FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Diskussion / Jahrgang 2003

 

Hilfeplanung – nicht ohne uns

von Christoph Malter (Okt. 2003)

 

Vorbemerkung: Der folgende, kritische Vortrag wurde am 24. September 2003 im Rahmen des Programms der DPWV-Fachtagung ‚Hilfeplanung – Nicht ohne uns’ in Rendsburg gehalten. Er fand viel Zustimmung bei den Sozialpraktikern, löste aber auch Empörung bei den Verantwortungsträgern aus. PFAD Schleswig Holstein kann für den 1. November 2004 einen eigenen Fachtag mit der Stiftung ‚Zum Wohl des Pflegekindes’ ankündigen, zu dem wir alle Interessierten recht herzlich einladen, in der Hoffnung, für die Belange von Pflege- und Adoptivkindern zu sensibilisieren.
Birgit Nabert

 

Liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer dieser Tagung,

Im Namen des PFAD bedanke ich mich bei den Veranstaltern und Frau Holthusen vom DPWV für die Einladung.

Hilfeplanung – nicht ohne uns – ist das zentrale Motto der Tagung und der vorangegangenen Vorträge. Ich werde in diesem Zusammenhang über Pflegekinder und Pflegefamilien berichten und die Erfahrungen aus dem PFAD Landesverband der Pflege- und Adoptivfamilien in Schleswig-Holstein e.V.

1. Am 31.12. 2000 waren in Schleswig-Holstein 2.442 Kinder in Pflegefamilien und 2.090 in Heimpflege untergebracht. Das sind zusammengenommen weniger als 1% aller in Schleswig-Holstein lebenden Kinder unter 21 Jahren.

Die meisten dieser Kinder sind wegen traumatischer Vernachlässigung, Misshandlung und Missbrauch in ihrer Bindungsfähigkeit beschädigt und deshalb nicht leicht in Pflegefamilien zu integrieren. Hinzu kommt, dass in den vergangenen Jahren das Einstiegsalter bei Maßnahmen der Fremdplatzierung gestiegen ist und mithin die belastenden Vorerfahrungen. Häufig ist die Fremderziehung nicht die erste Station in ihrer ‚Jugendhilfekarriere’. Die Hilfeplanung lässt an vielen Stellen zu wünschen übrig. Es mangelt an transparenten Konzepten und an Kontinuität. Dazu sage ich später noch etwas.

Im November 2001 bilanzierten wir unseren mit dem Kreisjugendamt Rendsburg landesweit durchgeführten Fachtag folgendermaßen:
„Entgegen der dem PFAD Landesverband aus mittlerweile 8 Landkreisen vorliegenden Stellungnahmen der Jugendhilfeausschüsse besteht in Schleswig-Holstein landesweit ein Bedarf an praktischer Unterstützung für Pflege- und Adoptiveltern, der von den vorhandenen Sozialdiensten nicht abgedeckt wird, und bei dem derzeitigen Personalschlüssel auch nicht abgedeckt werden kann. Darüber hinaus registrierten wir Ausbildungsdefizite in allen Disziplinen und oftmals fehlendes Verständnis für die besondere Situation von Pflege- und Adoptivkindern.“

Wen wundern da steigende Mitgliederzahlen in unserem Verband. In den vergangenen drei Jahren konnten wir die Anzahl unserer Mitglieder mehr als verdoppeln. Der Stellenabbau in den Behörden und die fortschreitende ‚Entspezialisierung’, bzw. Auflösung der Fachdienste stellt eine weitere Belastung für Pflegefamilien dar.

Pflegeeltern beklagen durchgängig, dass...

  • die Beratung nicht zeitnah genug ist.
  • die Beratung nicht in ausreichendem Umfang sichergestellt ist.
  • fachliche Mängel in der Beratung des Jugendamtes bestehen (besonders unzureichende juristische und medizinische Kenntnisse)
  • praktische Hilfen, die dringend geboten wären, fehlen.

