FORUM: Internetzeitschrift des Landesverbandes für Kinder
in Adoptiv und Pflegefamilien S-H e.V. (KiAP) und der Arbeitsge-
meinschaft für Sozialberatung und Psychotherapie (AGSP)


 

Rezension / Jahrgang 2004

 

Werner Frieling

Das Herz des Steines

Ein Erfahrungsbericht über die Arbeit mit Pflegekindern

Verlag Hans Jacobs, 2003
(227 Seiten, 14,90 Euro)

 

Frieling ist seit 22 Jahren Sachbearbeiter in einem Fachdienst für Adoption und Pflegekinder (S.23). Er arbeitet in einem Team , „...in dem die fachliche Betrachtung der Einzelfälle über Jahre hinweg eine hohe Priorität hatte. Die hierdurch entstehende gegenseitige kollegiale Unterstützung ist ein wichtiger Faktor professioneller Entwicklung.“ (S. 148) In der Fülle von Praxisbeispielen liegt die Stärke dieses Erfahrungsberichtes über die Arbeit mit Pflegekindern. Die methodisch undogmatische Herangehensweise sowie die kritische Auseinandersetzung mit auch gescheiterten Verläufen ermöglichen einen tiefen Einblick. Sowohl Gruppenarbeit mit Pflegeeltern wie erlebnisorientierte Gruppenarbeit mit Pflegekindern zeugen für das starke persönliche Engagement des Autors. Aus dem Inhalt:

Vorwort
Fallbericht - eine thematische Einführung
Einleitung
Die Tätigkeit im Fachdienst für Pflegekinder
Frühe Kommunikation als entscheidender Faktor zur Prägung der emotionalen Entwicklung

Kapitel I
Fallgeschichte - Roy -
Die sekundäre Traumatisierung, eine Folge der Übertragung

Kapitel II
Agnes
Eltern
Frau Meier
Grenzen der Arbeit
Helferkrisen

Kapitel III
Der Energiehaushalt von Gruppen und Personen
Die Konfrontation des Opfers mit dem Täter
Die Pflicht, zu helfen

Kapitel IV
Anna
Die bittere Seite

Kapitel V
Arbeitsabläufe zur Vermittlung eines Pflegekindes
Die Vorbereitung von Pflegefamilien
Der Bewerbungsprozess von Pflegeeltern / Erziehungsstellen
Die Arbeit mit der Familiengrafik und dem Zeitstrahl
Die Bedeutung für das Bewerbungsverfahren
Traumbilder
Der Umgang mit kritischen Themen
Ein Kind passt nicht in jede Familie
Die Vermittlung
Ich habe soeben
Angelina
Die Erlaubnis
Ideologie

Kapitel VI
Pflegekinder sind Kinder mit gemeinsamen Erfahrungen
Deutung und Fehldeutung von Signalen
Karla
Das Kind verstehen
Normen und Werte
Georg

Kapitel VII
Das Konzept 'Familie'
Lebensraum – Familie
Auswirkungen auf das bestehende Potential zur Aufnahme eines Pflegekindes
Auswirkungen für Pflegekinder

Kapitel VIII
Die Arbeit mit traumatisierten Kindern
Die Gestaltung des sozialen Klimas
Besuchskontakte - die Präsenz der Ursprungsfamilie
Robert
Zusammenfassung und Bewertung

Kapitel IX
Laufende Beratung / Methoden
Das Beratungssystem
Der Umgang mit dem Krisenverlauf des Kindes
Das sichere Umfeld
Biographiearbeit
Fachliche Begleitung und Unterstützung
Gruppenarbeit mit Pflegeeltern / Erziehungsstellen
Erlebnisorientierte Gruppenarbeit mit Pflegekindern
Beratungsarbeit mit Kindern
Methodische Eigenständigkeit

Kapitel X
Kind und Pflegefamilie leben in unterschiedlichen Welten
Ein Bild
Kontrollmechanismen
Übertragung
Energie-Smog

