FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Rezension / Jahrgang 2006

 




Jo-Jacqueline Eckart

Mobbing bei Kindern

Erkennen, helfen, vorbeugen

Urania-Verlag, 2006
(128 Seiten, 12.95 Euro)
 


Dr. Jo-Jacqueline, Master of Social Work, ist Erziehungs- und Mobbingberaterin. Ihr Ratgeber über traumatisierte Kinder wurde hier breits vorgestellt.

Das nun vorliegende Buch dient folgender Aufgabenstellung:
»Leider leiden mehr Kinder unter Gewalt, Ausgrenzung und Mobbing, als vielen Erwachsenen bewusst ist. Die Situation ist alarmierend. Denn wenn Kinder von anderen Kindern gedemütigt, verspottet, genötigt, geschlagen oder missbraucht werden, dann leiden diese Kinder in außergewöhnlichem Maße. In diesem Buch will ich aufzeigen, worum es bei Mobbing unter Kindern geht und wie Eltern ihren Kindern helfen können, die Situation zu bewältigen und die Verletzungen zu überwinden. Eltern können einiges tun, um ihr Kind so weit zu stärken, dass es in Zukunft nicht mehr von anderen schikaniert wird. Einige Fallbeispiele machen mögliche Vorgehensweisen anschaulich. Darüber hinaus gebe ich viele Tipps, wie Eltern mit der Schule des Kindes zusammenarbeiten können, um dafür zu sorgen, dass die Atmosphäre dort keinen Nährboden mehr für Gewalt und Mobbing bietet.« (S. 8)

Die Hauptüberschriften lauten:
Was ist Mobbing
Die Folgen von Mobbing
Hilfe für das Kind
Wenn ihr Kind mobbt
Das Mobbing stoppen: Erste Schritte
Das Mobbing stoppen: Was ihr Kind tun kann
Das Mobbing stoppen: Was Sie tun können
Typische Mobbing-Fälle
Mobbing-Prävention
Die Rechtslage
Ausblick mit Internetadressen und Literaturhinweisen

Zur Umschreibung des Begriffs 'Mobbing' werden besonders häufige Erscheinungsformen aufgezählt:

  • »Jemanden nicht beachten, nicht mitspielen lassen, ausgrenzen,
  • jemanden beleidigen ( "Du bist so dumm/hässlich/fett. ...", Schimpfwörter benutzen, fiese Spitznamen geben),
  • non-verbale Beleidigungen (Augen rollen, Brechgeräusche machen, Gesten),
  • 'Redeverbot' auferlegen und anderen verbieten, mit der Person zu reden,
  • anschreien,
  • verspotten und imitieren (sich über das Aussehen, die Herkunft, die Sprechweise und Ähnliches lustig machen),
  • bedrohen, Angst machen,
  • bei der Arbeit behindern (Heft wegnehmen, Stifte zerbrechen),
  • vor den Lehrern schlecht machen, verpetzen, auch Lügen erzählen,
  • Gerüchte verbreiten (gern über die Intelligenz, das sexuelle Verhalten oder angebliche Geheimnisse anderer Kinder).« (S. 11)

Folgende Umstände und Ausgangssituationen führen nach Erfahrung der Autorin häufig zu Mobbing:

  • »Die Erwachsenen setzen nicht genügend Grenzen. So sollte man schon bei Schimpfwörtern klar sagen: "Wir beschimpfen uns nicht und benutzen solche verletzenden Worte nicht!" Wenn es okay ist, einander üble Ausdrücke zu sagen, lernen die Kinder, dass man sich auf Kosten anderer durchsetzen kann.
  • Kinder können ihre eigenen Gefühle und die von anderen nicht erkennen. Schon als Kleinkinder sollten Kinder lernen, ihre Gefühle zu benennen. Wenn Eltern selbst Gefühle zeigen, wenn sie ihren Kindern zugestehen, auch einmal ängstlich, wütend oder schlecht gelaunt zu sein, dann werden Kinder die eigenen Gefühle erleben und kennen lernen. Wenn Kinder aber nicht weinen dürfen, wenn sie willkürlich bestraft werden, dann unterdrücken sie Gefühle und lernen auch nicht, die Gefühle von anderen Menschen zu identifizieren, geschweige denn zu achten.
  • Kinder haben zu Hause gelernt, dass Macht nötig ist, um sich durchzusetzen. Kinder, die nur gehorchen müssen und denen kein Respekt entgegengebracht wird, die womöglich beschimpft und geschlagen werden, werden entweder still und nach innen gekehrt, oder sie lernen, sich das verloren gegangene Selbstbewusstsein wiederzuholen, indem sie nun ihrerseits andere, Schwächere, unterdrücken.
  • In der jeweiligen Institution (Kindergarten, Schule, Nachbarschaft usw.) herrscht großer Gruppenzwang, wobei Außenseiter oder schwächere Gruppen ausgegrenzt werden. Jede Gruppe, ob sie aus Erwachsenen oder aus Kindern besteht, erzeugt einen großen Druck auf die einzelnen Mitglieder, dazuzugehören. Wer dazugehört, fühlt sich stark und aufgehoben. Doch nicht jede Gruppe ist offen und tolerant gegenüber Außenseitern. Dies können Menschen sein, die anders aussehen, anderer Herkunft sind, andere Interessen haben oder die einfach nicht dazugehören wollen. Die Gruppenführer entscheiden, wie sich die Gruppe diesen Menschen gegenüber verhält. Im Falle einer Schulklasse sind die Gruppenführer oft einzelne Kinder, die bestimmen.
  • Die Atmosphäre der jeweiligen Institution ist von Gewalt geprägt. Wenn es auf dem Schulhof jeden Tag zu massiven Streitigkeiten kommt, dann 'normalisiert' sich gewalttätiges Verhalten. Es fällt gar nicht mehr auf, wie gewalttätig der Alltag ist, und niemand überlegt, wie Gewalt einzelne Menschen verletzt.
  • Die Betroffenen wissen nichts über Mobbing. Es fand weder im Elternhaus noch in der Schule eine Information zum Thema statt. 'Unwissen' über Mobbing ist ein ernst zu nehmender Faktor, der auch deswegen so wichtig ist, weil er relativ leicht zu beheben ist. Es erfordert nur einige engagierte Erwachsene, um über Mobbing zu informieren. Und wo Kinder über Mobbing Bescheid wissen, sinkt das Risiko von Gewalt und Mobbing - das ist statistisch erwiesen.« (S. 19/20)

Die Mobbing-Folgen seien z.T. sehr dramatisch:

  • »Gefühl des Verlassenseins, der Isolierung,
  • ständiges Grübeln,
  • Nervosität, Konzentrationsstörungen,
  • Schlafstörungen,
  • ununterbrochene Angst ("Was passiert als Nächstes?"),
  • Mutlosigkeit, Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung,
  • Abfall schulischer Leistungen,
  • psychosomatische Erkrankungen (Kopfschmerzen, Magen-Darm-Irritationen, Hautausschläge usw.),
  • Veränderung der Persönlichkeit (das Kind wird misstrauisch, aggressiv, depressiv, gehässig oder Ähnliches, sodass andere vielleicht sogar denken: Kein Wunder, dass niemand das Kind mag!),
  • psychische Erkrankungen (Zwänge, Panikanfälle usw.),
  • Selbstmordgedanken (ein hoher Prozentsatz aller Suizide von Kindern und Jugendlichen ist auf Mobbing zurückzuführen).« (S. 25)

Je nach Art der Störung empfiehlt die Autorin unterschiedliche Reaktionen, z.B. für depressive Verstimmungen:
»Eine Depression ist eine ernst zu nehmende Erkrankung. Anzeichen sind tiefe Hoffnungslosigkeit, Lust- und Motivationslosigkeit und eventuell Ess- und Schlafstörungen. .... Versuchen Sie, in Gesprächen mit Ihren Kindern herauszubekommen, wie es ihnen geht. Halten sie das Leben für lebenswert? Wie sehen sie ihre Zukunft? Können sie sich überhaupt eine Zukunft vorstellen? ....
         Viele Eltern finden das Leid der Kinder so unerträglich, dass sie den Kindern das Gefühl geben, etwas falsch zu machen. Eltern geben schnell Ratschläge: "Geh doch einfach mal wieder raus. Lad deine Freundin ein. Lach doch mal." Durch vorschnellen Rat oder auch durch Trost vermitteln wir unseren Kindern, dass sie sich anstrengen sollen, anders zu fühlen, dass wir ihre negativen Gedanken, ihre Zweifel nicht ertragen können. Das gibt ihnen das Gefühl: So wie sie sind, sind sie nicht okay. Es ist aber nicht immer leicht, die Gefühle zu verändern und wieder glücklich zu werden. Das ist bei Kindern nicht anders als bei Erwachsenen. Die Kinder sitzen in einem schwarzen Loch und finden nicht heraus. Da hilft es nicht, wenn jemand von oben ruft: "Klettre doch endlich raus aus dem Loch!" Es muss jemand runter kommen und sich zu einem setzen, den Schmerz teilen.
     Seien Sie einfach da, setzen Sie sich neben Ihr Kind und sagen Sie ihm: "Mensch, dir geht es echt dreckig! Im Moment sieht alles hoffnungslos aus, nicht wahr?" Und dann sagen Sie gar nichts mehr, legen vielleicht Ihren Arm um das Kind und warten ab, ob das Kind sich fallen lassen kann.« (S. 41/42)

