FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Nachrichten / Jahrgang 2002

 

Verbleiben der 8-jährigen Pflegetochter in der Pflegefamilie und Fortdauer des Sorgerechtsentzugs der Mutter trotz wiedergewonnener Erziehungsfähigkeit

Oberlandesgericht Frankfurt, Beschluss vom 28.02.2002 – 5 UF 133/01

 

Vorbemerkung: Das von Doukkani-Bördner referierte hochrichterliche Urteil ist in mehrfacher Hinsicht von besonderer Bedeutung:

  • die Unsicherheit in der erstinstanzlichen Rechtsprechung der vergangenen Jahre, insbesondere die zunehmende Überbetonung des Elternrechts, wird hier in eindeutiger Weise zugunsten des Kindeswohls in ihre Schranken zurückverwiesen.
  • es ist eine hochwillkommene Argumentationshilfe für alle die Pflegeeltern, welche Überzeugungsarbeit bei ihren zuständigen Sachbearbeitern dann leisten müssen, wenn diese dazu geneigt sind, vorschnell den Ansprüchen leiblicher Eltern nachzugeben.
  • Sozialarbeitern der Jugendämter wird ebenfalls eine Argumentationshilfe gegenüber solchen Richtern an die Hand gegeben, die sich in den vergangenen Jahren für eine Überbetonung des Elternrechtes aussprachen (s. Das Kindeswohl auf dem Altar des Elternrechts)

C.M. (Sept. 2002)


Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt orientiert sich in eindeutiger Weise am Wohl des betroffenen Pflegekindes und ist deshalb richtungsweisend für ähnlich gelagerte Fälle im Spannungsfeld von Elternrecht und Kindeswohl. Bereits während des Verfahrens hat das Oberlandesgericht die sehr belastende Situation für das Kind erkannt und dies in bemerkenswert sensibler Weise berücksichtigt.

Der Beschluss hat die Lebenswirklichkeit der Pflegefamilie einbezogen, die Auswirkungen der gerichtlichen Entscheidung praxisnah prognostiziert und entsprechend umgesetzt.

Sachverhalt:

Im Sommer 1998 wurde das damals 4-jährige Mädchen Maria wegen der Drogenabhängigkeit der Mutter nach einem kurzen Heimaufenthalt bei den Pflegeeltern untergebracht. Der Vater des Mädchens war bereits seit geraumer Zeit wegen eines Tötungsdeliktes inhaftiert. Nach zwei Jahren war die Kindesmutter wieder drogenfrei, hatte erfolgreich ein Methadonprogramm absolviert und sich in ihrer Lebensführung stabilisiert. Sie beantragte im Jahr 2000 die Rückübertragung des Sorgerechts für ihre Tochter Maria und deren behinderten Bruder, der in einem Heim untergebracht war. Maria hatte in der Zwischenzeit zu ihren Pflegeeltern eine herzliche Beziehung aufgebaut und den größten Teil ihres bewussten Lebens im Haushalt der Pflegeeltern verbracht. Das Mädchen hat deshalb in mehreren Anhörungen sowie gegenüber der Sachverständigen den nachvollziehbaren Wunsch geäußert, weiterhin bei seinen Pflegeeltern wohnen bleiben zu dürfen und seine Mutter nur zu besuchen. Die Pflegeeltern hatten Maria sehr gut gefördert und trotz der laufenden Gerichtsverfahren ihre Beziehung zur leiblichen Mutter gut unterstützt. Es fanden während dieser Zeit 14-tätig Besuchskontakte, teilweise sogar mit Übernachtung statt. Im erstinstanzlichen Verfahren stellte die Sachverständige fest, dass Maria mittlerweile eine gute emotionale Beziehung zu ihrer Mutter entwickelt hatte, die für sie neben den Pflegeeltern eine Hauptbezugsperson darstellte. Weiter war die Sachverständige aber der Meinung, dass das Mädchen ihren Halt in der Pflegefamilie gefunden hätte und erst aus dieser sicheren Position heraus die Beziehung zu ihrer leiblichen Mutter leben könnte. Deshalb bringe ein Wechsel zur leiblichen Mutter und die Trennung von den Pflegeeltern für Maria die Gefahr einer nachhaltigen und erhebliche Schädigung ihres seelischen Wohls mit sich. Aufgrund der Ausführungen der Sachverständigen und der gerichtlichen Anhörungen kam das Familiengericht zu dem Ergebnis, dass die Entziehung des Sorgerechts für Maria aufrechterhalten bleiben müsse. Gegen diese Entscheidung hatte die Kindesmutter Beschwerde beim Oberlandesgericht Frankfurt eingelegt.

