FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Rezension / Jahrgang 2003

 

Thomas Gabriel

Forschung zur Heimerziehung

Eine vergleichende Bilanzierung in Großbritannien und Deutschland

Juventa, 2001
(232 Seiten, 23,- Euro)

 

Das vorliegende Buch von Thomas Gabriel wurde von der Universität Lüneburg, Fachbereich Erziehungswissenschaften, als Dissertation angenommen. Er reklamiert, dass „... Forschung zur Heimerziehung in Deutschland [...] der Komplexität ihres Gegenstandes kaum gerecht [wird]. Die deutsche Forschung zur Jugendhilfe ... erscheint vor dem Hintergrund einer unzureichenden Forschungsförderung als randständig.“ (Klappentext)

In den ersten sechs Kapiteln rekapituliert Gabriel die Forschung zur Heimerziehung in Großbritannien, wobei erste Vergleiche zu Deutschland einfließen:
„Die Jugendhilfeforschung ist in Großbritannien weiter entwickelt als in den meisten europäischen Ländern – bezogen auf Anzahl und Gehalt der theoretischen und empirischen Arbeiten ist sie mit den USA vergleichbar. Von besonderem Interesse erscheint die – verglichen mit Deutschland – hohe politische und praktische Relevanz der Studien zur Heimerziehung. Die britische Forschung zur Heimerziehung integriert Praxisforschung und akademische Sozialforschung ebenso undogmatisch wie wissenschaftliche, politische sowie administrative Erkenntnisinteressen in ihren Modellen. Diese strukturelle Verbindung von Forschung, Praxis und Politik ist in Europa einmalig.“ (S.11)

„Außer dem Tübinger Projekt zu ‚Leistungen und Grenzen der Heimerziehung’ (BMFSFJ 1998), das sich auf einer Datenbasis von 284 Akten mit der Evaluation von stationären und teilstationären Hilfen zur Erziehung befasste, gibt es in Deutschland zur Zeit kein Forschungsprojekt mit einem vergleichbaren Erkenntnisinteresse. Obwohl 7.453.000.000 DM im Jahr 1995 für das gesamte Spektrum der Hilfen zur Erziehung in Deutschland ausgegeben wurden (vgl. Späth 1997, S. 49), ist die Forschungsförderung im Bereich der Deutschen Jugendhilfe vergleichsweise gering. Anders als in Großbritannien werden in Deutschland auch in naher Zukunft nicht annähernd vergleichbare Daten über den Erfolg und die Wirkungsweise von Heimerziehung und ihren Alternativen verfügbar sein. Wird der von Thiersch (1997) unter Bezug auf den 8. und 9. Jugendbericht erneut gestellten Forderung nicht entsprochen, einen Anteil von ‚3% der Aufwendungen innerhalb der Erziehungshilfen im vorhinein für Forschung und Evaluation festzusetzen’ (a.a.O., S. 27), so wird sich daran auch in weiterer Zukunft nichts Wesentliches ändern.“ (S.107)