Kapitel XI
Schutz und Entlastung
Veränderungen des Lebensortes und -raumes
Das Rollenverständnis des Sozialarbeiters

Das Prinzip von Ursache und Wirkung
Die offene Frage

Schlussbemerkungen
Nachtrag: Finanzielle Leistungen in der Pflegekinderarbeit
Quellen
Anmerkungen
Literaturhinweise

Gleich in der Einführung wird der Fallbericht eines damals neunjährigen Mädchens vorgestellt, das vermeintlich aufgrund einer Tumorerkrankung der Mutter in eine Pflegefamilie kam. Im Verlauf der Pflege stellte sich heraus, dass das Mädchen Opfer von elterlicher Gewalt und sexuellen Belästigungen war. Die Erziehung in der Pflegefamilie wurde schwierig, so dass eine besondere fachliche Unterstützung notwendig wurde. Die Pflegemutter wurde deshalb in ein Erziehungsstellenprojekt übernommen und zur Erziehungsstellenmutter. Nach vierjähriger Betreuung entschloss sich die Erziehungsstellenmutter, das Mädchen abzugeben. Auf Druck der Familie des Onkels kam das Mädchen in dessen Familie, und die Fachberatung wurde vom Jugendamt einem freien Jugendhilfeträger überantwortet. Der aus der Haft entlassene Kindesvater strebte die Vormundschaft im Konflikt mit der Familie seines Bruders an. Die durch den Ablauf des Wechsels tief verletzte Pflege-/Erziehungsstellenmutter hat sich jeden Kontakt mit der Familie des Onkels verbeten und wünscht vorerst auch keinerlei Verbindung zum ehemaligen Pflegekind. Frieling gibt eine pessimistische Prognose ab und zweifelt zugleich an fachlich sinnvolleren Alternativen. Die Geschichte ist eine von vielen, über die er im vorliegenden Buch berichtet.

Die Begriffe ‚Erziehungsstelle’ und ‚Pflegefamilie’ werden an vielen Stellen sinnähnlich gebraucht, so dass selbst der aufmerksame Leser zeitweilig im Unklaren darüber gelassen wird, ob es sich um einen Erfahrungsbericht über Pflege- oder über Erziehungsstellenkinder handelt. Lässt diese verräterische ‚Namensänderung’ den Schluss vermuten, dass die eher private Erziehung in Pflegefamilien zunehmend institutionalisiert und jugendamtlichen Zwängen unterworfen wird? Frieling ist erfrischend frei von solchen Hintergedanken. Die kritische Auseinandersetzung mit seinen weniger engagierten Kollegen in diesem Fachbereich ist in dieser Offenheit nicht selbstverständlich:
„Bis heute hat mich meine Fassungslosigkeit nicht verlassen, die mich immer dann berührt, wenn ich erlebe, mit welcher Ignoranz über die Tatsache des persönlichen Erlebens eines Kindes hinweggegangen wird. Dieses geschieht nicht nur von unwissenden, selber in der Entwicklung verletzten Eltern, sondern insbesondere von Kollegen oder anderen sogenannten Helfern.“ (S. 46)
“Interessant fand ich ein Fachgespräch mit Kolleginnen, die noch einmal eine familienorientierte Hilfe mit dem dritten und vierten Kind einsetzen wollten. Ich bat sie, doch die Geschichte der Mutter zur Kenntnis zu nehmen und dann mit ihr über die Umsetzung der Hilfe, die erforderlichen Rahmenbedingungen und die Prognose der Hilfe zu sprechen. Die Kolleginnen lehnten das ab. Sie wollten alle noch einmal von vorne beginnen. Nach einem ½ Jahr war die Hilfe beendet, die beiden im Haushalt lebenden Kinder nach massiven Misshandlungen ebenfalls in Pflegefamilien. Zur Ehrenrettung der Kolleginnen muss gesagt werden, dass die Mutter niemals eine Chance hatte, mit Kindern zu leben. Heute bekommt sie keine Kinder mehr, und es ist gut so.“ (S. 51)
„Grenzen der Arbeit zeigte mir dieses sechsjährige Kind. Es wurde von mir aus einer Kinderschutzgruppe des städtischen Kinderheimes in eine Pflegefamilie vermittelt.... Das Kind hatte einen erheblich sexualisierten Sprachschatz, verhielt sich aber unauffällig und angepasst. Die dort durchgeführte Untersuchung ergab keine weiteren Auffälligkeiten und keinen Hinweis auf Missbrauch. Nach seiner Aufnahme in der Pflegefamilie begann der Junge zunächst deren eigene Kinder, zwei Jungen im Alter von 9 und 11 Jahren, sexuell zu attackieren.... An diesem Punkt brach das Pflegeverhältnis ab. Sein Aufenthalt in der Pflegefamilie dauerte drei Monate (S.51) .... Eine beteiligte Beratungsstelle für Gewalt erfahrene Menschen schloss sich umgehend der Auffassung an, dass hier eine schlampige Arbeit des Jugendamtes vorliege.... Es ging in den folgenden Auseinandersetzungen nicht mehr um das schwer traumatisierte Kind, sondern darum, zu klären, wer denn nun der ‚bessere’ Helfer war und um Schuldvorwürfe gegen den begleitenden Fachberater, also gegen mich.... die bisherigen Arbeitsergebnisse des Jugendamtes [wurden] nicht mehr ernst genommen.... Erschreckend war für mich, dass sich diese Ignoranz auch bei dem nach dem Umzug der Mutter zuständigen Jugendamt fortsetzte. Wie bereits beschrieben, planten die dortigen Kolleginnen die Rückgabe des Jungen zu seiner Mutter.“ (S.54)