2. Die gravierendsten Mängel bei der Hilfeplanung will ich am Beispiel eines Kreises verdeutlichen:

- Fehlende Fachkompetenz führte immer wieder – besonders in Konfliktfällen – dazu, dass die existenziellen Grundbedürfnisse der Kinder  den strukturellen Verwaltungsinteressen untergeordnet wurden.

- Fragwürdige Entscheidungen des Jugendamtes werden oft damit gerechtfertigt, dass andere Abteilungen – als der fachzuständige Pflegekinderdienst – sich in Konfliktfällen rücksichtslos durchsetzen. Dies betrifft z.B. Entscheidungen des Allgemeinen Sozialdienstes, der  Hinweise auf Kindeswohlgefährdungen immer wieder  ignoriert oder bagatellisiert, statt Interventionen nach den standardisierten
Empfehlungen des Deutschen Städtetages – Ausschuss Soziales, Familie und Jugend, veröffentlicht in ‚Das Jugendamt 5/2003’ – einzuleiten. Dadurch  werden erheblich gefährdete Kinder einem enormen Risiko ausgesetzt. Das damit verbundene  strafrechtliche Risiko für die  Jugendamtsmitarbeiter  wird ausdrücklich in Kauf genommen!

Das Wohl der Pflegekinder wird oft sogar dann den Interessen der  leiblichen Eltern untergeordnet, wenn diese eindeutig entwicklungsgefährdende Ansprüche auf ihre Kinder geltend machen. Uns sind mehrere Fälle bekannt, bei denen existenzielle
Grundbedürfnisse ignoriert wurden, z.B. nach innerer und äußerer Sicherheit bei vorangegangener Traumatisierung, Kindesmisshandlung, Missbrauch oder extremer Vernachlässigung.

- Die Bewilligungspraxis von Hilfen und materiellen Aufwendungen an Pflegeltern ist ebenfalls unzureichend und an aufwändige, von Pflegeeltern oft als demütigend empfundene Einzelfallprüfungen gekoppelt. Insgesamt wird eine gerechte Struktur vermisst. Das jüngste bundesweite Beispiel hierzu ist der geplante
Wegfall des Kindergeldes und damit verbunden der Anspruch auf Baukindergeld, der Anspruch auf Kinderzulage bei der Riester-Rente, Ansprüche auf Ortszuschläge im Besoldungsrecht und die Berücksichtigungen von Kinder- und Betreuungsfreibeträgen und im Zusammenhang damit auch Vergünstigungen beim Solidaritätszuschlag und der Kirchensteuer. Die DPWV-Vorsitzende Barbara Stolterfoht schrieb am 10.September in „großer Sorge“ an Bundesfinanzminister Hans Eichel:
„Wenn sich jetzt aufgrund der neuen Rechtsprechung so einschneidende materielle Konsequenzen und problematische symbolische Botschaften (“Pflegekinder sind keine Familienkinder im steuerrechtlichen Sinne”) ergäben, so wäre dies fatal für die existierenden Pflegefamilien.“ 

- Nach Auffassung des PFAD bestehen Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit der unterschiedlichen Abteilungen innerhalb des Jugendamtes.
Meinungsverschiedenheiten werden auf Kosten der Kinder ausgetragen.

- Fast immer  fehlt vor Inpflegegabe eine gründliche  Diagnostik. Die Vorgeschichte der Kinder wird nicht ausreichend oder gar nicht berücksichtigt. Selbst wichtige und dem Jugendamt bekannte Informationen – z.B. über Krankheiten und die medizinische Versorgung der Kinder, vorangegangene Misshandlungen oder Gewalttätigkeit von Herkunftseltern – werden Pflegeeltern verschwiegen. Gerechtfertigt wird diese Desinformation mit nebulösen Hinweisen auf den Datenschutz, der je nach Interessenlage unterschiedlich ausgelegt wird.

- PFAD registriert nicht nur Betreuungsdefizite, verbunden mit einer in vielen Fällen dem Kindeswohl widersprechenden Grundhaltung. Uns ist auch bekannt, dass namhafte Einrichtungen, wie z.B. die örtliche Kinder- und Jugendpsychiatrie oder HzE-Einrichtungen (Hilfe zur Erziehung) aus dem Umland deshalb nicht mehr mit diesem Jugendamt zusammenarbeiten.

