FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Rezension / Jahrgang 2008

 




Eva Jaeggi und Volker Riegels

Techniken und Theorie
der tiefenpsychologisch fundierten
Psychotherapie

Klett-Cotta 2008

(245 Seiten, 26.90 Euro)

Die Autoren:

Eva Jaeggi ist em. Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie, Verhaltenstherapeutin und Psychoanalytikerin, Lehrtherapeutin/Supervisorin. Mitbegründerin einer Ausbildungsstätte für Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie.

Volker Riegels ist em. Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie, Psychodramatherapeut und Pschoanalytiker, Lehrtherapeut und Supervisor.

Ihr Anliegen ist aus dem Klappentext ersichtlich:
»Die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, auch Psychodynamische Therapie oder einfach Tiefenpsychologie genannt, ist gegenwärtig das am häufigsten praktizierte Richtlinienverfahren, und ihre Relevanz wird in Zukunft weiter zunehmen.
     Trotzdem führt sie als die "kleine Schwester" der "großen" Psychoanalyse in der wissenschaftlichen Diskussion eher ein Schattendasein. Den Autoren geht es darum, auf undogmatische Art und Weise die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie als eigenständige Therapieform zu etablieren. Sie arbeiten heraus, was von den theoretischen Grundhaltungen der klassischen Psychoanalyse übernommen werden kann und stellen an Fallbeispielen dar, wie das konkret geschieht. In der praktischen Arbeit eröffnen sich den Therapeuten Möglichkeiten, Techniken zu integrieren, deren sich die klassische Psychoanalyse nicht bedient, wie etwa die Maltherapie, Imaginationstherapie, gestalttherapeutische Methoden, Rollenspiele und körperorientierte Ansätze wie z.B. Focusing und Achtsamkeitsmethoden.«

Das Inhaltsverzeichnis:

Vorwort
An wen richtet sich dieses Buch?
Das 'richtige' Vorgehen in der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie.
  Ein unterschiedlicher Blick: Intrapsychisch und/oder interpsychisch
  Fiktives Beispiel.
  Konflikt statt Trauma
Theoretische Standortbestimmung
Einige Hinweise zur historischen Entwicklung
Der Therapeut in der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie: lebendiger?
Erlebnisaktivierung, der therapeutische Prozess, Übertragung und Beziehung
  Stellenwert der Übertragung in der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie
  Die Entwicklung einer inneren Welt im Licht neurobiologischer Forschung
  Das implizite und das explizite Gedächtnis
  Bedeutung für das Verständnis von Übertragung
  Vergangenheits- und Gegenwartsunbewusstes
  Der Umgang mit der Übertragung
  Zur Haltung des Therapeuten
  Umgang mit realitätsbezogener Wahrnehmung
  Begegnungsmomente im Kontext der therapeutischen Beziehung
  Erst die aktuelle Beziehung, dann die externen Übertragungen beachten
  Gegenübertragungsagieren
  Negative Übertragung
  Fallbeispiel
Die therapeutische Grundhaltung und der therapeutische Raum
  Gleichschwebende Aufmerksamkeit
  Liegen oder Sitzen - die symbolträchtige Couch
  Die Grundregel
  Abstinenz und Neutralität
  Fallbeispiel
Der Ort der Deutung in der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie
Techniken

Neue Techniken, aber keine neue Therapie
Rollentausch
  Fiktiver Dialog und Entscheidungsfindung
  Doppeln im Rollentausch
  Externalisierung von Introjekten
  Interview und Rollentausch
  Differenzierung der inneren Wirklichkeit
Symbole
  Symbole und Psychotherapie
  Arbeit am Widerstand
  Abgrenzung und Identitätsfindung
  Kombination mit dem Rollentausch
  Symbole, Zwischenraum und Beziehung
  Umgang mit Geschenken
  Arbeitsstörungen
Kunstpostkarten
  Eheprobleme
Beziehungsstrukturen (Münzen, Knöpfe, Steine etc.).
  Wiederholungszwang
Malen
  Zukunftsvision
Imagination
  Wege aus der Depression
Der Einbezug des Körpers
  Bewältigung einer Angst
Awareness
  Auftauchen einer Schlüsselerfahrung
  Körperempfindung und Selbsterleben
  Aufhebung einer Spaltung
Experiment
  Differenzierung der Innensicht
  Körpererinnerung
Sprachspiele
Wunderfrage
  Bewusstmachung der Konfliktdynamik
Hausaufgaben
Hilfs-Ich-Funktion von Hausaufgaben
Auswirkungen auf die Ausbildung
Beispiele aus der Praxis
  Magdalena, ein Fall von Anorexia nervosa
  Bettina, Leistungs- und Autoritätsängste
  Boris, Schuld und Angst
Literatur
Register
[ohne Autorenregister und viel zu kurz!].