In Kapitel 7 wird die deutsche Forschung zur Heimerziehung bilanziert und detaillierter mit der britischen verglichen. Die bisherigen Forschungs-Leistungen der einschlägigen Institute sowie andere, einzelne Arbeiten bewertet Gabriel kritisch:
„Die überwiegende Mehrzahl der Forschungsarbeiten zur Heimerziehung sind Qualifikationsarbeiten, in der Regel Promotionen. Nur wenige der Studien sind Abschlussberichte drittmittelfinanzierter Forschung (z.B. BMFSFJ 1998, Forschungsgruppe Klein-Zimmermann 1995, Wolffersdorf et al. 1990, Planungsgruppe Petra 1988).
In Deutschland existiert bislang kein universitäres oder außeruniversitäres Forschungsinstitut, das sich – vergleichbar zur Forschungsstruktur in Großbritannien – ausdrücklich mit empirischer Forschung zur Jugendhilfe befasst.
Das Deutsche Jugendinstitut (Abteilung Jugendhilfe) hat insbesondere durch Förderung einzelner Studien (u.a. Wolffersdorff et al. 1990, Gawlik et al. 1995) wichtige Impulse für die Jugendhilfe gesetzt, kann jedoch in seinem Gesamtprofil und Forschungsvolumen einem Vergleich zu britischen Forschungseinrichtungen (vgl. Kap. 4) nicht standhalten. Die Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen Sektion Deutschland (IGFH) in Frankfurt ist in ihrem Selbstverständnis kein Forschungsinstitut, obwohl von der IGFH unter anderem über den Zwischenbericht Kommission Heimerziehung (IGFH 1977) und die Förderung der Studie der Planungsgruppe Petra (1988) wichtige Einflüsse auf die Heimerziehungsforschung in Deutschland gesetzt wurden. Andere außeruniversitäre sozialpädagogische Institute – wie das ISA in Münster, das ISS in Frankfurt oder das ISP in Berlin – haben ihr Schwergewicht auf Praxisberatung, wissenschaftliche Weiterbildung und Konzeptentwicklung gelegt und weisen ebenfalls kein Profil dezidiert wissenschaftlicher Forschungsinstitute – etwa in Analogie zu Max-Planck-lnstituten (vgl. Rauschenbach et al. 1998, S. 11). Desgleichen existiert bislang kein DFG-Forschungsschwerpunkt oder Sonderforschungsbereich zur Jugendhilfe – der sich explizit mit empirischer Forschung zur Heimerziehung befasst.
Forschung zur Jugendhilfe hat in Deutschland bislang keinen ausgewiesenen Ort...
Die mangelnde Forschungsförderung verhindert die Sammlung und Vernetzung von Grundlagenwissen...“ (S.146f.)

Verantwortlich macht Gabriel die dezentrale Struktur in Sozialpolitik und
-administration und eine fragmentarische Forschungslage. Z.B. haben die Landesjugendämter in Deutschland kaum Einfluss auf die Praxis in den Kommunen:
„Praxisrelevante und länderübergreifende Erkenntnisinteressen wären jedoch vorhanden, wie Fragen zur Wirkung und Binnenstruktur geschlossener Unterbringung in der Heimerziehung oder Analysen des systemischen Verhältnisses von Jugendhilfe, Kinder- und Jugendpsychiatrie und Jugendstrafrechtspflege....
Zum anderen erscheint die Autonomie der Forschung zur Heimerziehung in Deutschland ursächlich für ihre Fragmentierung in unterschiedliche theoretische Orientierungen und Fragestellungen, was die ‚gemeinsame Diskussion’ ihrer Untersuchungsergebnisse erschwert (vgl. Lambers 1995, S. 62). Ein ‚ökologisches Sozialisationsmodell’ (Hansen 1994), eine psychiatrische Sichtweise auf ‚soziale Retardierung’ (Hartmann 1996) oder eine ‚figurationssoziologische Analyse’ von Machtprozessen (Wolff 1999) spiegelt die unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen und theoretischen Orientierungen in der deutschen Forschung zur Heimerziehung wider...“ (S. 148)

Statt gegenseitiger konkurrierender Abgrenzung empfiehlt Gabriel im 8. Kapitel Ansprüche an die Forschung zur Heimerziehung über die Reflexion erkenntnistheoretischer Aspekte sowie die Integration qualitativer und quantitativer Forschungsmethoden:
„...erkenntnistheoretisch lassen sich quantitative und qualitative Forschungsmethoden komplementär verbinden. Je nach Fragestellung können zum Beispiel mit Hilfe qualitativer Methoden Typizitäten und Sinnverstehen subjektiver Wirklichkeitserfahrung, mit Hilfe quantitativer Methoden Repräsentativität allgemeiner oder gruppenspezifischer Muster und Modelle herausgearbeitet werden. Beide Verfahren ergänzen sich unter Gesichtspunkten der Erfassung der Ganzheit von Wirklichkeit in der Heimerziehung. (S. 159)...
Sie [die Sozialpädagogik] muss Forschung dabei nicht methodisch neu erfinden, jedoch ihre Auswahl aus dem ‚Methodenreservoir der Sozialwissenschaften’ (vgl. Thole 1999, S. 240) reflektieren und ein sozialpädagogisches Forschungs- und Gegenstandsverständnis begründen.“ (S. 170)

Seiner Empfehlung können wir uns aus Überzeugung anschließen und von sehr positiven Erfahrungen damit berichten. Die Forschung der AGSP integriert seit jeher statistische Feldforschung und kasuistische Hermeneutik (s.Versuch einer Zusammenfassung über den kasuistischen und den statistischen Ansatz).

Christoph Malter (Nov.2003)

 

 

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