FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Rezension / Jahrgang 2006

 



Stiftung zum Wohl des Pflegekindes (Hrsg.)

Bindung und Trauma – Konsequenzen
in der Arbeit für Pflegekinder

Tagungsdokumentation der 16. Jahrestagung
in Magdeburg

Schulz-Kirchner Verlag, 2006

(103 Seiten, 9.90 Euro)


Der vorliegende Band enthält die vier Referate anlässlich der 16. Jahrestagung der Stiftung zum Wohl des Pflegekindes in Magdeburg. Im Vorwort von Gisela Zenz und Ludwig Salgo wird als wichtigstes Motiv die Erweiterung und Vertiefung „...notwendigen Grundlagenwissens...., vor allem aber, [..] dieses Wissen noch stärker auf die Interventionsebenen zu beziehen...“ genannt. Konkret: „Grundlagen der Bindungs- und Traumaforschung sollen auf die Handlungsebene der Begutachtung und der Therapie einerseits und der behördlichen und justiziellen Entscheidungssituationen andererseits bezogen werden.“ (S.11)

Der erste Referent, Karl-Heinz Brisch (Kinder- und Jugendpsychiater), ist auf dieser Internetseite schon ausführlich vorgestellt worden (Bindungsstörungen; Bindung und seelische Entwicklungswege; Bindung und Trauma; Kinder ohne Bindung; Der Einfluss von traumatischen Erfahrungen...; Zum Verhältnis zwischen Bindungstheorie und Systemtheorie). Lore Maria Peschel-Gutzeit (Justizsenatorin a.D.) gehört zu den einflussreichsten Mitgestalterinnen der rechtspolitischen Entwicklung im Kindschaftsrecht. Christine Köckeritz (Psychologin) war Leiterin eines Jugendamtes und ist Professorin für Sozialpädagogik in Esslingen. Im vergangenen Jahr leitete sie den 1. Arbeitskreis „Das Kind in der Pflegefamilie“ während des 16. Deutschen Familiengerichtstages in Brühl. Das besonders für Pflegeeltern sehr lesenswerte Abschlussreferat des Gerichtsgutachters Oliver Hardenberg wurde bereits vorab in unserem FORUM veröffentlicht. Gleich drei der vier Referenten sind Erstunterzeichner der Holzmindener Kinderschutzforderungen.

Zunächst die Themen:

  • Bindung und Trauma – Schutz und Risikofaktoren für die Entwicklung von Kindern (Brisch)
  • Konsequenzen für die Justiz – Überlegungen zur rechtlichen Ausgestaltung der Pflegekindschaft (Peschel-Gutzeit)
  • Konsequenzen für die Jugendhilfe – Vollzeitpflege zwischen Ideologie und Realität (Köckeritz)
  • Konsequenzen für die Pflegeeltern – Übertragung traumatischer Bindungs- und Beziehungserfahrungen in die Pflegefamilie (Hardenberg)

Karl Heinz Brisch gibt eine Einführung und erläutert die Bindungstheorie, um dann die wesentlichen Aspekte in den Kontext von Pflegekindschaft und Adoption zu stellen. Er gelangt zu folgendem Ausblick:
“Die Bindungstheorie ist sehr gut geeignet, um den Aufbau von gesunden Bindungsbeziehungen zu erklären und zu beschreiben. Gleichzeitig kann aber auch die Entwicklung von Bindungsstörungen diagnostiziert und als Folge von traumatischen Erfahrungen in Bindungsbeziehungen, wie etwa mit leiblichen Eltern, erklärt werden.
     Die Traumatisierung eines Kindes durch Bindungspersonen bedeutet immer eine Gefährdung des Kindeswohls, so dass die Herausnahme eines Kindes aus einem solchen Lebenskontext und seine Versorgung durch Pflege- und Adoptiveltern immer eine Maßnahme zum Schutz des Kindes darstellt, die ihm, entsprechend der Bindungstheorie, in der Regel neue äußere sowie emotionale Sicherheit gibt. Es wäre wünschenswert, dass es für alle Beteiligten - einschließlich der Familienrichter und Familienrichterinnen - zur verbindlichen theoretischen Richtschnur würde, alle Maßnahmen im Kontext von Inobhutnahme, Pflege und Adoption sowie Besuchskontakte, Rückführung und Psychotherapie des Kindes eindeutig unter bindungsdynamischen Gesichtspunkten zu sehen und durchzuführen; eine solche Richtschnur könnte, auf dem Boden fundierter entwicklungspsychologischer Forschung, für alle Maßnahmen und Entscheidungen zum Wohle des Kindes eine eindeutige Orientierung sein.
In diesem Beitrag wurde das Entwicklungsrecht des Kindes auf eine sichere emotionale Bindung und damit auf eine gesunde körperliche und emotionale Entwicklung dann höher bewertet als das Recht der leiblichen Eltern auf Kontakt mit ihrem Kind, wenn die Wahrnehmung dieses Elternrechts der Entwicklung des Kindes schadet. Kinder als die eindeutig Schwächsten haben ein primäres und übergeordnetes Recht auf Schutz sowie auf einen „sicheren emotionalen Hafen" durch Bindungspersonen, damit sie sich gesund entwickeln können.“ (S.33f.)

