern viel öfter zu Ärzten, Therapeuten und Psychologen müssen. Es ist entwürdigend, Jahr für Jahr dann noch getestet zu werden, ob Ihnen der Bedarf noch zusteht. Des weiteren zeigt die Erfahrung, dass sich Symptome kurzzeitig bessern und kurze Zeit später in gleicher Intensität wieder auftreten. Die Mehrzahl der notwendigen Heilungsbesuche bedarf außerdem auch noch eines erheblichen Zeitaufwands für Pflegeeltern, die auch noch mit erheblichen Kosten belastet werden. Ohnehin nehmen wir schon an einer regelmäßigen Fortbildung teil, damit wir intensive Unterstützung an unseren Kindern leisten können. Nur so ist es möglich, dass die Kinder in unserer Familie ihre traumatischen Erfahrungen bewältigen und neue Eltern-Kind-Beziehungen entwickeln können. Eine erfolgreiche Arbeit ist nicht mehr möglich, wenn den Eltern eine zusätzliche Berufstätigkeit von max. 15 - 20 Stunden aufgelastet werden soll.

Unseren Erfahrungen nach ist es auch nicht vorteilhaft, den Kindern prinzipiell den Kontakt zu den Herkunftseltern aufzunötigen. Jene verkraften alte Erfahrungen, an die sie sich dann erinnern werden, sehr schlecht und fallen in ihrer Entwicklung massiv zurück.

Unsere Pflegekinder, die nach den § 35a SGB VIII und § 39 BSHG anspruchberechtigt sind, werden somit extrem ungleich behandelt gegenüber betreuenden Institutionen wie Heimen, die den erweiterten Förderbedarf zugesichert bekommen, der ihnen in der Pflegefamilie aber verweigert wird.

Wenn die Ausführungsvorschriften festgeschrieben werden sollten, kündigen wir heute schon Widerstand an, da durch die beabsichtigte Verletzung unserer ohnehin rückständigen sozialen Bestände unsere Pflegestelle dann wirtschaftlich nicht mehr zu finanzieren sein wird.

Mit freundlichen Grüßen

Christine und Frank Freundt

----------

Antwortbrief der PDS

Sehr geehrte Familie Freundt,

Ich danke Ihnen für Ihr Schreiben vom 18. April 2003, in dem Sie mir Ihre Besorgnis angesichts der angekündigten Entwicklungen im Pflegekinderwesen in Berlin mitteilten.

SPD und PDS haben sich in der Koalitionsvereinbarung darauf verständigt, die Situation der Pflegefamilien durch eine flächendeckende Verbesserung von Betreuung und Hilfsangeboten zu verbessern und mittelfristig auch die Entlohnung der Pflegefamilien zu erhöhen. Die Senatsjugendverwaltung ist in diesem Sinne gemeinsam mit den Bezirken und den freien Trägern, unter Einbeziehung des Landesjugendhilfeausschusses, tätig geworden. Der Entwurf der seit langem geforderten Ausführungsvorschriften über die Vollzeitpflege ist ein erstes Ergebnis dieser gemeinsamen Arbeit.

Am 20.03.2003 hat sich der zuständige Ausschuss für Jugend, Familie, Schule und Sport im Berliner Abgeordnetenhaus mit der Thematik des Pflegekinderwesens befasst. Senator Böger hat ausdrücklich erklärt, dass es sich bei den gegenwärtig diskutierten Ausführungsvorschriften um einen Arbeitsentwurf handele, dessen Bearbeitung keinesfalls abgeschlossen sei. Der Ausschuss hat den Senat aufgefordert, bis zum 30.09.2003 einen Bericht über seine Aktivitäten zur Entwicklung des Pflegekinderwesens in Berlin vorzulegen.

Die mir bisher zum Entwurf der Ausführungsvorschriften vorliegenden Stellungnahmen von Pflegeeltern, Elterninitiativen und auch des Arbeitskreises zur Forderung von Pflegekindern e.V. enthalten neben positiver Bewertung auch etliche Kritikpunkte, die mit Ihren Bedenken übereinstimmen. Ich bin sicher, dass die mit der Ausarbeitung der Ausführungsvorschriften befassten Stellen diese Hinweise beachten werden.