Die folgenden Textproben geben kurze Einblicke in die Theorie und Praxis der Autoren.
     »Sie [eine Angstpatientin] hatte durch eine entsprechende tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie mit einer Trauma-Therapeutin den Schlüssel für ihre Ängste in ihrer durch den Krieg bestimmten Kindheit gefunden: Als sie in der Kinderlandverschickung war, wurde sie nämlich von ihrer Mutter etwa einmal monatlich besucht. Der Abschied fiel ihr jedes Mal schwer, obwohl sie ansonsten nicht als unglücklich heimwehkrankes Kind galt. Da ihre Mutter in eine bombengefährdete Großstadt zurückfuhr, hatte ihre Angst auch recht realistische Züge.
     Die tiefenpsychologisch arbeitende Therapeutin interpretierte ihr die Trennungsängste als die Wiederholung der kindlichen Muttertrennung im Krieg, die dauernde Untreue ihres Ehemannes als kumulatives Traumaerleben - eine schnell einsichtige Deutung. Dies bewirkte nur leider nichts.
     Aus einigen Gesprächen wurde mir klar, dass es nicht nur Angst und Sorge um die Mutter gewesen waren, die sie damals beherrscht hatten. Sie war schon in ihrer Kinderzeit tief ambivalent dieser Mutter gegenüber gewesen, die in ihren Augen sich unnötig klein machte, zu nichts eine Meinung hatte und dem allmächtigen Vater nie widersprach - höchstens durch kleine obstinate Gesten zu verstehen gab, dass sie nicht einverstanden war. Die Patientin selbst war dem Vater in unmissverständlicher Weise ödipal zugetan und konnte sich als die einzige »Königin des Herzens« fühlen. Die üblichen ödipalen Schäden waren sehr sichtbar. Es gelang der Patientin in dieser tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie mittels sparsam eingesetzter aktivierender Methoden recht gut, die Familiensituation zu begreifen. Wie ihre Symptome auch mit der Wut auf die Mutter und das Verlassen-werden zusammenhingen. verstand sie sehr gut. Die Aufarbeitung der tiefen Ambivalenz der Mutter gegenüber berührte zwar bestimmt noch andere Bereiche ihres Lebens, in einer Psychoanalyse hätte man sicher noch andere Einsichten erlangen können, aber die Symptome verschwanden nach 80 Stunden, die Patientin war mit dieser Form der Therapie sehr zufrieden und wollte sich in ihrem Alter nicht der Mühe einer großen Psychoanalyse unterziehen.
     Hier konnte in einer tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie mit einem klaren Fokus gearbeitet werden: Die Verlustängste ließen sich nicht so sehr als ein kumulatives Trauma bearbeiten, sondern als Ausdruck einer tiefen Ambivalenz, verbunden mit Abwertung der Mutter gegenüber, was jeden Abschied für sie besonders schwierig machte. In einer auf dem Trauma-Konzept beruhenden vorherigen Therapie wurde diese Facette ihres Problems nicht berührt, weil vermutlich die theoretische Grundlage zur Erkenntnis von Konflikt und Abwehr nicht gegeben war.« (S. 33/34)

»Im vorliegenden Buch werden 'Techniken und Interventionsmöglichkeiten beschrieben, die vom üblichen Inventar der Psychoanalyse abweichen. Allein dies löst häufig die schon erwähnten Kontroversen aus. Hinter dem Vorwurf, eine bestimmte therapeutische Herangehensweise sei 'nicht analytisch', verbirgt sich die Meinung, dass Behandlungstabus (z.B. mitagieren, zum Agieren verführen) außer Acht gelassen werden. Da ist dann die Rede von mangelnder Abstinenz, Manipulation, Überrumpelung, impliziter oder expliziter Verführung (vor allen Dingen, wenn der Körper auf irgendeine Weise einbezogen ist), regressiver Konkretismus, Verwöhnung, therapeutischer Omnipotenz oder Naivität, letztlich: Verrat an der Psychoanalyse.
     Sicherlich ist es wichtig, sich mit den Vorwürfen angemessen auseinanderzusetzen. Zur Angemessenheit gehört aber auch die Analyse der Vorwürfe selbst. In der psychoanalytischen Szene wird Ähnliches auch dann laut, wenn es nicht um erlebnisorientierte Interventionen geht, sondern wenn im Rahmen eines analytischen Schwerpunktthemas wie dem der Abstinenz unterschiedliche Positionen bezogen werden. Auch hier hört man dann, das sei nicht analytisch, und es wird mit derselben Vehemenz gestritten, be- und verurteilt. All das legt nahe, dass es sich bei dieser Kritik in vielen Fällen um eine Verschiebung und Projektion handelt. Da die Kontrahenten solcher Diskussionen meist derselben Fachgesellschaft angehören, d. h. dieselbe berufliche Sozialisation durchlaufen haben mit entsprechenden Initiationsriten, steht die Person mit der Frage, ob er/sie (noch) Analytiker ist, zunächst nicht in Frage. Der Werdegang zum tiefenpsychologischen Psychotherapeuten, vor allen Dingen vor dem Hintergrund der Übergangsregelungen, lässt aber diese Frage aufkommen. Es sei jedoch daran erinnert, dass inzwischen der Weg zum tiefenpsychologischen Psychotherapeuten eine Lehranalyse (-therapie) ebenso umfasst wie eine fundierte theoretische Ausbildung auf der Basis der Freudschen Psychologie, sowie intensive Arbeit unter Supervision. Nichts anderes geschieht in analytischen Instituten auch. Das Ausmaß der geforderten Lehranalyse- oder Supervisionsstunden ist von Institut zu Institut verschieden, und diese Unterschiede lösen häufig schon die oben beschriebenen Kontroversen (wer ist mehr oder weniger Analytiker) aus.
     Noch einmal: Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie ist eine psychoanalytische Variante, so wie es viele gibt, wobei wir diese Variante als entscheidenden Entwicklungsschritt der Psychoanalyse betrachten.« (S. 53/54)