Frieling zeigt die Komplexität dieses sozialpädagogischen Arbeitsfeldes, indem er die Praxis vorführt. Bewährte psychologische und therapeutische Erkenntnisse unterstützen seine Arbeit mit den zutiefst verletzten Kindern. Bei traumatischen Vorerfahrungen empfiehlt er:
„Eine helfende, auf gegenseitige Akzeptanz beruhende Beziehung kann nur entstehen, wenn im Grundsatz für alle Betroffenen die Basis der Fremdplatzierung klar ist. Es muss Einverständnis darin bestehen, dass der Ort, an dem das Kind lebt, und die Menschen, mit denen es lebt, zuverlässig sind. Hierdurch entsteht gegenseitiges Vertrauen. Erst dann ist es möglich, die Situation gemeinsam zu betrachten und zu steuern. Es ist unbedingt erforderlich, dass ein klares Signal für den Bestand des jetzigen Lebens des Kindes von allen Verantwortlichen gegeben wird.
Zu berücksichtigen bleibt aber, dass es Situationen gibt, in denen ein Kind seine Eltern oder ein Elternteil als so bedrohlich empfindet, dass es auf jeden Fall geschützt werden muss. Wir dürfen nicht zulassen, dass ein Kind durch den Anspruch von Eltern im Status der Angst und Seelennot gehalten wird und damit an einer eigenständigen und individuellen Entwicklung gehindert wird. Für diese Situation darf es keine Toleranz gegenüber dem Anspruch der Eltern geben.“ (S. 144)

Als wichtige Methode wird abschließend die Biografiearbeit in der Pflegefamilie herausgestellt:
„Die oben gezeigten Methoden beruhen auf der Annahme und Erfahrung, dass die Rekonstruktion der eigenen Geschichte zu einem Verstehen des Geschehenen und einer Aussöhnung damit führen kann.... Zusammen mit dem Kind wird in den Pflegefamilien und Erziehungsstellen der Zukunftsentwurf anhand seiner Realität entwickelt. Vorhersagbar ist damit die Zukunft nicht.“ (S. 215)

Dem Buch ist ein breites Lesepublikum über die Fachöffentlichkeit hinaus zu wünschen.

Christoph Malter (März 2004)

 

 

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