- Unabhängig von Vorgeschichte und Prüfung des Einzelfalls werden Umgangskontakte und Rückführungsgesuche prinzipiell und auch in den Fällen forciert, wo dies dem Kindeswohl nachweislich widerspricht.

- Kompetenzüberschreitend zweifelte das  JA des öfteren medizinische Stellungnahmen an und verunsicherte damit die Pflegeeltern.

- Die
Vermittlungspraxis für schwer traumatisierte Kinder ist zu oberflächlich. Pflegeeltern werden nur unzureichend auf das Zusammenleben mit einem Pflegekind vorbereit und kontinuierliche Fortbildungen an einer landesweiten Pflegeelternschule, wie sie sich in anderen Bundesländern bewährt hat, fehlen.

- Die Hilfeplanung orientiert sich nach Aussage des Kieler Amtsleiters nicht am Kindeswohl, sondern am Elternrecht – ein peinliches Eingeständnis rechtlicher Inkompetenz . Der
Verfassungsgrundsatz “Kindeswohl vor Elternrecht” sollte auch in Kiel gelten!

- Die Bereitschaft,  sich auf einen Einzelfall einzulassen, ist oft nicht gegeben. In Gerichtsverfahren z.B. erscheint in der Regel ein Mitarbeiter ohne Kenntnis  der Sachlage und des Kindes, um das verhandelt wird.

- Mehrfach wurde dem PFAD die Begleitung von Pflegefamilien als Beistand gemäß § 13 SGB X verweigert.

Unsere Vorsitzende – Frau Nabert – hat wiederholt Gespräche mit diesem Jugendamt auf Sachbearbeiter- und Vorgesetztenebene geführt. Wir hoffen sehr darauf, dass unsere Kritik  ernst genommen wird und Einfluss auf die zukünftige Gestaltung von Hilfeplanverfahren hat.

3. Ziel muss eine bessere Versorgung und Betreuung der  Pflegefamilien sein.

Dass gut betreute Pflegefamilien erfolgreicher arbeiten und die Kinder direkt davon profitieren, haben wir in einem Berliner Modellprojekt empirisch belegt.

Da Pflegefamilien sehr kostengünstig sind, sollten sie so behandelt werden, dass potentielle Bewerber nicht abgeschreckt werden. Anhand der amtlichen Daten zur Jugendhilfestatistik konnten wir empirisch belegen, dass die Vernachlässigung des Pflegekinderwesens und fehlende konzeptionelle Kontinuität den Steuerzahler teuer zu stehen kommen. Das betrifft viele Kommunen und ist ein bundesweit zu registrierender Trend. Weitere Ausführungen hierzu würden den Rahmen dieser Veranstaltung sprengen. Informationen können im Anschluss zur Verfügung gestellt werden.

PFAD möchte eine verbesserte und verantwortungsvollere Vermittlungspraxis anregen. Eine jugendamtsunabhängige Pflegeelternbewerbervorbereitung sowie die kontinuierliche Pflegeelternberatung und -fortbildung wären ein wichtiger Meilenstein für das Pflegekinderwesen in diesem Bundesland. Hierzu werden wir Vorschläge erarbeiten und vortragen.

Ebenso wäre  ein zeit- und zielgerichtetes Interventionskonzept erforderlich, um ‚Permanency Planning’, also die Sicherung der Dauerhaftigkeit der Lebensbedingungen für die Kinder zu gewährleisten. Dieses Recht wurde in der – auch von Deutschland ratifizierten – UN-Kinderrechtskonvention verbrieft.

Dies sind nur einige Anregungen. Sehr hilfreich wäre auch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Jugendbehörden und einschlägig engagierten Vereinen. Dazu wird Ihnen Frau Jakobi von der Initiative für Kinder mit Förderbedarf jetzt mehr berichten.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.

 

 

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