Lore Maria Peschel-Gutzeit beschreibt die jüngste historische Entwicklung auf der Gesetzesebene und erläutert die Auswirkungen:
„Viel ist geschehen in den letzten 25 Jahren. Juristen haben gelernt, Kinder und deren Bedürfnisse wahrzunehmen. Sie bemühen sich nach Kräften, darauf Rücksicht zu nehmen. Anders als die Naturwissenschaften, anders als die Geisteswissenschaften muss die Justiz aber auch die Rechte der anderen Beteiligten sehen und berücksichtigen. Vor allem Grundrechtspositionen müssen erkannt und die Grundrechte aller Betroffenen müssen gewahrt werden. Dies kann manchmal schlimmer, ja aussichtsloser sein als die Quadratur des Kreises. Der Fall Görgülü zeigt dies mit Deutlichkeit. Dennoch muss auf diesem Weg fortgeschritten werden und es ist Sache der Betroffenen, den Gerichten immer wieder entsprechende Entscheidungen abzuverlangen. Denn nur so kann sich eine kindeswohlzentrierte Rechtsprechung herausbilden, sie kann sich festigen oder wenn nötig eben auch nur so ändern.“ (S. 65)

Der Beitrag von Christine Köckeritz ist eine kritische Auseinandersetzung über das fachliche Handeln in den sozialen Diensten. Für die Ausgestaltung von Pflegeverhältnissen fordert sie:
- eine klare Perspektive
- keine Rückführung bei vorangegangener Traumatisierung im Elternhaus
- eine sorgfältige Ausgestaltung der Rückkehroption
- eine sorgfältige Gestaltung von Pflegeverhältnissen
- Beratung und Entlastung von Pflegeeltern
- angemessene Evaluation
- angemessene Strukturen im Pflegekinderwesen
- mehr empirische Untersuchungen im Pflegekinderwesen

Danach kommt sie zu folgendem Schluss:
„Zusammenfassend soll die Forderung unterstrichen werden, Pflegeverhältnisse nicht allein dem guten Willen und der Verantwortung von Herkunftseltern und gar Kindern zu überlassen. Der soziale Dienst ist durchaus an der Gestaltung beteiligt und sollte sich nicht auf eine Vermittlerrolle beschränken. Die unverzichtbare Beratung muss sich davon fern halten, illusionäre Vorstellungen der Akteure (der Herkunftseltern, der Pflegeeltern, der Kinder, auch der Fachleute) ungeprüft zu ihrer Maßgabe zu machen: Ausgangspunkt und Zielperspektive des Handelns sind das Wohlbefinden des Kindes jetzt und hier und seine Entwicklungschancen in der Zukunft.“ (S.80)

Der Band sollte zur Pflichtlektüre für Familienrichter werden. Er enthält unentbehrliches Basiswissen für alle in diesem Bereich tätigen Fachkräfte und ist darüber hinaus eine wichtige Argumentationshilfe für Pflegeeltern, wenn jenes bei ihren Betreuern nicht vorhanden ist.

Christoph Malter (Mai, 2006)

 

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