FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Rezension / Jahrgang 2003

 

Peter von Matt

Verkommene Söhne, mißratene Töchter - Familiendesaster in der Literatur

dtv, 2001, 3.Aufl. (356 Seiten, 15 Euro)

 

Dieser Text ist weder eine druckfrische noch eine praxisnahe Lektüre - aber eine sehr lohnende. Vielleicht für die Sommerferien!

Peter von Matt (geb. 1937) ist Professor für Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Universität Zürich und hält eine Überschau über Eltern-Kind-Konflikte vom biblischen David mit Absalom bis zum Struwwelpeter; von der klassischen Antigone bis zu Annette von Droste-Hülshoff. Dabei schreibt er nicht nur über Literatur, sondern argumentiert in einer Sprache, die so frisch und faszinierend, so gedankenvoll und verdichtet ist, dass sie selbst Literatur im besten Sinne darstellt und keineswegs angestaubte Germanisten-Weisheit zelebriert.

Als Kernkonflikte über die Jahrtausende und als „die regelmäßigen Ursachen der Verkommenheitsdiagnose“ weist er die Konflikte aus den Ansprüchen der Kinder auf „eigene Liebe, eigene Arbeit und eigenes Denken“ (S.165) nach.

Diese Konflikte geraten um so heftiger, je brüchiger die umgebende weltanschauliche und sozialpolitische Lage und je notwendiger eine Umstrukturierung des ideologischen Überbaus von Elternschaft und Kindsein zur jeweiligen Zeit sind. (vgl. beispielsweise die Analyse des LEAR - Dramas auf S. 163: "Bekräftigt wird, daß das Konfliktfeld um die mißratenen Kinder in der Literatur hinter der privaten, innerfamiliären Dissonanz unweigerlich die übergreifende Ordnung aufziehen läßt und als gültig oder ungültig diskutiert. .... Diesem weitestgespannten Problemzusammenhang korrespondiert auch im LEAR der intimste: die dramatischen Schübe des Erwachsenwerdens der Kinder, ihres Autonomiegewinns und der Verwirrungen im Wissen um sich selbst, die sich bei ihnen und bei den Eltern ergeben.")

Die Eltern werden natürlich nicht nur in der Zusammenschau, sondern als Vater und Mutter und mit ihren jeweiligen im geschichtlichen Kontext herausragenden Eigenschaften vorgeführt. Dabei ist deutlich, dass es bis in die Literatur des 19. Jh. vorwiegend um den Vater, seine Autorität und seinen Machtverlust geht, während erst dann über die Teilhabe der Mütter an der Macht, ihre paradoxe Situation zwischen Macht und Demut und die allmähliche Eigenständigkeit in der Auseinandersetzung mit den Kindern gehandelt wird.

Zu Beginn des 20. Jh. diagnostiziert v. Matt in vielen Facetten der Literatur „Inszenierungen des Gegengerichts“ nämlich „die mißratenen Väter und Mütter vor den Schranken der Kinder“ (S. 344 ) wobei er die Naivität des Glaubens, mit der Beseitigung der Machthaber auch die Frage der Macht gelöst zu haben, wie folgt analysiert: „Daß die Menschen mit der Macht leben müssen wie mit ihrer Sexualität und dem täglich mehrmals hungrigen Bauch, daß die Macht eine so urtümliche Lust beschert wie das Essen und die Liebe, daß ihretwegen so leicht und wohlüberlegt getötet wird wie um der beiden anderen willen, das scheint immer dort unbekannt zu bleiben, wo man die Macht identisch setzt mit den Machthabern, wo man sie für liquidierbar hält wie diese.“ (S.343)

Diese Reise durch die Jahrhunderte und Jahrtausende literarischer Auseinandersetzung mit dem Generationenkonflikt, der vor allem Machtkonflikt ist, braucht Ruhe und konzentriertes Lesen, doch es lohnt: der Mythos, der die Eltern- und Kindschaft in unserer kulturellen Umgebung umhüllt, wird vielschichtig aufgeklärt.

(Prof. Dr. Uta Mcdonald-Schlichting, Juli 2003)

 

 

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