In dem Unterkapitel »Was Sie auf Klassenebene vorschlagen und unterstützen können« heißt es:

  • »Direkte Intervention bei Mobbing: Am bekanntesten ist die so genannte Farsta-Methode, bei der Mobber zum Gespräch geladen werden. Wichtig ist dabei, die Tat zu ächten, aber nicht die Täter. Die Täter sollen dazu gebracht werden, Verantwortung zu übernehmen und zu versprechen, in Zukunft Mobbing zu unterlassen. ....
  • Gespräche im Unterricht (darüber, was Mobbing ist, warum manche Kinder andere schikanieren, wie sich 'gemobbt werden' anfühlt, welche Lösungen Kindern einfallen). ....
  • Über nur bloße Diskussionen hinausgehend, können auch Rollenspiele gemacht werden, in denen brenzlige Situationen gespielt werden und die Klasse berät, wie sich die Beteiligten verhalten könnten. ....
  • Einführung von regelmäßigen Unterrichtsstunden/Klassengesprächen, in denen Schüler Gelegenheit haben, Konflikte, Probleme und Beobachtungen des Schulalltags zu besprechen und aufzuarbeiten. Dies ist zuerst ungewohnt, dann aber erstaunlich effektiv.
  • Toleranz-Erziehung mit Rollenspielen, Gruppenarbeiten oder bestimmten Projekten, die Empathie und Mitgefühl in der Klasse stärken sollen.
  • Definition von klaren Regeln: Jeder Schüler sollte die Regeln kennen, an die sich alle halten müssen {Klassenverfassung, Klassengericht). Mobbing muss bestimmte Konsequenzen nach sich ziehen. Es ist durchaus sinnvoll, die Schüler mitentscheiden zu lassen, mit welchen Konsequenzen Mobber zu rechnen haben. ....
  • Senkung der Toleranzschwelle: Das bedeutet, einschreiten und sanktionieren schon von 'kleinen' Vergehen, wie Benutzung von Schimpfwörtern und Beleidigungen - und zwar sowohl in der Schule als auch zu Hause. Wenn sich Eltern und Lehrer in diesem Punkt einig sind, ist dies natürlich leichter durchzusetzen. ....« (S. 83-85)

Das Buch endet mit einem ermutigenden Ausblick:
»So schrecklich es für ein Kind ist, gemobbt zu werden, so kann eine solche Erfahrung doch auch positive Wirkung zeigen. Dies ist der Fall, wenn Kinder zum einen merken, dass ihre Eltern hinter ihnen stehen und sie beschützen, wenn sie außerdem erleben, dass sie nicht ausgeliefert und hilflos sind, sondern dass Probleme mit Hilfe anderer Mensch gelöst werden können, oder wenn sie am Ende stolz darauf zurückblicken können, dass ihr Mut, sich den Mobbern entgegenzustellen tatsächlich zum Erfolg geführt hat.« (S. 125)

Bilanzierende Bewertung:
Die Glaubwürdigkeit eines Ratgebers lebt von den Quellen, aus denen er schöpft. Das sind im wesentlichen die Resultate eigener oder fremder Forschung und die beruflichen Erfahrungen, insbesondere wenn sie unter Supervision gewonnen wurden. Die Leser dieses Ratgebers erfahren viel zu wenig über die Quellen der Autorin. Ansonsten überzeugt das Buch durch verständliche Sprache, übersichtliche Textgestaltung und eine Fülle praktischer Anregungen

Gudrun Eberhard  (Juni 2006)  

 

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