     «Natürlich betrachten wir die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie als eine Therapie, in der - wenn möglich - Einsicht in bisher nicht bewusste Prozesse des Seelischen sehr wichtig sind, um Veränderungen zu erzielen. Die Beachtung der Übertragung, fallkonform auch die vorsichtige Deutung (vor allem bezogen auf das Gegenwartsunbewusste) geben einem tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapeuten ebenso wichtige Werkzeuge in die Hand wie jedem Psychoanalytiker. Auch die Handhabung der Gegenübertragung ist von großer Bedeutung - wenngleich auch hier die Vorschläge innerhalb der Psychoanalyse selbst in ganz besonders krasser Weise differieren. Ähnlich sieht es mit der Analyse von Abwehr und Widerstand aus. Dass die unbewusste Konfliktstruktur des Menschen die Grundlage des psychoanalytischen Denkens bildet (woraus sich auch die Krankheitslehre, sowie die Entwicklungslehre zu einem Großteil ergibt), ist ebenfalls für jeden tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapeuten klar. Dementsprechend werden sich auch die theoretischen Teile der Ausbildung nicht anders darstellen als in jedem modernen Curriculum der Psychoanalyse. Das heißt auch: eine Darstellung der Psychoanalyse, die schulische Differenzen und Kritik aus anderen Wissenschaftsbereichen aufzeigt.
     Was die praktische Seite dieser Ausbildung allerdings betrifft, so meinen wir, dass man noch andere Kenntnisse aus verschiedenen Therapierichtungen unbedingt einbauen sollte als nur die vom Gesetzgeber geforderten. Wichtig ist dabei, dass man auch bei den Supervisoren solche Kenntnisse voraussetzen kann. Es bieten sich vor allem technisch-praktische Kenntnisse aus therapeutischen Schulen an, die sich theoretisch aus der Psychoanalyse heraus entwickelt haben, sich selbst als psychoanalyse-verwandt ansehen, deren Vertreter oftmals übrigens auch eine psychoanalytische Ausbildung durchlaufen haben. Es sind dies vor allem die Gestalttherapie, das Psychodrama, die kathathym-imaginative Psychotherapie, die Individualtherapie (Adler) und die Analytische Therapie nach C. G. Jung. Selbstverständlich sind auch Kenntnisse aus der Systemischen Therapie erforderlich, wenn man in der Psychotherapie nicht nur intrapsychische, sondern auch interpersonelle Prozesse in größerem Zusammenhang beachten will. Vorsichtige Beachtung körperlicher Prozesse (auf psychoanalytischer Basis) kann ebenfalls bedacht werden. …..
     Die Besonderheit von tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapeuten kann gerade darin liegen, dass sie in ihren Interventionen flexibel sind, dass sie patienten- und störungsadäquat handeln und nicht angewiesen sind auf nur im verbalen Medium angesiedelte Behandlungstechniken.« (S. 205 ff)

Bilanzierende Bewertung:  
Die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie steht im Verdacht, mehr eine gesetzgeberische Konstruktion als eine aus der Geschichte der Psychoanalyse gewachsene Therapieform mit eigenem theoretischen und praktischen Profil zu sein. Eva Jaeggi und Volker Riegels sind ausgewiesene Psychoanalytiker, aber durch zusätzliche Ausbildungen mit profunden Kenntnissen in anderen Therapierichtungen, so dass ihnen hier ein integratives Werk gelingt, das einerseits wichtige benachbarte Methoden aufgreift und sich doch entschieden zum  psychoanalytischen Grundkonzept bekennt.
     Die tiefenpsychologisch fundierten Therapeuten und die, die es werden wollen, sind den Autoren für ihre Hilfe bei der Suche nach professioneller Identität zu großem Dank verpflichtet.

Kurt Eberhard  (Okt. 2008)

 

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