Schwerpunkte:

Das Oberlandesgericht Frankfurt hat die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts bestätigt und in der Begründung folgende Schwerpunkte gesetzt:

  • Es muss bei einem Sorgerechtsentzug gemäß § 1666 BGB auch bei wiedergewonnener Erziehungsfähigkeit der Mutter bleiben, wenn die Aufhebung des Sorgerechtentzugs die derzeit stabile Entwicklung des Kindes gefährden würde, weil damit die Unterbrechung der Bindungen zu den Pflegeeltern einhergehen müsste.
  • Der nachvollziehbare Wunsch des Kindes, weiterhin bei seinen Pflegeeltern wohnen bleiben zu dürfen, ist beachtlich, wenn er mit den von der psychologischen Sachverständigen gewonnenen Befunden übereinstimmt, die zur Absicherung der Stabilität der Entwicklung des Kindes den Verbleib bei den Pflegeeltern für notwendig hält.
  • Eine Verbleibensanordnung erscheint nicht ausreichend, um das Wohl des Kindes nachhaltig genug zu sichern, weil ein Rückübertragung des Sorgerechts auf die Mutter die Machtverhältnisse zugunsten des Begehrens der Mutter, das Kind zu sich nach Hause zu holen, verändern würde, und erhebliche Auseinandersetzungen mit negativen Ausstrahlungen auf das Wohl des Kindes zu befürchten wären.

Aus den Entscheidungsgründen:

„Der Sorgerechtsentzug kann derzeit allerdings nicht mehr mit dem Schutzbedürfnis des Kindes wegen der Drogenabhängigkeit der Mutter gerechtfertigt werden. Wie die vorgelegten ärztlichen Atteste genügend deutlich machen, hat die Mutter ihre Abhängigkeit überwunden und lebt drogenfrei. Sie hat ihre Erziehungsfähigkeit in beeindruckender Weise wieder gewonnen. Der Senat hat die ärztlichen Feststellungen zum Gesundheitszustand der Mutter und die Beurteilung durch die psychologische Sachverständige in dem erstinstanzlich eingeholten unter dem 20.01.01 erstatteten psychologischen Gutachten (Bl. 92 ff. GA) gut nachvollziehen können. Danach hat sich die Kindesmutter emotional und in der Lebensbewältigung gefestigt und hat ein gutes, ausbaufähiges Verhältnis zu dem Kind wiederherstellen können. Der Verfahrenspfleger hat bei einem Hausbesuch ähnlich positive Feststellungen gemacht und darüber zu den Akten unter dem 15.10.2001 (Bl. 303 GA) und in der Anhörung vor dem beauftragten Richter des Senats berichtet. Das Jugendamt hat in mehreren ausführlichen Berichten die positive Entwicklung der Mutter bestätigt. Allerdings kann nicht übersehen werden, dass das Kind seit 1998 bei der Pflegefamilie N. untergebracht ist und zu seinen Pflegeeltern eine herzliche Beziehung aufgebaut hat. Damit das Kind den größten Teil seines bewussten Lebens im Haushalt der Pflegeeltern verbracht. Es hat - auch wenn es zu seiner Mutter ebenfalls eine herzliche Beziehung unterhält - den nachvollziehbaren Wunsch, weiterhin bei seinen Pflegeeltern wohnen bleiben zu dürfen, wo es sehr gut gefördert und in seiner Beziehung zur leiblichen Mutter gut unterstützt wird. Die psychologische Sachverständige hat den Wunsch des Kindes als mit den gewonnenen Befunden stimmig (S. 46 des Gutachtens, Bl.140 GA) bezeichnet und sich zur Absicherung der Stabilität seiner Entwicklung für einen Verbleib des Kindes bei seinen Pflegeeltern ausgesprochen. Hier liegt der Schwerpunkt der Wertung, die nach Meinung des Senats  vom Amtsgericht richtig vorgenommen wurde: Die Aufhebung des Sorgerechtsentzugs würde die derzeit stabile Entwicklung des Kindes gefährden, weil er mit der Unterbrechung der Bindungen zu den Pflegeeltern einhergehen müsste. Nachdem das Kind in früher Kindheit unter schwierigen Verhältnissen zunächst mit von der Großmutter und nach deren Erkrankung von den Pflegeeltern betreut werden musste, würde die gerade gewonnene Sicherheit erneut gefährdet. Dabei ist nicht nur die schmerzliche Beschädigung des Verhältnisses zu den Pflegeeltern zu besorgen, sondern auch in das Kalkül einzubeziehen, dass der Vater, zu dem die Mutter trotz dessen Strafhaft wegen eines Tötungsdeliktes weiterhin steht, in nicht allzu langer Zeit aus der Strafhaft entlassen und vermutlich in den Haushalt der Mutter zurückkehren wird. Zu ihrem Vater hat das Kind naturgemäß keine engere Beziehung aufbauen oder unterhalten können. Die voraussichtlichen Belastungen sind als erheblich einzustufen. Es wird sich, wie auch das psychologische Gutachten hervorhebt, erweisen müssen, wie die Mutter die dann aufkommenden Probleme bewältigen kann (S. 45, 46 des Gutachtens). Es erscheint daher mehr als verfrüht, die Schutzmaßnahmen für das Kind aufzuheben. In solchen Fällen muss das Elternrecht zurückstehen, selbst wenn die volle Erziehungsfähigkeit wieder gewonnen worden ist. (Siehe die Rechtsprechungsübersicht in dem angefochtenen Beschluss). Die Sachverständige hat dazu folgende, vom Senat nachvollzogene Auffassung vertreten:

„Ein Wechsel zur Mutter könnte unter den derzeitigen Umständen die Gefahr einer nachhaltigen und erheblichen Schädigung des seelischen Wohles des Kindes zur Folge haben“. Eine Verbleibensanordnung unter gleichzeitiger Rückübertragung der elterlichen Sorge würde die derzeit angespannte, im Grundsatz aber konstruktive Beziehung zwischen den Pflegeeltern und der Mutter nach Meinung des Senats eher ungünstig mit negativen Auswirkungen für das seelische Gleichgewicht des Kindes belasten. Die Mutter bemüht sich zwar ersichtlich, sich und ihre Bedürfnisse zurückzunehmen; gleichwohl ist unterschwellig bis offensichtlich eine Rivalität um die Gunst des Kindes zwischen der Mutter und den Pflegeeltern festzustellen (S. 47 des Gutachtens), die der Berichterstatter des Senats bei der Anhörung nachvollziehen konnte und die dem Verfahrenspfleger und den Mitarbeitern des Jugendamtes ebenfalls deutlich geworden ist. Durch die Rückübertragung des Sorgerechts auf die Mutter würde die rechtliche Gestaltung der Beziehungen daher enorm erschwert, weil sich die Machtverhältnisse zugunsten des Begehrens der Mutter, das Kind schon jetzt zu sich nach Hause zu holen, verändern würden. Erhebliche Auseinandersetzungen mit negativen Ausstrahlungen auf das Wohl des Kindes wären zu befürchten. Dem muss vorgebeugt werden.“

Mitgeteilt und kommentiert von
Rechtsanwältin
Astrid Doukkani-Bördner
Forsthausweg 25, 63263 Neu-Isenburg
Tel. 0 69 / 69 36 62, Fax: 69 59 29 45

veröffentlicht in PFAD 3/2002

 

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