Sehr geehrte Familie Freundt, ich kann Ihnen mitteilen, dass die PDS-Fraktion eine bedarfsgerechte Entwicklung des Pflegekinderwesens in Berlin unterstützt. Uns geht es vor allem darum, Kindern, die außerhalb ihrer eigenen Familien aufwachsen, beste Bedingungen zu garantieren. In diesem Zusammenhang möchte ich meine Wertschätzung zum Ausdruck bringen für das, was Sie als Pflegeeltern an Engagement, Zeit und Kraft aufbringen, um für die Kinder gute Entwicklungsmöglichkeiten zu schaffen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Margit Barth

----------

Antwortbrief Bündnis 90 / Die Grünen

Sehr geehrte Frau Freundt, sehr geehrter Herr Freundt,

vielen Dank für Ihren Brief zu der geplanten Änderung im Pflegekinderbereich. Die Senatsverwaltung für Jugend plant neue Vorschriften, die einerseits Verbesserungen beinhalten, aber andererseits die Pflegefamilien von Kindern mit einem heilpädagogischen Pflegebedarf schlechter stellen wird. Im Folgenden möchte ich Ihnen die Position unserer Fraktion darstellen.

Die Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen setzt sich schon lange für eine Verbesserung der Situation von Pflegefamilien in Berlin ein. Wir wollen, dass Pflegefamilien sowohl finanziell unterstützt werden, wir wollen aber auch die Unterstützung und Beratung von Pflegefamilien intensivieren.

In der aktuellen politischen Debatte um die Kurzungen im Bereich der Hilfen zur Erziehung haben wir eine Möglichkeit gesehen, unsere Forderungen nach einer Verbesserung der Situation von Pflegefamilien, zu realisieren. Dass die Unterbringung in Pflegefamilien für die Kinder positiv ist, ist völlig klar. Die Unterbringung in Pflegefamilien ist aber auch günstiger als Heimunterbringung für die Bezirke. Daher dachten wir alle Argumente, sowohl fachliche, wie auch finanzielle, auf unserer Seite zu haben.

Der Senat plant zwar, mehr Kinder in Pflegefamilien unterzubringen, will dies aber ohne Mehraufwand finanzieren. Das bedeutet, dass weniger Geld für mehr Pflegefamilien reichen muss. Diese Rechnung kann nicht aufgehen, deshalb haben wir den Senat aufgefordert nachzubessern.

Meine Rede aus dem Plenum des Abgeordnetenhauses zu der Situation des Pflegekinderwesens lege ich als Anlage diesem Brief bei.

Mit grünen Grüßen

Ramona Pop

----------

Rede der Abgeordneten Pop vom 10. April 2003

Ich war schon erstaunt, als im Ausschuss die Kollegin Müller von der SPD keinen Bedarf für eine Erhöhung der Anzahl der Pflegefamilien gesehen hat und auch keine Notwendigkeit für die Verbesserung der jetzigen Situation von Pflegefamilien.

Frau Müller, ich möchte Sie an Ihren Koalitionsvertrag erinnern, in dem Sie als Ziel formulieren, mindestens 80 % der Kinder unter 4 Jahren nicht mehr im Heim, sondern in Pflegefamilien unterzubringen. Ich dachte, das ist Konsens zwischen den Fraktionen hier im Haus, und bin über Ihre ablehnende Haltung sehr erstaunt. Die Anzahl der Heimunterbringungen und die der Pflegekinder sinkt. Hier besteht Handlungsbedarf, und zwar nicht nur quantitativ mit einem Ausbau der Unterbringung in Pflegefamilien, sondern auch qualitativ. Quantitativ bedeutet für uns, dass die Qualifizierung und Unterstützung der Pflegefamilien ausgebaut werden muss, mehr Beratungs- und Unterstützungsangebote bereitstehen müssen. Diese beiden Aspekte gehören zusammen!

Es ist nicht nur für die Kinder sinnvoller, in Familien anstatt in Heimen untergebracht zu werden, sondern es ist auch finanzpolitisch sinnvoll. Die Stellen, an denen es hakt, sind schon seit Jahren bekannt, bereits 1999 wurden die Knackpunkte in einem Bericht festgehalten. Diese sind:

- die Höhe des Erziehungsgeldes,

- die Notwendigkeit, die Aufgaben der Pflegekinderdienste wie Beratung und Begleitung der Eltern an freie Träger zu übertragen,

- eine Informationskampagne, um mehr Pflegeeltern zu gewinnen.

Wir sagen dazu: Die Zielgruppe kann dabei nicht allein die klassische Familie sein, sondern dazu gehören auch Lebensgemeinschaften oder gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften - gerade in Berlin.

In Sachen Erziehungsgeld hat sich einiges bewegt: Endlich erhalten Pflegeeltern auch ein Mehr an finanzieller Unterstützung ihrer Arbeit. In den anderen beiden Bereichen hat sich nicht viel getan. Einzelne engagierte Bezirke wie beispielsweise Spandau haben konsequent ihre Aufgaben an freie Träger übertragen und sind damit Vorreiter. Das ist genau die Richtung, in die es gehen soll und die der Senat unterstützen muss.

Der Senat plant eine Neustrukturierung der Pflege in Familien. Das ist ein richtiger Schritt, wenn man sich die Defizite, die ich erwähnt habe, anschaut. Allerdings stecken Sie in dem Dilemma, dass Sie dies alles kostenneutral machen müssen. Das bedeutet im Klartext: Wenn Sie zukünftig mehr Geld für die Qualifizierung ausgeben und dazu noch eine höhere Anzahl an Pflegeeltern gewinnen wollen, müssen Sie an anderer Stelle bei der Förderung von Pflegefamilien einsparen.

Ein gutes Modell wäre, die Einsparungen, die entstehen, weil Kinder mehr in Pflegefamilien und weniger in Heimen untergebracht werden, für Verbesserungen einzusetzen. Das wäre ein echter Anreiz für die Bezirke, für Pflegeelternschaften zu werben und Kinder in Familien unterzubringen. Sie sparen aber an der falschen Stelle! Sie sparen direkt bei den Pflegefamilien, und zwar bei den Kindern mit erhöhtem Pflegebedarf, und das kann nicht gut gehen. An dieser Stelle erwarten wir Nachbesserungen.

Sie können nicht einerseits die Anzahl der Pflegefamilien erhöhen wollen und zeitgleich Geld sparen. Das ist rechnerisch schlicht unmöglich! Wir sagen deshalb: Nehmen Sie die freien Träger mit ins Boot! Unterstützen Sie bereits existierende Pflegefamilien, und werben Sie für neue Pflegeeltern! Das ist Ihre Aufgabe. Das wird nicht kostenneutral gehen, sich aber langfristig lohnen, sowohl jugendpolitisch als auch finanziell.

s.a. AV-Entwurf vom 22.10.2002
s.a.
AV-Entwurf (Feb. 2003)
s.a.
AV-Entwurf vom 27. Feb. 2003

 

 

[AGSP] [Aufgaben / Mitarbeiter] [Aktivitäten] [Veröffentlichungen] [Suchhilfen] [FORUM] [Magazin] [JG 2011 +] [JG 2010] [JG 2009] [JG 2008] [JG 2007] [JG 2006] [JG 2005] [JG 2004] [JG 2003] [JG 2002] [JG 2001] [JG 2000] [Sachgebiete] [Intern] [Buchbestellung] [Kontakte] [Impressum]

[Haftungsausschluss]

[Buchempfehlungen] [zu den Jahrgängen]

Google
  Web www.agsp.de   

 

 

 

 

 

simyo - Einfach mobil telefonieren!

 


 

Google
Web www.agsp.de

 

Anzeigen

 

 

 

 


www.ink-paradies.de  -  Einfach preiswert drucken